Zermürbender Rosenkrieg

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Einen guten Riecher hat das Forum Alpbach bewiesen, als es vor einem Jahr die transatlantischen Beziehungen zum Thema der politischen und wirtschaftlichen Gespräche 2003 ausgewählt hat. Politikwissenschafter von diesseits und jenseits des Atlantiks erklären die tiefe Kluft. Ein Blick in die Geschichte zeigt, warum die USA mehr als Europa Migranten willkommen heißen, Stimmen aus Politik und Wirtschaft runden das Dossier ab. In Kooperation mit dem Bundeskanzleramt; die redaktionelle Verantwortung liegt bei der Furche. Gestaltung: Wolfgang Machreich

Ein Zahlensturz hat Schuld am transatlantischen Zerwürfniss, meint der deutsche Publizist und langjährige Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit Theo Sommer: "Für Amerika ist 9/11 der defining moment unserer Epoche, der geschichtsmächtige Augenblick, der alles Handeln bestimmt. Für die Europäer ist es 11/9 - wobei 9/11 für den 11. September 2001 steht, den Tag der El Kaida-Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon; 11/9 aber für den 9. November 1989, den Tag, an dem die Berliner Mauer fiel."

9/11 oder 11/9?

Aus dem Zahlensturz ergeben sich verschiedene Prioritäten diesseits und jenseits des Atlantiks, lautet die Schlussfolgerung von Sommer. Während sich die Amerikaner in einen weltweiten Krieg gegen den Terrorismus verstrickt sehen, halten die Europäer nichts von einer übermilitarisierten Politik. Europa setze auf das, was eine Zivilmacht ausmacht, meint Sommer: Verhandlung, Versöhnung, Kompromiss, Völkerrecht, Verzicht auf Souveränität - und ist gegenwärtig auch vollauf mit sich selbst und der Vereinigung des Kontinents in der EU beschäftigt.

So verschieden die Vorträge, und Diskussionsbeiträge bei den politischen und wirtschaftlichen Gesprächen in Alpbach auch sind. Ohne ein Datum kommt keine Wortmeldung aus, die das Missverhältnis zwischen den USA und Europa erklären will: Der 11. September ist auch in Alpbach zur allgegenwärtigen Metapher für die Zeitenwende und die dadurch ausgelösten Auffassungsunterschiede zwischen der alten und der neuen Welt geworden. Händeringend versuchen die amerikanischen Referenten die Europäer von der Bedeutung dieses Datums zu überzeugen. Und die Europäer nicken zwar, aber trotzdem kommt keine völlige Übereinstimmung zu Stande.

Als ob er sich "zwischen zwei Planeten" bewegen würde, beschreibt der Direktor des "Centrums für angewandte Politikforschung" in München, Werner Weidenfeld (siehe auch Interview auf Seite 22), seine Reisen von Europa nach Amerika und zurück. Und seine Analysen und Kommentare zur Situation versucht Weidenfeld immer gleich vor Ort niederzuschreiben, denn "diese spezielle Atmosphäre spürt man nur in den USA". Weidenfeld sieht für das zukünftige Miteinander von Amerika und Europa zwei Alternativen: Entweder die beiden Kontinente driften weiter auseinander und es kommt nur mehr zu einer "situativen Zusammenarbeit". Oder beide Seiten unternehmen eine "politisch-kulturelle Kraftanstrengung" und schaffen eine erneuerte "vitale Allianz".

Kritik an seiner "pessimistischen Sicht" muss sich der Politikwissenschafter daraufhin aus den Reihen der Politik gefallen lassen. Die österreichische Außenministerin lässt die Schwarz-Weiß-Alternative des Deutschen nicht gelten. Benita Ferrero-Waldner weigert sich Weidenfelds "Hopp-oder-dropp"-Szenario für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen anzunehmen. Für Ferrero-Waldner sind auch "Zwischenstufen der Zusammenarbeit" vorstellbar, die über Zeiten, in denen die Auffassungsunterschiede dominieren, hinweghelfen können. Der Ton macht aber auch in dieser Beziehung, so die Außenministerin, die Musik. Ferrero-Waldner legt daher großen Wert darauf, "dass die Differenzen offen angesprochen werden, ohne verletzend zu sein." Denn "auch in der Politik spielt die Psychologie eine wichtige Rolle".

Eine Meinung, der Michael Haltzel vom Außenpolitischen Ausschuss des US-Senats uneingeschränkt zustimmt. "Words and style matter", bringt er das Thema auf den Punkt und gibt zu, dass, Worte und Stil betreffend, US-Präsident George W. Bush einer "manichäischen Sichtweise" anhängt, die die Welt in Gut und Böse einteilt. Für Haltzel ist diese Krise im transatlantischen Bündnis "qualitativ und quantitativ schlimmer als alle zuvor". Er fordert, alles zu unternehmen, dass aus dem "Rosenkrieg keine endgültige Scheidung wird".

Dazu gehört auch, dass die Europäer ihre "unrealistische und naive Weltsicht" aufgeben, kritisiert Haltzel. Die USA seien jedenfalls nicht bereit, meint der Demokrat im amerikanischen Senat, "bei dieser europäischen Scheinheiligkeit mitzuspielen". Während für Japan im Kyoto-Abkommen und für Frankreich in der Frage des Internationalen Strafgerichtshofes ohne großes Aufsehen Ausnahmen akzeptiert wurden, haben die Europäer Bushs Amerika in diesen und anderen Fragen an den Pranger gestellt. Jenes Amerika, betont Haltzel, das in Jugoslawien für das "untätige Europa" die Kastanien aus dem Feuer geholt hat.

USA völlig missverstanden

Haltzels Befürchtung ist, dass die andauernde Kritik an der gegenwärtigen US-Politik von Seiten Europas zu einer "gefährlichen Misscharakterisierung der USA" in den Augen der Europäer führt. "Regierungen kommen und gehen", versucht Haltzel deswegen die Bedeutung der Bush-Administration zu relativieren, "aber unsere gemeinsamen Werte bleiben und sind das eigentliche Fundament unserer Gesellschaften".

Derzeit werden die Gemeinsamkeiten noch überdeckt, ist auch Haltzel überzeugt, vom "starrsinnigen Unwillen" der Europäer, das "tiefe Trauma" zu verstehen, das der 11. September in den USA ausgelöst hat. 9/11 und 11/9: Dieser Zahlensturz konnte auch in Alpbach nicht geordnet werden. Mehr Erfolg war da schon der Aufarbeitung von Scheinheiligkeit und Starrsinn beschieden.

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