Zirkus Forellenquintett

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Thomas Bernhards "Macht der Gewohnheit" wurde am Burgtheater von der Regie nachillustriert.

Wir lieben das Stück nicht, aber es muss gespielt werden. So oder ähnlich hätte vielleicht Thomas Bernhard nach der Premiere von "Macht der Gewohnheit" geantwortet. Philip Tiedemann, mittlerweile gesuchter Bernhard-Interpret, der vor allem mit seiner Inszenierung von "Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen" reüssierte, hat am Burgtheater das Zirkusstück eingerichtet.

Eine Rakete (Bühne: Etienne Plus) als Wanderbühnen-Wohnwagen fährt wie Mutter Courages Karren auf die Drehbühne, wo er an der Rampe vor dem silbernen Glitzervorhang zum Stehen kommt. Im Zirkus-Raumschiff ist das Quintett, das sich vergeblich um die Einstudierung von Schuberts "Forellenquintett" bemüht, mit roten Glanz-Anzügen (Margit Koppendorfer) vertreten, als wären sie das Pendant zu den türkisblauen "Astronauten" aus Handkes "Untertagblues" (zurzeit am Akademietheater). Spätestens seit Frank Castorfs transparenten Bühnen-Datschas, die die Vereinsamung der Seelen repräsentieren, bevölkern kleine Häuschen die deutschsprachigen Bühnen. Die Frage nach der Perspektive des Galerie-Zuschauers wirft gleichermaßen eine neue, naheliegende auf: Warum die Burg, wenn die Bühnentiefe nicht genützt wird? Warum nicht das dem Stück adäquate Akademietheater? Weil Philip Tiedemann der - typisch bernhardschen - nicht dialogischen Form misstraut? Und auf die Wirkung des Raums setzt? Dort, wo Bernhards bekannte sprachliche Wiederholungsspiralen den Witz der Beharrlichkeit erzeugen, illustriert Tiedemann nach. Bernhards Überdeutlichkeit theatralisch zu verdeutlichen, macht ratlos. Es ist doch schon vielfach gesagt, dass der Dompteur selbst zum rettichfressenden, sabbernden Ungeheuer geworden ist, doch Johannes Krisch mampft und schlabbert in seiner Rolle, als wären dem Theater plötzlich seine eigenen Zeichen verloren gegangen. Damit verpflichtet Tiedemann sein Team zu stereotypen Handlungen und spielerischer Eintönigkeit. Schade um Maria Happels komisches Talent, wenn sie als sprachlose Seiltänzer-Enkelin im Devotheits-Gestus gymnastische Übungen absolvieren muss. Ebenso um Robert Meyer, der sich als Jongleur in den Witz seiner Überartikulation flüchtet. Die Konzentration der Inszenierung liegt in der Offenlegung einer unerbittlichen Hackordnung, an deren Spitze der Zirkusdirektor Caribaldi steht. Eine Glanzrolle für Ignaz Kirchner, der aus dem Despotismus des Defizitären eine abstruse Charakterstudie macht und mit seinem Holzbein das Szepter der Macht führt - der "Macht der Gewohnheit", dem täglichen seit 22 Jahren erfolglosen Probieren des "Forellenquintetts" als Bild des Disziplinierungswahns.

Das Stück ist Bernhards einzige deklarierte Komödie. Im Refrain "Morgen Augsburg" lässt Ignaz Kirchner die Komik des Unvereinbaren anklingen, in der Utopie der süddeutschen Provinz ist er ein Wissender der verlorenen Hoffnung. Im dritten Teil steht die Probe, die aufgrund Caribaldis unentwegter Pflichtermahnungen im Chaos der Kakophonie endet.

Dazu fällt Tiedemann inszenatorisch wenig ein. Er verlässt sich auf seine Schauspieler, auf seinen Spaßmacher Urs Hefti, dessen Hauben-Lazzi die Textschablone lebendig machen. Ohne Worte stellt der Pantomime das Spiel der Tyrannei auf den Kopf, professionell fällt seine Narrenmütze zu Boden. Und befreit uns Zuschauer ins Lachen der Renitenz.

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