Zögerlich bis in den Tod

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Ein Zeugnis der Liebe und seelischen Abhängigkeit.

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Ein Zeugnis der Liebe und seelischen Abhängigkeit.

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Das Glück, auf einen so hochkarätigen Briefwechsel wie den zwischen Kaiser Maximilian von Mexiko und seiner Frau Charlotte zu stoßen, muss ein Historiker erst einmal haben. Ein kleiner Kreis von Fachleuten wusste, dass das Konvolut nach der Räumung eines der belgischen Königsfamlie gehörenden Schlosses in den Handel geraten und von der University of Texas erworben worden war. Er war lediglich einmal für eine romanhafte Darstellung eingesehen worden, bevor sich der österreichische Maximilian-Spezialist Konrad Ratz zur Publikation entschloss. Schon die als Vorabdruck in der furche Nr. 24/2000, Seite 17, erschienenen Stellen dürften gezeigt haben, dass dieser Briefwechsel das Bild Kaiser Maximilians und seiner Ehe mit der belgischen Prinzessin Charlotte in einem neuen Licht zeigt, nämlich als keineswegs zerrüttete, sondern bis zum Ausbruch von Charlottes Geisteskrankheit in Rom äußerst intensive Beziehung.

Zugleich erscheint vieles, was man nicht ganz genau wusste in einem viel klareren Licht. Vor allem geben sehr viele Stellen des Briefwechsels verlässliche Auskunft über die politischen und sozialen Absichten des Kaiserpaares, ihre Einschätzungen der wechselnden politischen Situationen, aber auch über ihre Meinung vom Charakter und den sonstigen Eigenschaften der Menschen, mit denen sie es zu tun hatten. Doch es entstehen auch erhebliche Widersprüche zwischen dem Briefwechsel und dem, was Maximilians Privatsekretär Blasio über die Beziehung Maximilians und Charlottes berichtet, freilich nur teilweise aus erster Hand (siehe die Buchbesprechung am Fuß der Seite). Der Leser ist geneigt, sich hier eher an Maximilian selbst als an seinen Sekretär zu halten.

Der notorische Wankelmut des Kaisers tritt begreiflicherweise in den Briefen weniger deutlich in Erscheinung als in den Zeugnissen des Mitarbeiters. Er hat zur Tragödie Maximilians zumindest einen großen Beitrag geleistet. Freilich ließ ihn, zögerlich bis in den Tod, nicht nur der eigene Wankelmut in seinen Entscheidungen schwanken, sondern auch der Konflikt zwischen Charlottes Forderung, standzuhalten, und Maximilians realistischerer Einschätzung der Lage. Man kann schon eine Parallele ziehen zwischen der Standhaftigkeit zweier habsburgischer Kaisergattinnen und ihrer vernünftigeren Männer: Maximilian hatte längst begriffen, dass Mexiko für ihn verloren war, während sich Charlotte noch an den Thron klammerte, und während sie in Europa mit Zähnen und Klauen kämpfte, wollte er nur noch einen würdigen Abgang. Nicht zuletzt im Bewusstsein dieser ihrer Unbedingtheit mag er zu lange gezögert haben, so dass er in die Hände seiner Feinde fiel, Genaueres darüber werden wir nie erfahren. Als über ein halbes Jahrhundert später das Habsburgerreich unterging, stand in Schönbrunn Zitas Ausspruch, Karl könne fallen, aber nicht zurücktreten, gegen Karls Ausflucht, seine berühmte Verzichterklärung sei ja keine Abdankung, was sie dann letzten Endes doch war.

Wer sich für die Mentalität der Habsburger interessiert, muss dieses Buch lesen. Es begegnet uns darin ein überaus gefühlvoller, liebesfähiger, von seiner Frau seelisch viel stärker als umgekehrt abhängiger Mann, ob sie ihm nun einen Seitensprung nachgetragen hat oder nicht - ein Zug, den Maximilian bekanntlich mit etlichen anderen Habsburgern teilte. Es begegnet uns ein liberal denkender Mann, ein Zug, den Maximilian außer mit seinem unglücklichen Neffen Rudolf nur mit wenigen Habsburgern teilte, doch wir erkennen auch die Grenzen seiner Liberalität und seiner Fähigkeit, Zusammenhänge zu durchschauen. Wenn er von beidem auch sehr viel mehr hatte als sein Bruder Franz Joseph. Eine wichtige Quelle, von Herausgeber Konrad Ratz mit Sachkenntnis und Einfühlung eingeleitet und kommentiert.

"Vor Sehnsucht nach dir vergehend". Der private Briefwechsel zwischen Maximilian von Mexiko und seiner Frau Charlotte. Amalthea Verlag, Wien 2000. 464 Seiten, Ln., 63 Bilder, öS 398,-/e 28,92

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