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Xavier Beauvois' Film "Von Menschen und Göttern" setzt den 1996 in Algerien ermordeten Trappisten ein Denkmal. Eine leise Auseinandersetzung um das Drama der Existenz.

B ewährung. Vielleicht ist das eine der Bezeichnungen für den christlichen Glauben, die auch im Zeitgeist der Anfechtungen tragend bleiben. Zeugnis - griechisch: martyrion - wäre ein anderer, analoger Name. Die christliche Tradition hat sich seit jeher auf diese Zeugenschaft berufen und damit ein Einstehen bis zum Tod, bis zum Einsatz des eigenen Lebens gemeint.

Im Atlas-Gebirge, 90 Kilometer südlich von Algier, leben neun Trappisten. Der Orden mit benediktinischer Regel und einer zisterziensischen Spiritualität, aber besonders dem kontemplativen Leben verpflichtet, verlangt von den Brüdern den ganzen Einsatz. Das Kloster Tibhirine ist eine Oase der Ruhe und des Gebets, unter den Mönchen befinden sich Lehrer und ein Arzt, die Einheimischen sind froh über die Betreuung durch die Franzosen aus diesem Kloster.

Doch es sind die 90er-Jahre, und da herrscht in Algerien Bürgerkrieg zwischen den Islamisten und dem Militär; auch die Mönche geraten in den Konflikt. Ende März 1996 werden sieben von ihnen entführt - die Terrorgruppe GIA (Groupe Islamique Armé) will bei der algerischen und der französischen Regierung Gesinnungsgenosssen freipressen. Verhandlungen führen zu nichts, im Mai 1996 gibt die GIA die Ermordung der Entführten bekannt - sie wurden enthauptet, die Köpfe tauchen auf, die Körper der Mönche bleiben verschollen.

Bis heute gibt es aber Zweifel an dieser Version der Geschichte: Die Verstrickung des algerischen Militärs, aber auch der französischen Politik und Behörden ins Geschehen wird bis heute behauptetet - nicht zuletzt von Mitbrüdern der Ermordeten.

Die frommen Männer von Tibhirine

"Von Menschen und Göttern - Des hommes et des dieux" lautet der Titel des Films von Xavier Beauvois, der den sieben Zeugen ein Denkmal gesetzt hat, das nicht nur diese Toten dem Vergessen entreißt, sondern deren Lebensbotschaft unnachahmlich, eindrücklich und vor allem authentisch zur Geltung bringt.

Neun Mönche leben in den Bergen. Die einzigen Christen weit und breit - und durchaus beargwöhnt: Der französische Kolonialismus sitzt den staatlichen Machthabern wie den islamistischen Rebellen immer noch tief in den Knochen.

Doch die einfachen Menschen in und um Tibhirine wissen es anders. Sie leben in Frieden mit den frommen Männern, die dem fremden Glauben frönen, aber zu denen sie etwa um medizinischen Beistand kommen dürfen: Der mehr als 82-jährige Trappistenbruder Luc etwa, wiewohl selbst an schwerem Asthma leidend, behandelt alle, die kommen - notfalls auch verletzte Terroristen.

Doch das harmonische - und mögliche - Zusammenleben zwischen den Einheimischen und den Gottesmännern aus dem Norden ist bedroht. Die höheren Interessen der großen Politik, die dem Land ein Jahrzehnt Bürgerkrieg bescherten, lassen der Idylle keine Chance: Friedliche Koexistenz der Christen und Muslime darf nicht sein. Die Mönche wissen das auch: ein Himmelfahrtskommando im Wortsinn. Zeugnis, das wird bald klar, heißt hier Entscheidung zwischen Leben und Tod. Der Glaube rettet - physisch - nicht, er hilft bloß in der Theorie. Und er nimmt dieser Gemeinschaft erst recht die Entscheidung, die zu treffen ist, nicht ab.

"Von Menschen und Göttern" ist ja bloß ein Film. Aber er führt den Zuschauer mitten in diese inneren und äußeren Konflikte hinein, stellt Fragen, die nicht nur der Fromme in einer extremen Situation sich stellen sollte: Was hat die Welt davon, wenn ich, der kleine Mönch, mich opfere? Aber kann ich die Menschen im Dorf lassen und einfach ihrem Schicksal überantworten?

Um diese Spannung kreist der Film, die Mönche sind existenziell in Frage gestellt - und wie sie sich entscheiden, eine irdische Lösung scheint unmöglich. Christian, dem Prior, ist dies alles bewusst. Entlang dieser Auseinandersetzungen verlaufen die Linien: innerhalb der Person und innerhalb der Gemeinschaft, aber außerhalb einer Welt, in der Gewalt das Sagen hat, welcher sich auch die in der Kontemplation Lebenden nicht entziehen können.

Die Historie ist das eine, deren Übersetzung - via Film - in jedermann treffende lebensrelevante Fragen ist das andere: Und dafür haben Xavier Beauvois, seine kaum nachahmlichen Schauspieler und sein Team heuer den Großen Preis der Jury in Cannes errungen; hierzulande adelte die Viennale das außergewöhnliche Opus zu Recht zum Eröffnungsfilm. Nur allzu selten gelingt es, den schmalen Grat authentischen Christseins so zu treffen wie mit den Mitteln dieses Films: Nichts wirkt hier gekünstelt, und man merkt bis in kleine Einstellungen die Ernsthaftigkeit, mit der sich der Regisseur und die Seinen der Sache annehmen.

Das Mönchsleben samt dessen Beten und Singen fügt sich in diesen Zusammenhang. Auch um etwas über Kontemplation und deren politische Relevanz - bis zum eigenen Leben als Einsatz - zu erfahren, taugen die 120 Minuten Zumutung. Wenn die Rede von "Mystik und Politik" nicht schon so abgegriffen wäre, sie passte perfekt auf diesen filmischen Zugang.

Glaube kann in Entäußerung münden

Zuletzt wurde das - zisterziensische - Mönchstum ja mit Hitparaden stürmenden CDs aus einer heimischen Abtei in die Populärkultur geholt. Beides probiert, kein Vergleich: Was dieser Film an tiefer Erkenntnis auch eines Glaubens vermittelt, der landauf landab verschütt zu gehen droht, ist eindrucksvoll. Und hat wenig mit weicher Gregorianik aus dem Wienerwald zu tun, die man im Zweifelsfall auch zur leichteren Bekömmlichkeit einer Autofahrt in den CD-Player schieben kann.

Vielleicht kommt hier auch ein ganz eigenes Faszinosum französischer Katholizität zum Tragen, das interessanterweise in den letzten Jahren filmisch mehrfach thematisiert wurde: Man kann dies etwa in "Lourdes", der vor Jahresfrist angelaufenen Auseinandersetzung der Österreicherin Jessica Hausner mit den Erscheinungen im gleichnamigen Wallfahrtsort, finden - letztes Wochenende wurde Hauptdarstellerin Sylvie Testud dafür mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet. Oder mit dem Dokumentarfilm "Die große Stille" aus 2005, wo der Deutsche Philip Gröning die Grande Chartreuse, das Mutterkloster der Kartäuser in den französischen Alpen, porträtierte.

Das alles war auf die je eigene Art nachdrücklich authentisch. "Von Menschen und Göttern" fußt aber darüber hinaus auf dem Bewusstsein, dass Glaube in die letzte Entäußerung münden kann. Das Weihnachtsfest, das in Tibhirine gefeiert wird, nachdem ein erstmaliger Angriff der GIA-Kämpfer gewaltlos abgewendet wurde, trägt den Geschmack des Todes in sich. Und bleibt trotzdem das Fest der leisen Geborgenheit.

Martyrion heißt Zeugnis - selten hat ein Film dies so eindringlich und gleichzeitig so heutig gemacht.

Von Menschen und Göttern (Des hommes et des Dieux)

F 2010. Regie: Xavier Beauvois. Mit Lambert Wilson, Michael Lonsdale, Olivier Rabourdin.

Verleih: Filmladen. 120 Min. Ab 17.12.

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