Zeitreisen durch die Wiener Kampfzone

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Die Beziehung zwischen Juden und der Uni Wien ist eine Geschichte, die es in sich hat: Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Wien zeigt die Alma Mater Rudolphina als Brutstätte des Antisemitismus und Ort der Gewalt, aber auch als jüdisches Hoffnungsgebiet.

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Die Beziehung zwischen Juden und der Uni Wien ist eine Geschichte, die es in sich hat: Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Wien zeigt die Alma Mater Rudolphina als Brutstätte des Antisemitismus und Ort der Gewalt, aber auch als jüdisches Hoffnungsgebiet.

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Vertrieben, verhaftet, vernichtet - das war das Schicksal vieler kluger Köpfe, die zur Zeit des NS-Regimes an österreichischen Universitäten lehrten oder studierten. Letztes Jahr, anlässlich ihres 650-Jahr-Jubiläums, zeigte die Uni Wien eine Wanderausstellung mit dem Titel "Bedrohte Intelligenz". Der nationalsozialistische Kahlschlag am Universitätspersonal aus "rassischen" oder sonstigen politischen Gründen wurde dort eindringlich vor Augen geführt. Die Aufarbeitung der dunkelsten Zeiten der Uni Wien ist erst seit knapp 30 Jahren in die Gänge gekommen, und die Vorgeschichte der Vertreibung wurde zuletzt mit neuen Details erhellt (siehe Kasten). Im universitären Selbstverständnis aber zeigt sich, dass historische Tatsachen auch heute noch bei Bedarf missachtet werden, wie zuletzt im Jubiläumsjahr zu beobachten war.

Wie sonst ist es zu erklären, dass die Universität Wien im Vorfeld der 650-Jahr-Feierlichkeiten ein großes Werbeplakat mit dem Slogan "Offen seit 1365" vor dem Hauptgebäude auf der Ringstraße affichieren ließ? Und diesem Sujet trotz der Einwände von Seiten der Medien und Hochschülerschaft (ÖH), wonach die Universität manchen Gruppen eben nicht von Anfang an offenstand, treu blieb? Wie sonst lässt sich verstehen, dass im Zuge der Werbeaktivitäten auch Poster für die Zielgruppe der Frauen erstellt wurden, auf denen die Aufschrift "Besserwisserin seit 1365" ins Auge sprang?

Tatsache freilich ist: Für die bis dahin ausgesperrten Juden öffnete die Universität Wien erst nach 417 Jahren ihre Pforten, für die Frauen überhaupt erst nach 532 Jahren. Und jüdische Frauen, die 1897 sofort ein Viertel der Studentinnen stellten, waren an der Alma Mater Rudolphina in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gleich der doppelten Diskriminierung ausgesetzt: Stand zunächst der sexistische Aspekt im Vordergrund, war dies mit Gründung der Ersten Republik zunehmend der rassistisch-konfessionelle.

Eine schwierige Beziehung

All das erfährt man schon im Entree der Ausstellung "Die Universität. Eine Kampfzone", die noch bis 6. März im Jüdischen Museum Wien zu sehen ist - eine Ausstellung, die die schwierige Beziehung zwischen der Universität Wien und den Juden eben nicht auf die Zeit rund um das NS-Regime einengt, sondern erstmals einen umfassenden Blick auf ein jahrhundertelanges Beziehungsgeflecht unternimmt. Dass frühe historische Fakten dieser Beziehung selbst den Organisatoren des 650-Jahr-Jubiläums der Uni Wien nicht bekannt waren, habe die Realisierung dieses Projekts letztlich bestärkt, bemerkt Danielle Spera, Direktorin des Jüdischen Museums, in ihrem Beitrag zum begleitenden Katalog. Angesichts des "terminlichen Anlasses" der Ausstellung im Jubiläumsjahr, so Spera, wurde die Kooperation mit der Universität Wien gesucht, "die aber schließlich zu unserem großen Bedauern nicht zustande kam." Nur 12.000 Euro - rund ein Zehntel der Kosten - habe das Museum laut Tageszeitung Die Presse als zusätzliche Subventionen erhalten. Inzwischen wurde mit dem Rektorat der Uni Wien nachverhandelt; Studierende der Uni Wien haben seit Dezember freien Eintritt zur Ausstellung.

Unmittelbar nach dem Eingangsbereich begegnet man dem jüdischen Historiker Gerson Wolf, dessen Zitate die Besucher durch die Ausstellung begleiten. Im Jahr 1865, anlässlich ihres 500-jährigen Bestehens, hatte er "Studien zur Jubelfeier der Universität Wien" verfasst. Darin beleuchtet der Gelehrte die vielschichtige Geschichte zwischen den Juden und der Universität, immerzu geprägt von Exklusion und Inklusion: "Es gab", schreibt Wolf über die Frühphase dieser Geschichte, "so viele Hindernisse äußerer und innerer Natur, dass den Juden die Benützung der Universität und die Berührung mit derselben fast unmöglich wurde."

Erst mit dem Toleranzpatent unter Kaiser Joseph II. (1782) erhielten die Juden Zugang zur Wiener Universität, wiewohl weiterhin bürokratische Schikanen bestanden. Nach der bürgerlichen Revolution von 1848 waren sie mit der Märzverfassung auch zur Professur zugelassen. Es dauerte nicht lange, bis jüdische Wissenschafter gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit bahnbrechenden Forschungen zur Glanzzeit der Wiener Universität beitrugen, darunter weltbekannte Ärzte wie Adam Politzer oder Sigmund Freud. Nichtsdestotrotz betont Zeitzeuge Wolf, dass man sich besser taufen ließ, wenn man als Jude eine universitäre Karriere anstreben wollte. Die Universität war jedenfalls zum Hoffnungsort für viele Juden geworden. Auch Wolf, der 1839 mittellos von Mähren nach Wien gekommen war, hatte von den neuen Möglichkeiten profitiert, denn sein geisteswissenschaftliches Studium ermöglichte ihm eine andere Karriere als die vorgesehene Rabbiner-Stelle: Als Journalist, Historiker, Pädagoge und Schriftsteller ist er in die Geschichte eingegangen.

Gespenster der Vergangenheit

Ein Zeitsprung zur 600-Jahr-Feier der Universität Wien 1965 zeigt, wie die Gespenster der Vergangenheit die Alma Mater auch zwanzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch umfangen hielten: Die Zeit vor und während des Nationalsozialismus wurde in den vielen Festreden und -schriften kaum thematisiert; die Professorenriege war noch mit vielen ehemaligen NSDAP-Mitgliedern bestückt. Aber abseits der Uni kamen die nationalsozialistischen und antisemitischen Aussagen des Wirtschaftshistorikers Taras Borodajkewycz ans Licht einer breiten Öffentlichkeit. Bei Demonstrationen gegen ihn wurde Ernst Kirchweger zum ersten Todesopfer einer politischen Auseinandersetzung nach 1945. Verwiesen wird aber auch auf den Antisemitismus der Neuen Linken in den 60er-Jahren.

Der Weg im Jüdischen Museum führt letztlich zurück in die Gegenwart: etwa zu den drei Nobelpreisträgern Walter Kohn (Chemie, 1998), Eric Kandel (Medizin, 2000) und Martin Karplus (Chemie, 2013), die alle aus Wiener jüdischen Familien stammen und bereits vor der Studienzeit aus ihrer Heimatstadt vertrieben worden waren. Ihre Erfolgsgeschichten demonstrieren die versuchte Vereinnahmung durch österreichische Medien, aber auch die späte Annäherung mit dem offiziellen Österreich. Der geistige Aderlass des 20. Jahrhunderts ist heute gut dokumentiert. "Dabei ist unverkennbar", so Danielle Spera, "dass sich die Wiener Universitäten von ihrer Politik des Ausschlusses mit allen Mitteln, die lange vor dem 'Anschluss' 1938 begann, bis heute nicht erholt haben."

Die Universität. Eine Kampfzone

bis 6. März, Jüdisches Museum Wien

So bis Fr, 10-18 Uhr

www.jmw.at

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