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Zwischenspiel oder Krise?

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Belgrader Hauptbahnhof 1947. Die Mitglieder des diplomatischen Korps und der Regierung haben sich versammelt, um Marschall Tito zu begrüßen, der vom Staatsbesuch in Sofia zurückkommt. Auf dem Platz vor dem Bahnhof steht eine Tribüne, der Platz selbst ist leer. In einem Halbkreis von hundert Meter Radius um das Rednerpult ein Kordon von Titos Garde — ausgesuchten Partisanenoffizieren und Unteroffizieren und Miliz. Hinter ihnen Volk, dann Kinder, Fahnen, Spruchbänder, der in Volksdemokratien bei feierlichen Anlässen übliche Apparat. Der Sonderzug rollt in die Halle, der Marschall steigt aus, begrüßt die Diplomaten, begibt sich zur Tribüne. Er spricht von der Stärke Jugoslawiens, von der Freundschaft zu allen Völkern, die es im Kampfe um seine Unabhängigkeit unterstützten. Er betont, daß die Föderative Volksrepublik gegen jeden, aber auch wirklich gegen jeden sich zur Wehr setzen würde, der diese Freiheit anzu tasten wagte. Von Dimi- troff und von Bulgarien spricht er nicht. — Wenigen Eingeweihten und Beobachtern ist es damals zu Bewußtsein gekommen, daß diese Worte nicht nur an die Adresse seiner „imperialistischen Gegner” im Westen gerichtet waren. Die Atmosphäre Belgrads war nicht mehr dieselbe wie an dem Tage, als russische und jugoslawische Truppen gemeinsam vor dem Marschall defilierten.

Die politische Stellung Jugoslawiens war vom Beginn der Nachkriegszeit an eine andere als die der übrigen Ostblockstaaten. Während in Bulgarien und Rumänien, später in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei die Umformung des Mehrparteienstaates in eine autoritäre Volksdemokratie unter äußerem Druck vor sich ging, war das Antlitz der Föderativen Volksrepublik der Jugoslawen durch die unter Marschall Tito geschlagenen Partisanenschlachten des zweiten Weltkrieges geprägt, ehe noch die Feindseligkeiten eingestellt wurden. Hier wurde der Opposition keine Ruhepause vergönnt; Tito war nicht gewillt, um eines Scheines von Legalität willen seinen Anspruch auf Alleinherrschaft auch nur vorübergehend einzuschränken. Hier hatte der Freiheitskampf ein gesteigertes Nationalgefühl hinterlassen, das im Verein mit einer staatlichen Wirtschaftsdiktatur und mit dem Versuche, nach der Ausschaltung der Oppositionsführer ihre Anhänger in der Nationalen Front zu „einigen”, für das System Titos charakteristisch wurde. Der in die Trikolore auf genommene rote Stern sollte mehr ein Ausdruck der Sympathie als der Unterwerfung unter die Befehle Moskaus sein. Die Armut des Landes, die ausgedehnten Zerstörungen und die Ausrottung eines Großteils der Intelligenz im Verlaufe des grausamen Zweifrontenkrieges erleichterten die Machtergreifung des Mannes, der sich auf seine, von ihm zum Siege geführten Divisionen stützen konnte. So war es ihm möglich, einen Teil der Bevölkerung auf seiner Seitę zu haben, auch als es zur Durchführung radikaler Maßnahmen kam. Die Tatsache, daß nur mehr wenige materiell etwas zu verlieren hatten, mag diesen Vorgang gefördert haben. Die Radikalisierung kennzeichnete auch den Weg der Außenpolitik. Obwohl Tito mehr dem Westen als dem Osten seinen Sieg verdankte, schwenkte er zu Rußland über, weil er sich von dieser Verbindung für seine weitreichenden Pläne mehr versprach und sie als Deckung für den Umbau des Staates ansah.

Um die Lagerfeuer an der Drina und in den Felsenschluchten des Dormitormassivs ist eine neue, bedingungslos zu Tito stehende „W ald” - Aristokratie entstanden, die in „ihrem” neuen Staate mit Stolz den Partisanenstern trägt, in den Städten in großen Wohnungen lebt und eine monatliche Zulage bezieht, die ein für jugoslawische Nachkriegsbegriffe angenehmes Leben sichert. Von Natur aus weder Offiziere noch Politiker, übernahmen sie alle hohen Funktionen in Staat, Partei und Armee und überboten an Disziplin und Rigorosität alle anderen Amtsträger. Der rote Stern, unter dem sie gekämpft hatten, ist das Abzeichen ihrer Verdienste, er ist ein Parcisanenstern ohne das Symbol des Kremls.

Sind diese Prätorianer heute noch bereit, gegen jeden vorzugehen, der die von ihnen auf den Schild gehobenen Führer absetzen will und dadurch ihre Ansprüche gefährdet? Das ist die Frage, sie wird bejaht. Der einzige Mann, der außer Tito bei ihnen in hohem Ansehen steht, ist D j i 1 a s. Er besitzt ihr Vertrauen und sein Einfluß auf sie ist so groß, daß er ihn einmal sogar fast in Gegensatz zum Marschall brachte. Daß auch sein Name im Bannfluch der Komintern genannt ist, scheidet praktish die Möglichkeit aus, daß die stark mit Partisanen durchsetzte Armee gegen Tito ausgespielt werden könnte. Als dritten Ketzer hat die Kominform Rankovitsch angeprangert. Seine ‘ dreihunderttausend Mann starke Osna — die Staatspolizei Jugoslawiens — beherrscht das gesamte öffentliche und teilweise auch das private Leben in diesem Staate. Jeder Angehörige dieser Terrororganisation hat mehr als einmal das Gesetz gebogen, daher sind diese Osna- Leute in ihrem eigenen Interesse ihrem Chef verbunden; seine Absetzung würde ihre Schutzlosigkeit bedeuten. Hier wäre vielleicht die Möglichkeit eines Staatsstreiches gegen Tito und für Moskau gewesen. Aber wie Djiks steht Rankovitsch auf seiten Titos.

Wie bei allen Oststaaten bedeutete auch für Jugoslawien der Marsh all-Plan der USA den Rubikon, den es gerne überschritten hätte. Nach dem Anlaufen des ersten Fünfjahresplans wurde das Land durch die Ost-West-Spannungen auf seine eigenen spärlichen Reserven zurückgeworfen. Von Rußland hat es wenig wirtschaftliche Hilfe zu erwarten, da dieses selbst nur mit ungeheuren Anstrengungen seinen eigenen Wiederaufbau wird durchführen können. Die ersten Vorverhandlungen mit dem Westen hatten in Belgrad bereits begonnen, als ohne Wissen der Jugoslawen eine TASS-Aussendung bekanntgab, daß Jugoslawien die Teilnahme am Marshall-Plan ablehne. Der Westen bedauerte und ließ wissen, daß weiterhin im Europahilfskomitee ein Platz für Jugoslawien freigelassen werde. Die zunehmende Spannung und Gereiztheit zwischen Jugoslawien und der Sowjet poli tik äußerte sich sogar in einem Konkurrenzkämpfe um eine Anzahl deutscher Wirtschaftsfachleute: Tito hatte sie bereits engagiert, sowjetische Agenten aber versuchten, sie zu überreden, nach Rußland zu gehen.

Das west-östliche Tauziehen im Vorfeld der Großmächte wird durch erbitterte Rivalitätskämpfe innerhalb des Ostblocks beeinflußt. Die Freundschaft zwischen Di- mitroff und Tito wurde von Anfang an skeptisch betrachtet. Der bulgarische Staatsbesuch war mit dem einem Staatsoberhaupt zu stehenden Zeremon iell jedoeh bei sehr kühler Temperatur abgewickelt worden. Als der bulgarische Ministerpräsident den Wunsch äußerte, auch vom Volke 4er kroatischen Hauptstadt Agram gefeiert zu werden, um damit die Weite seiner Ideen zu manifestieren, wurde ihm der Besuch zugebilligt und der Gast, der im Sonderzug in Agram eintraf, wurde vom Stadtrat und von Vertretern der Nationalen Front in aller Höflichkeit begrüßt. Als aber eine halbe Stunde später Marschall Tito in der kroatischen Hauptstadt erschien, war für stürmischen Jubel in allen Straßen vorgesorgt. Umgekehrt soll sich Tito bei seinem Besuch in Sofia äußerst unfreundlich gegen seinen Gegenspieler benommen haben. Man erzählt sogar, daß er ihn vom Mikrophon verdrängte, um selbst als erster das Wort zu ergreifen. Diese an sich geringfügigen Rankünen verraten den erbitterten Kampf um die Führung auf dem Balkan. Dimitroffs erster Versuch einer Balkanunion wurde von Moskau zurückgewiesen. Versucht er jetzt unter Zuhilfenahme der Kominform Tito auszuschalten? Und das jugoslawische Mazedonien für Großbulgarien zu gewinnen?

Prophezeiungen anzustellen, ob der Streit um Tito nur ein Zwischenspiel oder eine historische Krise anzeigt und in welcher Weise sich diese Zwistigkeiten zwischen den kommunistischen Führern des Ostblockes auswirken werden, ist heute müßig. Man kann sich allerdings schwer des Gefühles erwehren, daß Tito sich seines Vorteils bewußt ist, seine Politik selbst zu entscheiden, während scheinbar im Lager seiner Gegner noch keine Einheitlichkeit der Meinungen herrscht. Die Widersprüche reichen bis in das Führungsgefüge der östlichen Weltmacht: im Politbüro stehen Kominform- anhänger und -gegner einander gegenüber. Und im Ostblock selbst sind schwere Schäden der Maschinerie sichtbar geworden. Beiden, der Kominform und Tito, wird es schwer fallen, die rollenden Würfel wieder in den Becher zurückzubringen. Mag Tito planen, das rote Gegenstück zu Franco zu werden, mag er die Führung in einem kommunistisch-antisowjetischen Block der Slawen anstreben, mag ihm dies gelingen oder nicht — die Welt weiß jetzt, daß dgs Material des „eisernen Vorhangs” nicht bruchsicher ist.

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