Zurück in den Schoß der römischen Kirche

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Rom errichtet für konversionswillige Anglikaner eigene Kirchenstrukturen. Kirchenführer wie Wiens Kardinal Schönborn sehen in diesen Entwicklungen keine Gefahr für die Ökumene. Eine katholische Kennerin zur anglikanischen Kirche hingegen ortet – gerade aus persönlicher Erfahrung heraus – ökumenische Turbulenzen, die letztlich nur dem Säkularismus nutzen.

Am 20. Oktober kündigte in Rom Kardinal William Levada, der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, an, Rom werde „anglikanische Ordinariate“, also so etwas wie Diözesen ohne Territorium, für konversionswillige anglikanische Priester und Gläubige einrichten, die ihre Liturgie und ihr „geistiges Erbe“ beibehalten wollen, aber zugleich in volle und sichtbare Kirchengemeinschaft mit Rom treten möchten. Dieser Schritt kam völlig unerwartet und verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der angelsächsische Welt. Bald kursierten die wildesten Spekulationen. Spektakuläre Schlagzeilen sprachen von „Dutzenden“ Bischöfen, „Hunderten“ von Priestern und „über eine halbe Million“ Laien, die zur katholischen Kirche übertreten wollten. Der Titel eines Artikels in der Financial Times lautete „Die unheilige Schlacht um den Marktanteil an unseren Seelen“ („The unholy battle for the market share of our souls“). Worauf ein wütender Leser aus Amerika in ebenso reißerischer Sprache daran erinnerte, dass „Britische Erde durchtränkt ist von katholischem Blut“ und dass sich die anglikanische Hierarchie „zerknirscht“ entschuldigen sollte für „all die Morde und all den Diebstahl und dann, als Geste des guten Willens, den Dom zu Canterbury an seine rechtmäßigen Besitzer bitte doch zurückgeben möchte“.

Knapp drei Wochen später, am 9. November, veröffentlichte die Glaubenskongregation dazu die Apostolische Konstitution „Anglicanorum Coetibus“. Das wohl auffallendste Detail und eigentliche Novum ist, dass es in Zukunft in diesem Teil der katholischen Kirche, denn die anglikanischen Ordinariate werden in voller Kirchengemeinschaft mit Rom stehen, verheiratete Bischöfe, geben wird. Sie werden den Status eines emeritierten Bischofs haben und zwar nicht weihen, aber ihre Bischofsinsignien – Ring, Stab und Mitra – weiterhin benützen dürfen. Es ist anzunehmen, dass sie bei gesellschaftlichen Angelegenheiten als katholische verheiratete Bischöfe mit ihren Frauen, und eventuell auch ihren Kindern anzutreffen sein werden.

„Mit Rom vereint, aber nicht absorbiert“

Es gibt jetzt schon über 400 verheiratete katholische Priester in England, die 1992 nach der ersten Frauenweihe in der anglikanischen Kirche übergetreten sind. Verheiratete Geistliche sind seit Heinrich VIII. eine der prägendsten Eigenschaften der anglikanischen Tradition. Ob sie in den neuen Ordinariaten ein Auslaufmodell sein werden oder ob es weiterhin großzügige Dispensmöglichkeiten geben wird, bleibt abzuwarten. Katholische Priester allerdings, die in die anglikanische Kirche übergetreten sind und dort geheiratet haben, dürfen ihr Priesteramt in den neuen Ordinariaten nicht ausüben.

Trotz diesen großzügigen Konditionen, was verheiratete Priester und Bischöfe betrifft, bleiben viele Fragen offen. Wenn ganze Pfarren übertreten, werden sie keinesfalls ihre alten Pfarrkirchen behalten können, denn die gehören der englischen Krone. Und womit werden diese neuen Gemeinden das alles bezahlen? Die Priester werden nur ein Drittel von dem Gehalt bekommen, den sie als anglikanische Priester erhalten haben.

Es hat in der Vergangenheit immer wieder Hoffnungen gegeben, dass es eines Tages zu einer anglikanischen Kirche kommen würde, die „mit Rom vereint aber (von Rom) nicht absorbiert“ („L’Eglise anglicane unie, mais non absorbée“) werden würde, wie es etwa bei den Gesprächen von Malines (Belgien), an denen hohe Vertreter beider Kirchen von 1921 bis 1927 teilnahmen, definiert wurde.

Diese Hoffnungen wurden aber ein Jahr später (1928) auf viele Jahre durch die Enzyklika „Mortalium Animos“ von Pius XI. begraben, der darin dem ökumenischen Dialog jeglichen Wert absprach. Kardinal König hat einmal die ökumenischen Beziehungen in den 30er Jahren geschildert, als er als junger Kurat auf Besuch in England war. Er wohnte bei einem katholischen Pfarrer im Süden ganz in der Nähe eines anglikanischen Klosters. Als er dem Pfarrer sagte, dass er gerne die anglikanischen Nonnen besuchen würde, bekam er die entsetzte Antwort: „Nein, nein, Sie müssen vorsichtig sein. Das könnte so aussehen, als wollten Sie ökumenische Kontakte fördern!“

Erinnerungen an eine unökumenische Zeit

Ich verbrachte meine frühe Kindheit in einem kleinen Dorf in Südengland unweit von Oxford. Wir waren damals die einzige katholische Familie weit und breit und das Grab meiner Eltern ist heute noch das einzige katholische Grab am idyllisch gelegenen Friedhof mit seinen keltischen Kreuzen. Die nächste katholische Kirche ist noch immer mehr als acht Kilometer weit weg und nur per Auto erreichbar. Im Krieg, als Benzin rationiert war, konnten wir daher nur sehr selten in die Messe gehen. Meine Mutter, die Österreicherin und katholisch war, entschloss sich daher, uns in den anglikanischen Gottesdienst und auch in den anglikanischen Religionsunterricht zu schicken, wo wir hauptsächlich aus dem Alten Testament lasen, die Psalmen auswendig lernten und die heute noch von mir so geliebten anglikanischen Kirchenlieder sangen. Der katholische Pfarrer, ein Ire, hatte allerdings meine Mutter gewarnt, es sei eine „Todsünde“, katholische Kinder in den anglikanischen Religionsunterricht und Gottesdienst zu schicken, aber sie war fest entschlossen, uns als Christen und nicht als „halbe Heiden“, wie sie es nannte, aufwachsen zu lassen.

Eine meiner frühesten Erinnerungen von damals war eine Kinderjause in einem Nachbardorf. Die Mutter des Geburtstagskindes begrüßte uns alle einzeln, als wir auf unseren Fahrrädern ankamen. Als ich an der Reihe war, sagte sie: „Du bist also die kleine Papistin. Normalerweise kommen die mir nicht über die Schwelle, aber du bist noch sehr klein, also komm herein.“ Heute klingen solche Worte erschütternd, aber, auch wenn vielleicht nicht viele Leute damals so taktlos gewesen wären, war das Misstrauen Katholiken gegenüber besonders in den protestantisch geprägten ländlichen Gegenden Englands „unterirdisch“ noch sehr ausgeprägt.

Nach dem Krieg wurde ich in ein katholisches Mädcheninternat geschickt und meine anglikanischen Freundinnen aus der Kindheit in anglikanische Internate, aber wir blieben eng befreundet und sind es noch heute.

Kardinal Hume war gegen „Enklaven“

Der große ökumenische Durchbruch war natürlich das II. Vatikanum (1962–65), das ich bereits in Österreich als Jungverheiratete erlebte. Es war wie ein Wunder. Auf meinen häufigen Besuchen merkte ich bald, dass Katholiken in England jetzt offen über ihre Religion reden konnten und nicht nur meine anglikanischen Freunde, aber auch viele Nichtgläubige interessierten sich brennend für das Konzil and bewunderten Papst Johannes XXIII. In England ist dieser ökumenische Geist bis an die Basis gedrungen und ist es trotz heftiger Turbulenzen in beiden Kirchen – man denke nur an die außerordentlich hohe Anzahl von englischen katholischen Priestern, die wegen Kindesmissbrauchs ins Gefängnis mussten, und an die Frauenordination in der anglikanischen Kirche – bis heute geblieben. Aber jede größere Turbulenz – sei es in einer anderen christlichen Kirche oder einer anderen Religion – fördert den Säkularismus. Und in den Augen aggressiver Atheisten sind solche Turbulenzen nur ein weiterer Beweis, dass Religion immer zu Streit und oft zu Kriegen führt.

Verglichen mit anderen Ländern hat es immer eine relativ hohe Anzahl von Konvertiten in England gegeben. So sehr sich aber der allseits beliebte Kardinal Basil Hume (1923–99) über jeden einzelnen dieser Konvertiten freute, wäre er strikt gegen diese neuen Strukturen gewesen, denn er war überzeugt, dass separate „Enklaven“ eine eher polarisierende als vereinigende Wirkung haben. Wie viele Anglikaner sich letztlich entschließen werden, gruppenweise in die neuen Ordinariate überzutreten, ist schwer zu schätzen. Im kleinen England wird es auf jeden Fall zur weiteren „Zerstückelung“ einer schrumpfenden Zahl von praktizierenden Christen kommen.

* Die Autorin ist Wien-Korrespondentin der englischen katholischen Wochenschrift „The Tablet“. Kurz nach dem Tod von Kardinal König veröffentlichte sie dessen Erinnerungen, die König ihr auf Englisch erzählt hatte („Open to God, Open to the World“, 2005; „Offen für Gott, offen für die Welt“, 2006)

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