Kunst aus religiösen Gesten im Grazer Kulturzentrum bei den Minoriten in Graz.
Spätestens seit das Tier Mensch nur mehr Mensch sich nennt, wann immer das geschehen sein mag, versuchte der Mensch, sich der Krümmung der Erde zu entledigen. Eine dieser Entkrümmungen, den aufrechten Gang, pflegen die Menschen auch heutzutage noch recht häufig. Der Mensch war mit dieser ersten Entkrümmung nicht zufrieden, sondern richtete sich noch weiter auf, bis hinein in die bekannten Symbole vom Himmel, der oben ist und nach dem man sich strecken muss, und dem Pendant der Unterwelt oder der Hölle, denen man sich zu entziehen trachten sollte.
Diese zweite Entkrümmung versuchten viele, religionskritisch unterstützt, eher als Rückschritt, als neuerliche Verkrümmung zu sehen. Kaum aufgerichtet, wurde in dieser Interpretation dem Menschen schon wieder von irgendeinem Gott das Rückgrat verbogen. Viele Beispiele der Kunst des 20. Jahrhunderts erzählen davon, dass sich der Mensch in der Rolle vorfindet, dass er den Himmel zu halten und die Unterwelt zu zertreten hat. Die Nachricht, dass dies keine leichte Aufgabe ist, wurde selbstredend mitgeliefert.
Mehr noch, die Aufzeichnungen der Kunstschaffenden des vorigen Jahrhunderts berichten ausführlich von der Unmöglichkeit dieser Position - ihre Erfüllung wurde wie die des davor religiös motivierten Standpunkts immer wieder aufs Neue ins Unendliche verschoben. Utopien, die sich nicht bereits jetzt in unseren Alltag einschreiben lassen, finden niemals ihren Ort. Diese Heimholung der Utopien kann in vielen Gestalten auftreten, eine der dafür gut entwickelten Methoden sind unsere Gesten.
Diesen Gesten spürt eine Ausstellung in den Minoritengalerien in einem breitem Spektrum nach, zusammengehalten durch Erinnerungsfetzen an jene Zeit der bildenden Kunst, als noch religiöse Themen die Richtung vorgaben. Am deutlichsten nachvollziehbar an der Fotoserie von Zlatko Kopljar. Er zeigt sich selbst, immer fein gekleidet im Sonntagsanzug, wie er unterwürfig versunken kniet. Aber nicht vor den Altären einer höchsten Gottheit, sondern vor den "Tempeln des freien Marktes" in der Metropole New York. Man merkt, da ist etwas aus dem Ruder gelaufen, und freut sich, dass es eine klare Trennung zwischen Kirche und Staat gibt. Oder haben wir da etwas übersehen?
Mit ähnlich wohlvertrauten Gesten arbeitet Robert Rumas. In seiner Serie geben zum Himmel erhobene Hände in ihrer Gestik alle Spielarten unserer Emotion, von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt, von zärtlich weich bis gewalttätig hart, diesem Himmel zurück.
Der weite Himmel über schmalen Landschaftsstreifen hat es auch Marta Deskur angetan. Was Urlaubsstimmung aufkommen lassen könnte, wird aber gebrochen durch weiße schwebende Körper. Fragil hängen sie im Himmel, kopflos, aufsteigend oder herabfallend - zumindest bleibt ein leichter Zweifel, ob man sich wirklich gerne unter ihnen in der Landschaft aufhalten möchte. Was in den gemalten Vorgängerversionen in der Zeit des ausgemalten Christentums noch klare Visionen von Himmelsboten darstellte, kann heutzutage ganz leicht zur Bedrohung von hübsch verkleideten Außerirdischen zusammenschrumpfen.
Der Gestik des Aufschreibsystems bedient sich Hannes Priesch. Er beschreibt seine Leinwände in zwei Zeilen, in der ersten befindet sich jeweils ein positiver Begriff wie Word, Laughter oder Worship, der in der zweiten Zeile durch eine minimale Veränderung seine Bedeutung völlig verkehrt und zu Sword, Slaughter und Warship wird. Gor Chahal nimmt Elemente aus der orthodoxen Tradition wie die dreifache Heilig-Anrufung auf, um diese als in konzentrische Kreise eingeschriebenen Schriftzug in einer Flash-Animation pulsieren zu lassen. Wie im "immerwährenden Gebet", mit dem russische Gläubige sich in den Rhythmus Gottes einschwingen wollten, wiederholt auch die Animation die Endlosschleife der Engelchöre vor dem Thron Gottes. Artur Zmijewski dokumentiert in einer Videoinstallation eine inszenierte Diskussion zwischen extrem heterogenen Gesellschaftsgruppen, die in einem allgemeinen Handgemenge endet.
Grazia Toderi schichtet mehrere Stadtlandschaften zu einem neuen Turm zu Babel übereinander, auch im Weltdorf der Globalisierung herrscht nach wie vor Sprachverwirrung. Ähnlich überlagernd arbeitet auch Kimsooja, die in ihrem Video Straßenszenen aus dem hektischen Istanbul mit den ruhigen Gesängen buddhistischer Mönche kombiniert. Manfred Erjautz baut aus einem handgeknüpften Gebetsteppich aus Zentralpersien und einem Sicherheitsgurt aus einem Flugzeug ein eindrückliches Ready-made zur prinzipiellen Ambiguität des aufrechten Ganges in seiner religiösen Ausprägung. Vielleicht bietet Abigail O'Brien einen Fluchtweg an, wenn sie Alltagsgegenstände unserer Zeit wieder zu verwendbaren Utensilien der sieben Sakramente aufbaut.
Gestures of Infinity
Minoriten Galerien im Priesterseminar
Bürgergasse 2, 8010 Graz
Koproduktion mit steirischer herbst
Bis 20. 10. Di-So 10-18, Do 10-20 h
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