Zwölf Hefte im Giftschrank der Partei

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Reichstagsbrand, World Trade Center: Wo sich die Bilder gleichen - und wo sie es überhaupt nicht tun. Die Tagebücher von Georgi Dimitroff.

Der Gefangene notiert noch am Tag seiner Verhaftung, dem 9. März 1933, was man ihm abgenommen hat: Aktentasche, Uhr, Brille, Füllfeder, ein mexikanisches "Portmone" mit Ehering, einen silbernen Bleistift, zwei kleine Messerchen, ein kleines deutsch-französisches Wörterbuch, einen Kamm, eine Pfeife, vier Zigarren, 200 Zigaretten, 250 Reichsmark und zehn Dollar. Man hat ihm Handfesseln angelegt, doch Brille, Feder und Pfeife werden zurückgegeben. Nach drei Wochen darf er auch eine Zeitung bestellen, aber keine kommunistische oder sozialdemokratische, nun macht er sich laufend Notizen über das Gelesene.

Er ist Bulgare, führt aber, wohl um Schwierigkeiten zu vermeiden, sein Tagebuch auf Deutsch. Am 3. April notiert er: "Erste Vernehmung bei Untersuchungsrichter des Reichsgerichtes. Erhalten das ,Beschluss', das auf der Antrag des Oberreichsanwalts vom 30. März 1933 wird die Voruntersuchung gegen van der Lubbe auch auf mich ausgedehnt ... gemeinschaftlich mit dem Maurer Marinus van der Lubbe ... a) es unternommen zu haben, die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern, b) vorsätzlich das Reichstagsgebäude, welches zur Wohnung von Menschen dient, in Brand gesetzt zu haben, und zwar indem die Brandstiftung in der Absicht begangen worden ist, um unter Begünstigung derselben einen Aufruhr zu erregen."

Bulgariens KP-Chef Georgi Dimitroff hinterließ, als er am 2. Juli 1949 im Sanatorium Barwicha bei Moskau starb, Tagebücher: 12 Hefte und neun Einzelblätter. Sie decken, mit Lücken, die Zeit vom 9. März 1933 bis zur Abreise des kranken Parteiführers nach Moskau ab und wanderten nach seinem Tod in den Giftschrank. Erst ab den sechziger Jahren erhielten ausgewählte Historiker Zugang zu ausgewählten Teilen. Nach dem Sturz von Todor Schifkoff 1989 wurde das Manuskript zugänglich, 1997 erschien in Sofia eine bulgarische Ausgabe der auf Bulgarisch, Russisch und Deutsch geschriebenen Aufzeichnungen in einer Auflage von 1.000 Stück. Dimitroff, der das Deutsche und Russische nicht perfekt beherrschte, verwendete mitunter in einem Satz alle drei Sprachen und mischte in einem Wort lateinische und cyrillische Buchstaben.

Der Berliner Aufbau-Verlag publizierte zunächst die Tagebücher der Jahre 1933 bis 1943 in einer gegenüber der bulgarischen Ausgabe verbesserten zweibändigen Edition. Der Band mit Kommentaren und Materialien enthält Einführungskapitel, eine politische Chronik, Anmerkungen, eine Bibliographie, Kurzbiographien sowie ein Register, wobei viele Vornamen, Pseudonyme und Kürzel entschlüsselt werden konnten.

Die Anklage, den Reichstag angezündet zu haben, führte zur großen Wende in Dimitroffs Leben. Seine fulminante Verteidigung, die messerscharfen Attacken des Angeklagten gegen Hermann Goering in öffentlicher Verhandlung, der sensationelle Freispruch machten ihn zum Helden. Er wurde zunächst weiter festgehalten. Nachdem ihm Stalin die sowjetische Staatsbürgerschaft verliehen hatte, gestattete Hitler, ihn mit einem Sonderflugzeug nach Moskau zu holen. Er war damals an einem Konflikt nicht interessiert. Stalin machte Dimitroff zum Generalsekretär der Komintern (Kommunistische Internationale), des Befehlszentrums aller kommunistischen Bewegungen außerhalb der Sowjetunion.

Hitler nahm den Brand zum Anlass für Massenverhaftungen und zum Vorwand einer noch schnelleren Abschaffung von Freiheiten und Rechten. Nach Dimitroffs Freispruch war fast jeder, der kein Nazi war, davon überzeugt, dass sie den Brand selbst gelegt hatten. Noch lang nach dem Krieg fiel es vielen schwer, an den Alleingang van der Lubbes zu glauben. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch das NS-Regime von Dimitroffs Schuld überzeugt war. Mehr oder weniger stark, und weil es ihm so gut in den Kram passte.

Nur der Beweis zählt

Damit wären wir bei der Aktualität des Reichstagsbrandes und der Tagebücher. Die Parallele zum Anschlag auf das World Trade Center ist, mit einem großen Unterschied, verblüffend. Der gewaltige Unterschied: Georgi Dimitroff hatte mit dem Reichstagsbrand nicht das Geringste zu tun. Auch die Kommunisten hatten nichts damit zu tun, Brandstiftung gehörte nicht zu ihrem Repertoire. Die Parallele: Möglicherweise kann man Osama bin Laden die Urheberschaft am Massenmord (beim Reichstagsbrand kam niemand zu Schaden) genau so wenig nachweisen wie anno 1933 Georgi Dimitroff die am Brand.

Denn vor Gericht zählt nicht, "was jedermann weiß", oder glaubt, oder zu wissen glaubt, oder glauben möchte, sondern nur der Beweis. In einem fairen Verfahren könnte es zu einem Freispruch bin Ladens kommen, wenn die Verteidigung die Geschworenen davon überzeugt, dass die Indizien zu dünn sind. Selbst das öffentliche Bekenntnis zu den Anschlägen auf die US-Botschaften wäre plötzlich nicht mehr als ein Indiz, wenn es vom Angeklagten zurückgezogen und für falsch erklärt wird.

Die Nichtbeteiligung der Nazis am Reichstagsbrand wurde erst nach Jahrzehnten erwiesen und auch dann nicht allgemein geglaubt. Dimitroffs Schuldspruch schien ihnen wohl eine sichere Sache zu sein. Der Freispruch bewies, dass die Rechnung der Diktatur mit der Justiz nicht aufgehen muss, so lange sie die Justiz nicht völlig in der Hand hat. Wo Stalin an die Macht kam, sorgte er denn auch blitzartig dafür, dass er sie in die Hand bekam. Eine Demokratie hat die Justiz nie in der Hand. Kann sie ihrer sicher sein, ist sie keine Demokratie mehr. Dies macht, bei allen Verschiedenheiten, nach fast siebzig Jahren die Aktualität des Reichstagsbrandprozesses aus. An diese Lehre erinnert er.

Dimitroffs weiterer Weg war der typische Weg eines Kommunisten in unmittelbarer Umgebung Stalins. Er beginnt als revolutionärer Feuerkopf, der die Massen begeistert, und endet als Apparatschik, der um sein Leben bangt. Seinen frühen Heften vertraut er noch eigene Beurteilungen an, die späteren dienen über weite Strecken der Absicherung. Trotzdem hätte ihm im Falle eines Falles einiges gefährlich werden können. Auf manches andere hätte er pochen können - falls er die Chance erhielt, sich zu rechtfertigen. Hatte sich Stalin entschlossen, jemanden zu beseitigen, kam es aber auf Schuld- oder Unschuldsbeweise nicht mehr an. Das wusste Dimitrow, das wusste jeder in Stalins Umgebung.

Am 23. November 1938 wird Moskwin, einer von Dimitroffs engsten Mitarbeitern, zum NKWD beordert. 23. November: "Er ist nicht zurückgekommen!" 25 November: "Habe M(oskwins) Funktionen übernommen."

In dieser Atmosphäre gerann jeder Rülpser, der den Launen und dem Verfolgungswahn des Diktators entsprang, zur politischen Linie. Auch dafür finden sich in Dimitroffs Tagebüchern verblüffende Belege. Privates findet sich verhältnismäßig wenig. Im März 1943 stürzen ihn jedoch die zweiwöchige Krankheit und der Tod des siebenjährigen Sohnes Mitja in eine tiefe Krise. Trotzdem macht er zwischen den privaten Notizen laufend politische Aufzeichnungen. Das Kind hat eine bösartige Diphtherie. Zwischen seinen Besuchen im Krankenhaus und ausführlichen Notizen über den Krankheitsverlauf instruiert er zwei Spanier, "die via London an die französisch-spanische Grenze geschickt werden, um nach Spanien (Valencia oder Madrid) zu gelangen" (sie sollen mit der Untergrund-KP Kontakt aufnehmen und eine Funkverbindung herstellen) und gibt nach London reisenden Funkern, die in Frankreich zum Einsatz kommen, Anweisungen. Er instruiert Redakteure ("Da die Artikel über den Vormarsch der Roten Armee geschrieben wurden, bevor dieser ins Stocken geriet, müsste Stalins Hinweisen auf die bevorstehenden Schwierigkeiten, Prüfungen usw. mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden"), konferiert mit Dolores und sendet "Ercoli" Glückwünsche zum 50. Geburtstag. Dolores ist die spanische Kommunistenführerin Dolores Ibárruri ("Passionaria"), "Ercoli" einer der Decknamen des langjährigen italienischen KP-Generalsekretärs und späteren Ministers Palmiro Togliatti. In der deutschen Edition werden mehr Decknamen, Vornamen und Abkürzungen aufgelöst als im Original.

Privates Leid

Dazwischen macht sich Dimitroffs Verzweiflung Luft: "Ich dachte, ich hätte die größten Leiden im Gefängnis ertragen, doch nun stellt sich heraus, dass es noch viel schwerere Leiden zu durchstehen gilt!" In den folgenden Wochen erzählen die Tagebücher von großer und kleiner Politik und persönlichem Schmerz. Immer wieder heißt es: "War mit Rosi an Mitjas Grab!". Oder: "Morgens mit Rosi an Mitjas Grab." Oder: ",Sonntag.' (Die zweite Woche ohne Mitja!)" Oder: "Je mehr die Zeit verstreicht, desto tiefer und schärfer der Schmerz." Und immer wieder: "Den bulgarischen Rundfunkkommentar redigiert." Auf den letzten Seiten erfahren wir von einer Besprechung mit den österreichischen Kommunisten Koplenig und Fürnberg über die Entsendung der Funkerinnen Soucek und Mraz nach Österreich. Die Edition endet vorerst mit der Auflösung der Komintern.

Sie ist eines der vielen Beispiele für Stalins außenpolitische Vorsicht. Die Unterstützung der Republikaner im spanischen Bürgerkrieg muss ihm mehr oder weniger abgerungen werden. Der spätere Bruch mit Tito zeichnet sich schon in den Kriegsjahren ab, da Stalin die westlichen Bündnispartner nicht verärgern will und Titos Partisanen im Regen stehen lässt. Aus ähnlichen Gründen löst er die Komintern auf. Der Einfluss der Geheimdienste in der Komintern war schon bisher groß. Nicht zu Dimitroffs Freude, wie wir aus Andeutungen erfahren. Ab nun haben sie in den Auslandsbeziehungen das Sagen. Mit dem Satz "War am Morgen mit Rosi an Mitjas Grab" bricht der Band ab.

GEORGI DIMITROFF

Band 1: Tagebücher 1933 - 1943; Band 2: Kommentare und Materialien. Herausgeber: Bernhard H. Bayerlein, Wladislaw Hedeler. Aufbau Verlag, Berlin 2000. 712 und 774 Seiten, Fotos, geb., Schuber, öS 729,- /e 52,98

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