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Zypern zwischen England und Hellas

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Athen, im März Der Erzbischof von Zypern wurde vom Gouverneur der Insel verhaftet und fortgebracht. Mit ihm teilten drei seiner Getreuesten, alles hohe geistliche Würdenträger der griechischorthodoxen Kirche, sein Schicksal. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von der Verhaftung des Erzbischofs auf der Insel, die Kirchenglöcken begannen überall zu läuten — Wenige Tage später wurden die vier Verhafteten hingerichtet. Vierhundert andere Griechen kamen bei dem Blutbad ums Leben.

Das war vor 13 5 Jahren, während des Freiheitskrieges Griechenlands gegen die Türkei, Die ganze zivilisierte Welt stand damals auf der Seite Griechenlands. Auch England. Der Gouverneur der Insel aber, der diese schwere Blutschuld auf sich lud, war Türke.'

Der Erzbischof von Zypern, Makarios, wurde vom Gouverneur der Insel, Feldmarschall Sir John Harding, verhaftet, als er eben in Nicosia, seiner Residenz, das Flugzeug besteigen wollte, um sich zu Besprechungen mit der griechischen Regierung nach Athen zu begeben. Er wurde auf dem Luftwege aus Zypern deportiert. Mit ihm teilten drei seiner. Getreuesten, alles hohe geistliche Würdenträger der griechisch-orthodoxen Kirche, unter ihnen auch Bischof Kypri-anos von Kyrenia, sein Schicksal. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht auf der Insel, in Nicosia und Famagusta, in Kyrenia und Paphos, wo der Sage nach einst Aphrodite, die „Schaumgeborene“, den Wellen entstieg, und in allen Dörfern der Insel begannen die Kirchenglocken zu läuten ... Es war wie vor 135 Jahren.

In einem freilifti unterscheidet sich das Schicksal Makarios' von dem seines Vorgängers: er muß nicht befürchten, ermordet zu werden. Er wird auf der Insel Mahe, die zu den Seychellen gehört, die an die tausend Kilometer nördlich von Madagaskar liegen, ein seiner Würde angemessenes Exil erhalten. Wir schreiben das Jahr 1956. Der Gouverneur Zyperns ist Engländer.

Erzbischof Makarios wurde auf dem Athener Flugplatz Kellenikon vergeblich erwartet. Tausende von Menschen hatten sich auf dem unmittelbar am Meer gelegenen Flugplatz eingefunden, um dem Erzbischof einen begeisterten Empfang zu bereiten. Als die Nachricht von seiner Verhaftung und zwangsweisen Deportation bekannt wurde, kam es zu heftigen Demonstrationen. In der Stadt erfolgten Umzüge, wiederholt ereigneten sich Zusammenstöße mit der Polizei, die sichtlich widerwillig ihrer Pflicht, die britische Botschaft und andere britische Gebäude durch einen Sicherheitskordon abzuriegeln, nachkam. Panzerwagen rollen durch die Stadt; die Studenten, wie immer die ersten, die ihrer Empörung Luft machten, verbrannten die britische Fahne; die Universität wurde geschlossen. Zur Stunde, da diese Zeilen geschrieben werden, nehmen die Unruhen immer größere Ausmaße an.

Wichtiger aber als alle diese mehr oder weniger spontanen Massendemonstrationen, deren es in Athen in letzter Zeit nicht gemangelt hat, sind die Maßnahmen, die die Regierung Karamanlis, die unmittelbar nach Bekanntwerden der Verschleppung des Erzbischofs der Zypriotenkirche zu einer Sondersitzung zusammentrat, beschlossen hat. Diese sind; Sofortige Abberufung des griechischen Botschafters in London, Mostras; Appell an die Vereinten Nationen; Protest beim Sicherheitsrat. Die Regierung ist gewillt, künftighin in aller Schärfe den Anspruch Griechenlands auf ein freies, unabhängiges-(und das-heißt weiter: griechisches) Zypern zu vertreten. Karamanlis darf bei diesem Vorgehen auf die Unterstützung aller im Parlament vertretenen Parteien rechnen, war doch die Zypernfrage schon während des vergangenen Wahlkampfes so ziemlich der einzige Punkt, in dem die Regierung und die im Oppositionsblock vereinigten liberalen und linksgerichteten Parteien einer Meinung waren (wenn auch freilich die Oppositionsparteien Karamanlis den Vorwurf nicht ersparten, er sei m unbefriedigenden Erfolg der Zypernverhandlungen mit England schuld). ;,Die griechische Außenpolitik ist in eine kritische Phase getreten“, erklärte der Ministerpräsident nun. Die weiteren Maßnahmen der Regierung sind'noch nicht abzusehen; ohne Zweifel werden sie sehr ernst sein. Welche Stellungnahme aber eine griechische Regierung, die von den jetzigen Oppositionsparteien gebildet worden wäre, bezogen hätte, ist nicht zu sagen; die Möglichkeit eines Ausscheidens Griechenlands aus der NATO und damit aus der Verteidigungsgemeinschaft des Westens wurde in einzelnen Blättern vor der Wahl angedeutet. So wäre es unter Umständen nur der Amerikafreundlichkeit Karamanlis' zu danken, wenn jetzt ein solcher Schritt nicht erfolgen sollte. Aber auch so dürfte sich die zukünftige Zusammenarbeit Großbritanniens und Griechenlands in der NATO zumindest sehr schwierig gestalten, der östliche Mittelmeerraum hat sich — nicht zuletzt auch durch die Erschütterung der Stellung Großbritanniens im Jordan — in ein Gefahrenzentrum ersten Ranges verwandelt.

Noch gewaltiger und auch gewaltsamer als in Athen waren die Demonstrationen der Griechen auf Kypros, wie die Insel auf griechisch heißt, selbst. Arbeiter und Angestellte traten in allen größeren Städten spontan in den Streik. Immer wieder mußte die Polizei Tränengas gegen die empörte Bevölkerung einsetzen. Die Demonstranten, unter ihnen immer wieder auch Schulkinder, warfen Steine auf die britischen Soldaten, die lange Stöcke und runde Lederschilder tragen, um sich gegen den Steinhagel jugendlicher Angreifer verteidigen zu können. Viele Verhaftungen wurden vorgenommen. Die Insel steht unter Ausnahmegesetzen.

Um die Tragweite der Verhaftung Makarios' zu verstehen, muß man die Bedeutung, der Stellung kennen, die er auf Zypern einnahm. Er ist als Erzbischof von Zypern das Oberhaupt der orthodoxen zyprischen Kirche; als Führer der E n o s i s-Bewegung, die die Unabhängigkeit für Zypern und den Anschluß der Insel an Griechenland fordert, ist er die Seele aller Bestrebungen, die ein „Heim nach Hellas“ verlangen; traditionsgemäß ist der Erzbischof auch das weltliche Oberhaupt der Gläubigen. Als Führer dieser Enosis-Bewegung, die von allen 418.000 griechischen (meist bäuerlichen) Einwohnern der Insel (denen nur 92.000 Türken, 6000 Armenier und Juden und 3000 Briten sowie 20.000 Mann britischer Truppen gegenüberstehen) unterstützt wird, verhandelte er in den letzten Wochen auch mit Generalgouverneur Sir John Harding über eine neue Verfassung für Zypern. (Diese Enosis-Bewegung darf nicht mit der geheimen EOKA-Organisation verwechselt werden; die Beschuldigung, Makarios sei mit ihr, zu deren Lasten die Bombenanschläge und Ausschreitungen gegen die englischen Besatzungstruppen gehen, in Verbindung gestanden, war ja der offiziell bekannt-- gegebene Grund seiner Deportation.) Diese Verhandlungen über die künftige Verfassung der Insel scheiterten, weil Harding den beiden Hauptforderungen Makarios' nicht zustimmen konnte: proportionale Verteilung der Sitze im zyprischen Parlament (was den Griechen eine Vicrfünftel-mehrheit gesichert hätte!) und allgemeine Amnestie. • &#9632;&#9632;'.}' <*£j.

Ein günstiges Ergebnis dieser Verhandlungen wären die einzige Möglichkeit gewesen, die Insel wirklich zu befrieden. Seit den Unruhen von 19ll besitzt Zypern kein eigenes Parlament, keine Volksvertretung mehr; die Tatsache, daß es unter der Koloriialverwaltung eines anderen Landes steht, dessen Gouverneur Militär ist, wird als besonders drückend empfunden. Das Recht auf Selbstbestimmung, zumindest aber einige Freiheiten und vor allem die Selbstverwaltung waren die Zyprioten schon wiederholt, insbesondere als man sie während der beiden Weltkriege brauchte, versprochen worden. Sir John Harding hätte' versuchen müssen, unter allen Umständen seine Besprechungen mit dem Erzbischof zu einem günstigen .Abschluß zu bringen, gerade weil Zypern nicht bloß irgendeine Kolonie, sondern- strategisch der eine Schlüssel zum Mittelmeerraum ist. So wie Gibraltar der andere ist. Eine Insel, auf der der Aufruhr gart, ist kein sicherer Stützpunkt. Auch den Eindruck, den die Deportation auf die arabische:Welt machen sollte, hat man in London nicht richtig eingeschätzt.

Der ausländische Besucher Athens erhielt in diesen Wochen von der Zentrale für Fremdenverkehr eine illustrierte Broschüre, deren Bilder mehr als Worte die Bedeutung Makarios' für Griechenland unterstreichen; unter dem einen von ihnen steht: die feurige Persönlichkeit des nationalen Führers Makarios ist ein Symbol im Kampf der Zyprioten um ihre Freiheit; ein anderes Bild zeigt ein herzförmiges, sehr großes Holz-, oder Pappschild, über dem eine kleine griechische Flagge angebracht ist, und auf dem die Worte stehen: Ellas-Kypros-Enosis; in der Mitte des Herzens aber befindet sich das Bild Makarios'. Daneben, aber schon abseits, hängt das Bild der .griechischen Königin. /Makarios war das Symbol des zyprischen Freibeitswillerrs, die Seele der Bevölkerung. Es ist aber Unsinn, ihn als Führer der EOKA-Untergrundbewegung zu bezeichnen; als solcher agiert ein Mann, von dem nur der Deckname-,J)ighemnis“ bekannt ist; ohne Zweifel aber hat der Erzbischof mit der EOKA sympathisiert, doch hat er für viele. Zyprioten, die von den Briten zu Geldbußen verurteilt wurden, diese bezahlt, 1 Nun, nach seiner Verhaftung, muß er allen zyprischen Griechen als Märtyrer erscheinen. Eine Welle der Empörung-und Unruhe wird die Insel ir< absehbarer Zeit nicht zur Ruhe kommen lassen; denn jetzt erscheint das Recht nach Selbstbestimmung allen nötiger als je. Aber die Maßnahme war wohl nicht nur aus diesem Grunde unklug, sondern auch in anderer, Hinsieht unbedacht, denn wie wird ein Ver-treter der westlichen Welt in Zukunft seinen verständlichen Zorn über die ungerechte Verhaftung und Inhaftierung eines Kirchenfürsten in einem der östlichen Satellitenstaaten (denken wir nur an den Fall Mindszenty!) Ausdruck geben können* ohne — zumindest im stillen — sich an den Fall Makarios zu erinnern? Gewiß, der Parallelen mögen wehige sein — doch wurden in beiden Fällen kirchliche Würdenträger, deren bestimmender Einfluß auf die gläubige Bevölkerung den jeweiligen Machthahern unangenehm war, entfernt (wenn: auch auf grundverschiedene Weise).

Der Einfluß der Kirche auf Zypern kann gar nicht unterschätzt werden. Wir wissen, daß die Priester — wie in den Tagen der türkischen Herrschaft, die dreihundert Jahre, von 1571 bis 1878, auf der Insel lastete— heimlich die Geschichte ihres Landes lehren, eine an politischen Umstürzen reiche und blutige Geschichte. Ursprünglich ebenso griechisch wie das Mutterland, wurde Zypern der. Reihe nach von Persern, Makedoniern, Römern erobert Damals kamen Apostel Paulus und Barnabas nach Zypern. Auf die Herrschaft Byzanz' folgte die der Engländer (Richard Löwenherz), dann folgten die Johanniter, die Genuesen, die Venezianer (und mit ihnen Othello), die Türken, und schließlich wieder die Briten. 1914 wurde Zypern endgültig dem britischen Königreich einverleibt, und im Vertrag von Lausanne verzichteten die Türken endgültig auf alle Rechte an der Insel, die sie bis dahin nominell noch aufrecht erhielten. Der letzte blutige Aufstand der Zyprioten fand vor 25 Jahren statt, als sie die Regierungsgebäude niederbrannten. Mit 96 Prozent stimmten sie 1950 für eine Union mit Griechenland,^ein Plebiszit, daß die Grundlage für ihren Appell an die Vereinten Nationen bildete; aber bis heute hat man sie nicht gehört.

Das alles erfahren die Kinder durch ihren Priester, der oft auch ihr erster Lehrer ist, der sie Jesen'lehrt; dann ist die Bibel das erste Lesebuch.Lind dann fügt der Priester hinzu: „Kypros ist griechisch, nicht englisch. Heute aber herrscht Samson auf unserer Insel...“

Die Erwachsenen aber kommen bei ihrem Priester zusammen, um Radio Athen zu hören, oder das ganze Dorf versammelt sich bei dem einen Einwohner, der einen Apparat besitzt; auch das im geheimen; in letzter Zeit wurde sogar ein eigener Störsender errichtet, der den Empfang dieser Sendungen verhindern soll.

Ein Athener Freund berichtete mir: man könne mit einem Griechen über alles diskutieren,man könne ihn auch, so man das Verlangen habe, beschimpfen, nur etwas dürfe man nicht: sagen, daß Zypern englisch sei. Ueber Zypern duldet der Grieche keine Diskussion. Die Verhaftung Erzbischofs Makarios wird den Brand weiter schüren.

Und doch mag die Deportation des Kirchenfürsten, so unglücklich sie auch sein mag, doch schon einen Wendepunkt der Geschichte Zyperns im Sinne Griechenlands beinhalten. Erinnern wir uns an einen ähnlichen Fall: es ist noch nicht drei Jahre her, daß Frankreich den Sultan von Marokko, Mohammed Ben Jussuf, das weltliche und geistliche Oberhaupt der arabischen Bevölkerung Marokkos, zuerst nach Korsika und dann nach Madagaskar ins Exil schickte. Die Maßnahme hatte den entgegengesetzten Erfolg, als man erhofft hatte. Nach zwei Jahren sah man sich gezwungen, den Sultan wieder in Amt und-Würden einzusetzen. Was man ihm früher verweigerte, wird man ihm jetzt geben müssen; die volle Unabhängigkeit für sein Land.

Die Seychellen-Insel, auf die Erzbischof Makarios gebracht wurde, ist keine tausend Kilometer von Madagaskar entfernt...

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