Zittern vor neuen Katastrophen

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Der Terroranschlag vom 11. September 2001 hat neben unermesslichem menschlichen Leid auch einen Schadenaufwand in der Höhe von derzeit geschätzten 600 Milliarden Schilling verursacht. Wie die internationale Versicherungswirtschaft diese größten von Menschenhand angerichteten Zerstörungen verkraften will, ist Thema dieses Dossiers. Ebenso getroffen ist die Reisebranche, die auf Angst und Verunsicherung reagieren muss.

Ein sonniger Spätsommertag in Monte Carlo. Spitzenmanager und Experten internationaler Rückversicherungskonzerne sitzen in klimatisierten Räumen zusammen und diskutieren wie jedes Jahr über Zukunftstrends. Doch diesmal werden die Herren im Nadelstreif mitten im Gespräch von einer schlechten Nachricht überrascht: Das World Trade Center in New York ist nach einem Terror-Anschlag eingestürzt, ein weiteres Flugzeug ist in Washington in das Pentagon gekracht. Und mit einem Schlag war den Fachleuten klar: Dabei handelt es sich mit Sicherheit um den größten, je von Menschenhand ausgelösten Schaden. Mittlerweile beziffern Experten die Höhe mit umgerechnet bis zu 600 Milliarden Schilling. Bis es definitive Zahlen gibt, kann es dauern. "Das ganze ist ein komplexes Schadensereignis", erklärte Ralf Arndt, Konzernsprecher der Hannover Rück. Neben den Toten, den vier abgestürzten Flugzeugen, dem völlig zerstörten World Trade Center und mehr als 50 weiteren beschädigten Gebäude gebe es eine Unmenge an Folgeschäden, die so schnell noch gar nicht absehbar seien.

Es zeichnete sich daraufhin sehr rasch ab, dass die Rückversicherungs-Riesen Münchner Rück und Schweizer Rück bei der Höhe der zu bezahlenden Schäden zu den am stärksten betroffenen Unternehmen gehören. Doch auch die beiden weltgrößten Versicherungen AXA und Allianz, der für die Übernahme von Großrisken bekannte Londoner Versicherungsmarkt Lloyd's, so gut wie alle US-amerikanischen Konzerne, russische, asiatische, ja selbst arabische Versicherer werden zur Kasse gebeten. Dessen ist sich der Sprecher des heimischen Versicherungsverbandes, Gregor Kozak, kurz nach den Anschlägen sicher. Stark betroffen sind aber auch zahlreiche kleinere Gesellschaften vor allem aus den Vereinigten Staaten und Kanada als direkte Kranken-, Lebens- und Unfallversicherer.

Die breite Auswirkung auf die Branche liegt an einem verzahnten System mit dem Ziel, große Risken zu atomisieren. Die Versicherungen, die die Polizzen ausstellen, die sogenannten Erstversicherer, geben dabei einen Teil der Versicherungssumme an Rückversicherer ab. Nur dadurch können große Risiken wie Flugzeugabstürze, Naturkatastrophen oder eben der Einsturz des World Trade Centers überhaupt übernommen werden. Die zahlreichen Erdbeben und Hurricans der letzten Jahre haben allerdings bewirkt, dass die Prämien der Rückversicherer längst nicht mehr gewinnbringend waren. Mit 100 Milliarden Dollar entstand etwa der größte volkswirtschaftliche Schaden durch das Erdbeben im japanischen Kobe. Davon waren allerdings nur drei Milliarden Dollar versichert.

Dass nach der Konferenz im Spielerparadies an der Cote d'Azur eine Prämienerhöhung bevorstand, wussten die Manager also bereits. Dass die Anhebung ohne längere Diskussion so kräftig ausfallen würde, war die erste konkrete Auswirkung der Katastrophe auf die Branche. Doch was bedeutet das für die Hunderten Millionen Kunden? Weltweit findet in den Versicherungen, ausgelöst durch die jüngsten Ereignisse in den USA, ein Umdenken statt. Alte Polizzen werden überprüft, Szenarien neu kalkuliert. Die Folge: Grundsätzlich wird jedes Versicherungsprodukt teurer. Die Prämienanhebung der Rückversicherer muss einkalkuliert werden. Deutlich spürbar dürfte die Preissteigerung in der Sachversicherung ausfallen, besonders im ohnehin kriselnden Kfz-Versicherungsmarkt.

Ebenso düster sind die Aussichten für Lebensversicherungssparer. Hier macht sich das Debakel am deutlichsten bemerkbar. Bei den meisten heimischen Gesellschaften dürfte bei der Gewinnbeteiligung heuer nur ein "5er" vor dem Komma stehen. Bisher warfen Lebenspolizzen gewöhnlich zwischen sechs und sieben Prozent pro Jahr ab. Das geht sich diesmal durch Verluste bei den Kapitalanlagen nicht aus. Im Gegenteil: es müssen sogar stille Reserven angeknabbert werden. "Wir können Schwankungen ausgleichen, aber nicht Trends umdrehen", begründet etwa Allianz-Vorstand Manfred Baumgartl.

Schuld daran sind vor allem die Weltbörsen, die nach der Katastrophe eingebrochen sind. Versicherungen sind bei der Veranlagung der Gelder zwar traditionell auf der sicheren Seite. Nur jeder fünfte Schilling der Kapitalanlagen investieren österreichische Gesellschaften in Aktien. Das entspricht aber immerhin einer Gesamtsumme von geschätzten 115 Milliarden Schilling. Milliarden, von denen heute noch niemand weiß, wieviel davon zu Jahresende noch übrig sein werden.

Die restlichen Gelder werden überwiegend solide in Bundesanleihen, Immobilien und andere festverzinsliche Wertpapiere gesteckt. Doch in Kombination mit sinkenden Zinsen und hohen Schäden läuten bei den Finanzvorständen die Alarmglocken. Fast täglich sucht einer von ihnen das Finanzministerium auf, um für Steuersenkungen oder eine Lockerung der Bewertungsvorschriften vorzusprechen. Dadurch soll der Abwertungsbedarf für Aktien mit starken Kursverlusten reduziert werden. Bei den größeren heimischen Gesellschaften geht es dabei um beträchtliche Summen. Der Chef der Wiener Städtischen, Günter Geyer, etwa spricht allein in seinem Haus von einem dreistelligen Millionenbetrag, der heuer abgeschrieben werden muss. In der Gesamtbranche geht es bei Kursverlusten am Markt von bis zu 30 Prozent um 20 Milliarden Schilling. Gleichzeitig versichern Branchenkenner jedoch immer wieder, dass keines der heimischen Unternehmen wirklich existenziell gefährdet sei. Nur die Aktienkurse befinden sich nach wie vor im Keller, die Ergebnisse für 2001 werden deutlich belastet sein.

Besonders hart trifft es allerdings die Wirtschaft an sich. Denn es kommt nahezu auf jeden Betrieb eine erhebliche Mehrbelastung zu. Für den Versicherungsschutz von Industrie- und Gewerbeanlagen - vor allem Feuer und Betriebsunterbrechung - werden durch die Verteuerung allein in Österreich im kommenden Jahr um bis zu zehn Milliarden Schilling mehr Prämien anfallen. Das kommt einer Verdreifachung gleich. Einerseits, so begründet der Leiter der Sektion Sachversicherung im Versicherungsverband, Uniqa-Vorstand Paul Moritz, bekomme die Branche bei den Rückversicherern generell weniger Schadensdeckung, andererseits steige aber der Versicherungsbedarf international stark an. Als Folge schrauben die Rückversicherer für Risken in diesem Bereich die Prämien besonders kräftig in die Höhe. Zwischen Unternehmen und Industrieversicherern werden soeben die neuen Verträge für 2002 ausverhandelt. Dabei geht es auch um die Erhöhung des Selbstbehaltes, der im Schadensfall vom Unternehmen selbst getragen werden muss, und um Obergrenzen bei der Versicherungssumme. Besonders exponierte Großobjekte mit hohen Werten sind nur mehr für teures Geld zu versichern. Hierzulande betrifft das zum Beispiel die OMV-Raffinerie nahe des Flughafens Schwechat, aber auch die Austrian Airlines.

"Kaum bezahlbar"

Gleichzeitig denken die Manager in der Versicherungsbranche laut darüber nach, in Zukunft keine Deckung für Terror-Schäden mehr zu übernehmen. Nach den Anschlägen in den USA scheint das Risiko einfach zu hoch. Bisher galten, vereinfacht erklärt, nur Schäden durch Krieg und innere Unruhen als ausgeschlossen. Ab kommenden Jahr werden auch Schäden aus Anschlägen eigentlich nicht mehr versicherbar sein, sagt Wiener-Städtische Vorstand Karl Fink. "Und wenn, dann kaum bezahlbar." Insgesamt geht es der Branche um die Einbindung des Staates bei künftigen Terror- und Katastrophenschäden. In Großbritannien, Frankreich, Italien oder Spanien gibt es für solche Fälle einen "Pool", in den ein kleiner Teil der Sachversicherungsprämien für solche Leistungen gesammelt wird. Vom Staat gebe es eine zusätzliche Garantie. Branchenvertreter sind sich sicher, dass sich weltweit Versicherungen ohne ein dauerhaftes Regierungsprogramm, das im Falle von Terrorattacken Unterstützung zusichert, weiterhin weigern werden, Deckungszusagen zu machen.

Ausgelöst durch die Anschläge findet also überall ein großes Umdenken statt. Sogar in den USA soll den Versicherern unter die Arme gegriffen werden, galten die Vereinigten Staaten bisher doch als terror-freies Land. US-Finanzminister Paul O`Neill wirkte bei eine Rede vor dem Bankenausschuß des Senates besorgt: "Die Regierung glaubt, dass sich die Wirtschaft einem zeitlich begrenzten, aber kritischen Marktproblem bei der Versorgung mit Versicherungen gegen Terror-Risken gegenüber sieht." Daher plant die Bush-Administration als Überbrückungshilfe, einen Anteil der Auszahlungen zu übernehmen. Die staatliche Unterstützung sollte im Laufe des auf drei Jahre angelegten Programmes stufenweise sinken.

Die Vorfälle vom 11. September haben eine neue Dimension von möglichen Katastrophen aufgezeigt. Bisher, so sagen Rückversicherungsexperten, habe man sich höchsten vorstellen können, dass zehn oder 15 Stockwerke eines Hochhauses in Brand geraten können. Dass ein Wolkenkratzer wie das WTC einfach in sich zusammenbreche, habe aber jedes Vorstellungsvermögen überschritten.

In Österreich gibt es seit der Liberalisierung 1994 keine "Einheitspolizzen" mehr. Dennoch kann man sagen, dass hierzulande so gut wie alle Anbieter Terrorschäden bezahlt hätten - die kaputte Wohnung durch die Haushaltsversicherung, den entgangenen Gewinn durch die Betriebsunterbrechungsversicherung und das zerstörte Auto durch die Kfz-Versicherung. Wie die Polizzen der Zukunft ausschauen, welche Risken für die Gesellschaften noch berechenbar sind, welche ausgeschlossen werden, bleibt noch offen. Doch diese Fragen beschäftigt momentan sämtliche Vorstände und Fachleute. Sie werden nach den schlechten Nachrichten in Monte Carlo wohl recht bald wieder zusammentreffen. Die Suche nach neuen Strategien drängt.

Die Autorin ist Wirtschaftsredakteurin der "Presse".

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