"Zuhälterparadies Deutschland“

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Wenn Alice Schwarzer nicht gerade mit ihren Schwarzgeldkonten in der Schweiz auffällt, führt sie Kampagnen gegen gesellschaftliche Missstände. Etwa gegen die Prostitution. Die FURCHE hat Schwarzer bei der Präsentation ihres neuen Buches in Berlin begleitet.

Prostitution ist keine Dienstleistung, solange man unter Dienstleistung nicht auch Sklaverei versteht. Davon ist Alice Schwarzer überzeugt. Und das versucht sie allen klar zu machen, die es noch nicht wissen: Seit 2002 gilt Prostitution in Deutschland als genau das. Als Dienstleistung. Schwarzer weiß, was ihre Zunft gerne hört, abseits ihrer Schweizer Vermögensveranlagungen natürlich. Aber um die soll es hier nicht gehen. Dazu ist das Thema zu ernst, das sie angreift.

Sie will mit Statistik punkten: "In Deutschland ist die Situation dramatisch eskaliert mit dem Gesetz.“ An die 400.000 Frauen würden im ganzen Land als Huren arbeiten, bis zu 95 Prozent "Ausländerinnen aus den ärmsten Ländern, Bulgarien und Rumänien“. Die Gewerkschaft schätze den Umsatz im Rotlichtmilieu auf 14,5 Milliarden Euro. "Das ist neben dem Drogen- und dem Waffenhandel das profitabelste Gewerbe der Welt.“ Prostituierte seien laut Schwarzer viel mehr ausgeliefert als früher: Seit es keine verpflichtenden Gesundheitskontrollen mehr gebe und sie sich nicht melden müssten, hätten sie keine Gelegenheit, mit anderen Menschen außerhalb des Etablissements zu sprechen. "Sie existieren ja nicht, es gibt sie nicht“, klagt Schwarzer über die Situation der ausländischen Zwangsprostituierten. "Wir sind ein Zuhälter-Paradies.“ An den Wochenenden würden bereits die Sextouristen busweise nach Deutschland gebracht.

Neue Allianzen

Alice Schwarzer, die gleich ein paar Kolleginnen von "Emma“ mitgebracht hat, schlägt auch mitunter mit der Hand auf den Tisch und ruft: "es reicht“. Und doch wirkt sie diesmal wie auf der anderen Seite, sie ist nicht das Enfant Terrible, das 1971 mit der Kampagne "Wir haben abgetrieben“ die Gesellschaft schockierte. Diesmal macht sie den Schulterschluss mit Konservativen und Kirche: "Auch der Papst hat gesagt, dass er etwas gegen die Prostitution unternehmen will“, sagt sie, die stets für selbstbestimmte Sexualität eingetreten ist.

Im Namen der Liberalität wäre für "eine Befreiung der Sexualität“ eingetreten worden, sagt die Frauenrechtlerin. "Der Fehler war, dass man die Machtfrage ignoriert hat“. Wie bei der Pädophilie, fügt sie hinzu. "Da sehnt man sich nach der alten Doppelmoral zurück, als die Männer noch heimlich ins Bordell schlichen.“ Die Situation sei "völlig aus dem Ruder gelaufen.“ Das Gesetz sei ein enormer Rückschlag für die Gleichberechtigung. "Dafür haben wir nicht jahrelang für eine gleichberechtigte Sexualität gekämpft und unsere Söhne in dem Sinn erzogen, dass es jetzt heißt: "ist doch cool, geh ins Bordell!“

Und so wie einst blickt Alice Schwarzer auch heute ins sexuell aufgeschlossene Schweden, allerdings, weil dort Prostitution bereits wieder strafbar gemacht wurde. "Es muss etwas passieren, und es wird etwas passieren“, ruft Schwarzer kämpferisch. Frauen sind keine Ware, es geht um Menschenwürde - darin ist sich Alice Schwarzer treu geblieben. Und sie sagt: "Wir erkennen Mehrheitsstimmungen, und die Stimmung dreht sich gerade in Deutschland.“ Dennoch scheint es, als stünde die Vorkämpferin von einst zwar treu zu ihren Prinzipien, während sich die Gesellschaft an ihr vorbei entwickelt.

Zwei Stunden nach Schwarzer tritt die Gegenseite in Person der etwa 30jährigen Emy Steele vor die Presse: Lässig, in T-Shirt und braunen Stiefeln und mit kurzen blondierten Haaren. Sie hat vor sechs Jahren vom Design, wegen der Computerarbeit, die ihr Rückenprobleme bereitet habe, zur auf erotische Rollenspiele spezialisierten Sex-Arbeit gewechselt, die für sie mehr ist: "Wir sind intime Vertraute, Heilerinnen, Schauspielerinnen.“

Schwarzers Gegnerin

"Für mich ist es nicht Feminismus zu sagen, arbeitende Frauen sind Opfer und Klienten Täter.“ Auch Steele ist kämpferisch, aber eben auch eine andere Generation als die Alt-68erin Schwarzer: " Das Absprechen der sexuellen Selbstbestimmung ist reaktionär und schädlich für Männer und Frauen“, sagt Steele. "Ich liebe diese kurzen klar abgesteckten Begegnungen. Es macht mich glücklich, mit anderen Menschen schöne Dinge zu tun.“ Sie ist ein Kind unserer Zeit, wo eine von Moral unbehinderte Wirtschaft diktiert: Erlaubt ist, was Spaß macht.

Steele argumentiert auch ökonomisch: "Die Klientinnen und Klienten schätzen unser Angebot, die Diskretion.“ Zwangsprostitution? "Ich habe sie noch nicht gefunden, die gezwungen werden, diesen Beruf auszuüben.“ Druck durch Zuhälter bezeichnet sie als "dysfunktionale Beziehung“, wie sie auch in Ehen vorkomme, da müsse man eben "rausgehen“, wenn es nicht passe.

Emy Steele tut der Sache wenig Gutes, indem sie ihr Gewerbe wie einen basisdemokratischen Kreativzirkel beschreibt, wo doch jeder weiß, dass es trotz Legalisierung noch genügend Graubereiche im Rotlichtmilieu gibt. Als meine sie, Klienten vor sich zu haben, denen sie Illusionen vorspielen müsse, wirkt sie, und so traut man auch dem Rest ihrer trotzig vorgebrachten Argumente nicht mehr recht. Wenngleich man es ihr, die für die Prostituierten-Organisation Hydra arbeitet, gerne abnehmen würde, wenn sie sagt: "Die wirklichen Expertinnen sind die, die das erlebt haben. Wenn ich fürchte, abgeschoben zu werden, rede ich doch nicht mit einem Polizisten.“

Steele erzählt von der Stigmatisierung ihres Berufs, die nach wie vor in der Gesellschaft herrsche, von der Angst, Familie und Freunde zu verlieren, würden diese von der wahren Tätigkeit erfahren. Doch die Empathie für sie bleibt begrenzt, denn ihre Worte klingen gestanzt, vorbereitet. Eines ist den zwei so unterschiedlichen Frauen in ihrer entgegengesetzten Argumentation aber gemeinsam: Sie nehmen einen Teil des Rotlichtgewerbes und setzen ihn absolut.

Prostitution - ein deutscher Skandal

Wie konnten wir zum Paradies der Frauenhändler werden?

Von Alice Schwarzer (Hg.), Kiepenheuer & Witsch 2013.

336 Seiten, kartoniert, e 10,30

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