Zukunft aus der Perspektive des Heute

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Wie runde Jahrestage der Christen - vom II. Vatikanum (50 Jahre) bis zum Reformationsjubiläum 2017 (500 Jahre) - begangen werden sollten.

Noch bis zum Jahr 2015 wird die 50. Wiederkehr des Zweiten Vatikanums - hier stockt der Autor schon - gefeiert? Das läge nahe, wäre aber political incorrect. Begangen? Da könnten sich auch die Skeptiker vielleicht einverstanden zeigen. Diese Zweifel kommen auch bei dem großen Ereignis, das sich fast nahtlos an das Konzilsjubiläum anschließt, dem Gedenken an die wittenbergische Reformation von 1517, vor einem halben Jahrtausend. Katholiken könnten das nicht feiern, ließ Kurienkardinal Kurt Koch kürzlich verlauten. Millionen Protestanten werden es ausgiebig tun.

Die Gründe für die Irritationen sind beide Male die nämlichen. Es geht um ein Problem der christlichen Religion, das sie seit den Anfängen begleitet: Wie hat sie sich gegenüber dem Neuen in der Geschichte zu verhalten? In den ersten 1500 Jahren hat sie sich sehr unbefangen den aktuellen Herausforderungen der Geschichte gestellt, indem sie beherzt den Dialog mit ihnen aufnahm - schon im ersten Jahrhundert mit dem Hellenismus, seit dem siebten Jahrhundert mit dem germanischen Kulturkreis. Seitdem aber hat sie sich namens der Tradition vehement gegen alles Neue gestellt, gegen die Anliegen der Reformatoren, die Resultate von Naturwissenschaft, Technik und Humanwissenschaften, aber auch gegen deren Produkte wie die Eisenbahn, die Gaslaternen und das Familienbad. Zwischen 1850 und 1950 war "Modernismus“ das vernichtendste Schimpfwort derer, die kirchentreu sein wollten, rigoroser "Antimodernismus“ ihre rettende Medizin. Oder war es nur Traditionalismus?

Die Frage der Apostolizität

Der alte, eigentlich stockkonservative Papst Johannes XXIII. hatte als Nuntius an wichtigen Standorten wie auch als Diözesanbischof erfahren, dass diese vor allem bei der Kirchenleitung herrschende Grundhaltung die missionarische Aufgabe der Kirche unmöglich machte. Sie erschien als Hinter- oder Nebenwelt, deren Einfluss auf die zeitgenössischen Diskurse im Schwinden war. "Aggiornamento“, die Augenhöhe der Kirche mit den bestimmenden Gedanken der Gegenwart, wurde zum Leitwort der Kirchenversammlung, die er 1959 zur allgemeinen Überraschung ankündigte. Sie hat der Vorgabe weithin entsprochen, auch wenn sich in den Dokumenten deutlich Kompromisse orten lassen. Die antimodernistische Gegnerschaft war im Konzil nicht zahl-, aber einflussreich, da sie die Unterstützung der mächtigen römischen Kurie genoss. Jedenfalls war der Streit einprogrammiert, der prompt danach ausbrach und die Kirche noch immer beschäftigt.

Die "Priesterbruderschaft St. Pius X.“ ist die nachkonziliare Speerspitze der einstigen Minorität bis zur Stunde. Sie wirft der Position der Majorität in wesentlichen Themen (Ökumenismus, Liturgie, Religions- und Gewissensfreiheit) Verrat am Glauben, an der Tradition, am Evangelium aller Zeiten vor. Man kann nicht leugnen, dass bis in die Kirchenspitze viele die Grundmelodie der Piusbrüder mitsummen.

Konzil - das ist daher in erster Linie zum hermeneutischen Problem geworden: Hat es einen Bruch heraufbeschworen, war es bloße Kontinuität, ein bisschen angereichert durch sanfte Reformen? Seit der Weihnachtsansprache Benedikts XVI. an die Kurie 2005 werden diese Fragen leidenschaftlich diskutiert. Das Fundament der Auseinandersetzungen ist die Erörterung der Möglichkeit und des Ausmaßes von Neuerungen gegenüber der kirchlichen Überlieferung.

Theologisch spitzt sie sich zu als Problem der Normkraft der Apostolizität. Darunter ist jene wesentliche Eigenschaft der Kirche zu verstehen, die ihr die Identität mit der Botschaft Jesu Christi garantiert, welche uns historisch nur durch die Apostel und ihre Schüler überkommen ist und die sich faktisch im Kanon der Heiligen Schrift niederschlägt. In concreto bezieht sie sich auf die Lehre, die Lebensführung und die Amtsnachfolge der ersten christlichen Generation. In den wesentlichen Punkten kann und darf die "apostolische Kirche“ (Glaubensbekenntnis) niemals davon abweichen. Doch was sind die wesentlichen Punkte?

Weg frei zur Weltkirche

Mitte des ersten Jahrhunderts droht die Einheit der Gemeinde in Jerusalem an der Frage zu zerbrechen, ob für die zahlreichen Katechumenen aus dem Heidentum (der griechisch-römischen Religion) die Beobachtung der Tora-Gesetze (Beschneidung, Speisevorschriften) nach der Taufe verpflichtend sein müsse.

Selbstverständlich, meinten die Konservativen, sie sind von Gott befohlen. Selbstverständlich nicht, meinten die führenden Apostel, Paulus und Petrus (zögerlich), sogar (noch zögerlicher) der strenge Jakobus, denn mit Christus ist das alte Gesetz überholt. Auf der Versammlung von 48 oder 49 wird die Sache nach heftiger Diskussion zugunsten des Neuen entschieden (Apg 15).

Damit war der Weg des Christentums zur Weltkirche frei. Leitend ist also nicht der Ist-Bestand des christlichen Potenzials, sondern das Soll, die Welt-Mission (Mt 28,18-20). Das war eine Umwälzung sondergleichen. Sie führte zur Trennung der evangelischen von der jüdischen Religiosität.

Die Apostel handeln nach dem Geist ihres Meisters. Scheinbar sind seine Äußerungen verwirrend: Kein Jota vom Gesetz darf sich ändern, verkündet er (Mt 5,18) - und dann wirft er alle ehrwürdigen Sabbatgesetze mir nichts dir nichts über den Haufen (Mk 2,26). Ihm geht es überhaupt nicht um Altes oder Neues; er will die Ursprungstreue, d. h. die Durchsetzung des Schöpfungswillens seines Vaters.

Es soll sein "wie am Anfang“ - das aber lässt sich z. B. von der Scheidungspraxis der Juden nicht behaupten (Mt 19,9). So wird (damals zugunsten der Frau) das Trennungsverbot eingeschärft. Jesu Programm ist weder Tradition noch Progression, sondern Treue gegenüber Gott. Dementsprechend ist seine Zukunftsperspektive auch nicht Bewahrung oder Veränderung, sondern der Wille, dem Ursprung Zukunft zu geben. Das daraus abgeleitete Handeln kann dann, je nachdem, revolutionär oder traditionalistisch anmuten. Diese Kategorien greifen nicht mehr.

Was "aggiornamento“ meint

Verwirklichung der Apostolizität bedeutet demnach: Wie Jesus und wie seine ersten Jünger die Botschaft vom Reich Gottes auf dem Gang durch die Geschichte realisieren, also die Sachgerechtigkeit gegenüber dem Evangelium mit der Zeitverbundenheit der Adressaten in eine glückliche Synthese bringen. Die Marschzahl der Kirche ist gerade wegen ihrer Pflicht zur Traditionstreue die Zukunft aus der Perspektive des Heute - also "aggiornamento“.

Das Konzilsjubiläum ist weder bloß mürrisch zu begehen noch aufwendig zu feiern. Vielmehr müssen wir uns neuerlich den Impulsen der Kirchenversammlung aussetzen und sie entsprechend weiterführen. Und vielleicht stünde derlei Haltung auch 2017 an - 500 Jahre nach der Reformation. Würden wir nicht erst so dem Ursprung der kirchlichen Verkündigung gerecht? Ein chinesisches Sprichwort sagt: Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern, die anderen setzen Segel. Die Kirche hat nur die zweite Option.

* Der Autor ist em. Professor für Dogmatik an der Universität Regensburg

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