Zerklüftete Manifeste

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Das Jüdische Museum Wien zeigt Beispiele neuer identitätsstiftender jüdischer Architektur.

Schon vor der Eröffnung zog das kantig-zerklüftete jüdische Museum von Daniel Libeskind in Berlin Tausende Schaulustige an. Seine einzigartige Form resultiert aus der komplexen Überlagerung von Bedeutungs-, Orts- und Zeitebenen, mächtig und verletzlich zugleich umhaust die Titanzinkfassade mit messerscharf eingeschnittenen Fensterschlitzen den vielfach geknickten, durchkreuzten inneren Weg der Erinnerung. Fünf Leerräume symbolisieren das Unzugängliche: die Auslöschung so vieler Leben.

Wahrzeichen Berlins

Das Museum wurde zum Wahrzeichen Berlins und Synonym einer neuen jüdischen Architektur, die selbstbewusst ihrer Identität Ausdruck verleiht. In Amerika und Israel gibt es bereits eine kontinuierliche Entwicklung, die nun auch Europa erfasste. Hochkaratarchitekten (u.a. Frank O. Gehry, Mario Botta, Zvi Hecker) planten Schulen, Synagogen, Museen. 16 markante Beispiele sind nun in der von Angeli Sachs und Edward van Voolen kuratierten Schau "Eine Zeit zum Bauen" im jüdischen Museum zu bewundern. Anschaulich präsentiert, vermitteln große Farbfotos von Innen-und Außenräumen, eine kluge, sparsame Auswahl an Plänen, Porträts und Architektenskizzen, das Wesen dieser Bauten, ohne Laien zu überfordern.

Als identitätsstiftender roter Faden durchzieht die Wanderschaft die jüdische Geschichte: Abraham machte sich auf den Weg durch die Wüste, Generationen der Diaspora querten die Kontinente, um Heimat in der Fremde zu finden. Mit unerbittlicher Wucht fegte der Holocaust alles hinweg, was dort gewachsen war, eine tiefe Kluft und Leere blieben. All das reflektiert auch die Architektur. Moshe Safdie plante das neue Yad Vashem Holocaust Museum in Jerusalem. Ein 175 Meter langer, 16 Meter hoher, dreieckiger Keil schneidet sich in den Berg des Gedenkens, der Weg führt durch dunkle Vergangenheitsräume, um unter Keilschwingen wieder in Licht, Natur und Gegenwart zu tauchen. Gerade wird in Jerusalem am spektakulären "Museum der Toleranz" von Frank O. Gehry gebaut.

Auch in Europa manifestiert sich ein neues Selbstbewusstsein in Architektur. Bildhaft verweist Zvi Heckers formenreich aufgefächertes Gemeindezentrum in Duisburg auf das Diaspora-Schicksal. 65 Jahre nach der Pogromnacht legte die drittgrößte Kultusgemeinde Deutschlands in München den Grundstein zu ihrem neuen Zentrum am Jakobsplatz im Herz der Stadt. Subtil vereint die Synagoge der deutschen Architekten Wandel Hoefer Lorch zwei Archetypen jüdischer Baukultur: der massive Sockel verweist auf den Tempel, das filigrane Metallgeflecht mit den eingewobenen Davidssternen darüber auf das Stiftzelt als Heiligtum des wandernden Volkes. Auch ihre vielbeachtete Dresdner Synagoge verbindet beide Charakteristika sehr vornehm.

Beispiele in Wien

In Wien realisierte Adolf Krischanitz zwei neue jüdische Bauten: die dunkelgraue, puristische Neue-Welt-Schule im Prater und die Lauder Chabad-Schule. Reflexiven Einstieg ins Thema der von August Sarnitz gestalterisch adaptierten Schau bilden Schülerkommentare. Ein Modell von Rachel Whitereads Denkmal und der umsichtige Umbau des Misrachi-Hauses durch Jabornegg-Pálffy am Judenplatz illustrieren den stillen Wiener Weg.

Eine Zeit zum Bauen

Jüdische Identität in der

zeitgenössischen Architektur

Jüdisches Museum Wien

Dorotheergasse 11, 1010 Wien

www.jmw.at

bis 4. 9., So-Fr 10-18, Do 10-20 Uhr

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