Zug-Zwang zu neuen Namen

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Namen sind - je nach Redewendung - Schall und Rauch, Vorzeichen ("Nomen est omen") oder anstößig ("Nomina sunt odiosa"). Jedenfalls sind sie willkürlich und werden in besonderen Sprechakten (z. B. der Taufe) zugeteilt.

Auch im Schienenverkehr tragen einige Züge seit langem prominente Namen. Der Orientexpress avancierte zum Schauplatz von Kriminalgeschichten und Filmsujets. Der Transalpin firmierte einst als Symbol für Hochgeschwindigkeit und durchmessene Bergwelt. Der Mozart verband zahlreiche Wirkungsstätten des Komponisten: Paris, Augsburg, München, Salzburg, Wien.

Ein Blick auf den ÖBB-Fahrplan 2003 zeigt: Züge mit einem besonderen Namen sind nicht mehr die Ausnahme, sondern der Regelfall. Jede Institution, die etwas auf sich hält, setzt quasi ein mobiles Plakat, eine fahrende Litfasssäule auf die Schiene.

So kann der Passagier bei der Wahl der Verbindung auch seine persönlichen Interessen und privaten Vorlieben demonstrieren. Der Kunstfreund besteigt Fischer von Erlach, Albertina, Österreichische Galerie Belvedere, Archäologischer Park Carnuntum oder Leopold Museum Wien, der Erholungsbedürftige Gastein Tourismus, Urlaub am Bauernhof oder überhaupt Neckermann Reisen, der Lesehungrige ist im Verlag Carl Ueberreuter oder bei Freytag & Berndt, der Polyglotte im Berlitz Sprachcenter gut aufgehoben. Der werkonservative Traditionalist wird vielleicht bei Maria Theresia oder Erzherzog Johann bleiben.

Von Literaturgrößen ist im neuen Repertoire nur wenig geblieben. So kann man nicht mehr von Ingeborg Bachmann zu Hugo von Hofmannsthal umsteigen! Und auch der Parade-ICE heißt jetzt Wüstenrot und nicht mehr Wiener Philharmoniker. Womit auch das Wortspiel entfällt, dass sein Tempo vom Temperament des Dirigenten, pardon: Lokführers, abhängt.

Der Autor ist Professor für Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Salzburg.

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