Zu viel und zu wenig des Guten

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Auf ihre Weise zwei Lehrstücke: Benjamin Brittens "Peter Grimes" am Theater an der Wien und die an der Staatsoper zum ersten Mal aufgeführte Oper "Die Sache Makropulos" von Leos Janác ek.

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Auf ihre Weise zwei Lehrstücke: Benjamin Brittens "Peter Grimes" am Theater an der Wien und die an der Staatsoper zum ersten Mal aufgeführte Oper "Die Sache Makropulos" von Leos Janác ek.

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In seinem meisterlichen "Peter Grimes" verarbeitet Benjamin Britten seine Homosexualität. Aber das ist nur ein Aspekt dieser Oper. Regisseur Christof Loy nennt die Macht der Natur und der Liebe, die manchmal zur Obsession werden könne, als die eigentlichen Anliegen dieses Dreiakters mit Prolog, mit dem er sich nun schon zum zweiten Mal auseinandergesetzt hat. Ist diese Darstellung aber nur ein Teil seiner Überlegungen? So wenigstens hat es nach diesem Premierenabend im Theater an der Wien den Anschein, denn er deutet diesen Britten vorrangig aus homoerotischer Perspektive.

Auf ein Beziehungsstück diminuiert

Für Loy besteht kein Zweifel, dass die Titelfigur (souverän Joseph Kaiser) homosexuell ist, zudem legt er bisher so nicht erkannte Beziehungen offen. Etwa zwischen dem meist nur als Bösewicht gesehenen Balstrode (markant Andrew Foster-Williams), dem er eine Zuneigung zu Grimes' hier von einem Tänzer dargestellten Gehilfen John (eindrucksvoll Gieorgij Puchalski) andichtet. Ellen Orford (untadelig Agneta Eichenholz) wiederum scheint Liebe nie wirklich erfahren zu haben, sieht sich zu Grimes hingezogen, ohne dessen Neigung zu erkennen. Und er, wird er von Balstrode nicht nur zum Selbstmord getrieben, sondern von ihm gar ermordet? Schließlich findet er sich am Ende in jenem quer über die Bühnenrampe gestellten Bett, das sonst für Grimes reserviert ist. Brittens Partitur lässt einen solchen Schluss zu.

Aber geht es Britten hier nicht mindestens ebenso um das Verhältnis des Einzelnen, den die Gesellschaft deswegen nicht akzeptiert, weil er anders ist? Dieser Aspekt bleibt in Loys Lesart, die Brittens Oper zu einem reinen Beziehungsstück zwischen einzelnen Individuen diminuiert, unterbelichtet. So eindrucksvolle Bilder er auf der von Johannes Leiacker erdachten Bühne - einer schiefen, kaum mit Requisiten bestückten Ebene - mit dem exzellenten Schoenberg Chor kreiert, so detailliert er die Typen (darunter Hanna Schwarz als skurrile Auntie und Rosalind Plowright als ebenso markante Mrs. Sedley) zeichnet.

Um meisterhafte Exaktheit, auch wenn sie diesmal nicht völlig erreicht wurde, ging es Cornelius Meister an der Spitze seines ORF-Symphonieorchesters. Ob auch eine Rolle gespielt hat, dass der Abend live im ORF übertragen wurde? Jedenfalls hätte man sich ein emotional mutigeres Herangehen an die Partitur gewünscht, so blendend das Orchester auf diese Herausforderung vorbereitet war.

Die Geschichte, ganz ohne Zutat

Man kann des Guten nicht nur zu viel, sondern auch zu wenig tun, wie der nächste Premierenabend bewies, Janác eks "Die Sache Makropulos", die damit erstmals an der Wiener Staatsoper zu sehen war, 89 Jahre nach ihrer Uraufführung in Brünn. 2011 war diese Oper in einer von Christoph Marthaler verantworteten Bilderbuchinszenierung bei den Salzburger Festspielen zu sehen - voll von innovatorischen, dennoch die Intentionen des Stücks nie überlagernden Ideen. Nichts davon bei Regie-Altmeister Peter Stein. Er erzählt einfach die Geschichte. Dass sie gleichermaßen im Gestern und im Heute spielt, wird am ehesten durch das von Ferdinand Wögerbauer entworfene Bühnenbild - im ersten Akt eine abgehauste Prager Anwaltskanzlei, im zweiten ein Blick in die alte Wiener Hofoper, im dritten ein Hotelzimmer im Stil der 1920er Jahre - deutlich.

Das Surreal-Utopische des Sujets kann weder diese ausgeklügelte Bühnenarchitektur, noch die überlegte Führung der Protagonisten ersetzen. Die im Finale erreichte Spannung mit Emilia Marty, die hier überraschend als Zombie auftaucht, macht die nüchterne Atmosphäre der beiden Akte davor, vor allem die statische Darstellung des zweiten, nicht völlig vergessen. Nah am Libretto bleiben muss nicht bedeuten, sich nicht auch seine eigenen Gedanken zu machen. Ist es nicht das, was Inszenierungen auszeichnen sollte?

Dass Heinz Zedniks Auftritt in der kleinen Rolle des Hauk-Sendorf bewegender ausfällt wie manch anderes, muss nachdenklich stimmen. Aber die Besetzung der Männerrollen ist nur solide. Laura Aikins Gestaltung für die 337-jährige Emilia Marty mangelt es zum Teil an der entsprechenden Ausstrahlung, vor allem an jener vokalen Differenzierungskunst, die in Salzburg Angela Denoke so ausgezeichnet hat. Freilich ließ Staatsoperndebütant Jakub Hru s a, designierter Chefdirigent der Bamberger Symphoniker und für dieses Repertoire explizit ausgewiesen, das von ihm mit hoher Umsicht geführte Orchester oft auch zu laut aufspielen, zeigte sich mehr an klar gezeichneten Details als an großen Spannungsbögen interessiert.

Peter Grimes

Theater an der Wien, 20., 22. Dez

Die Sache Makropulos

Staatsoper, 20., 23. Dez.

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