Zurück in die verlorene Heimat

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"Das wirkliche Ich ist wahrscheinlich der Fritz Mandelbaum": Am Montag verstarb Frederic Morton, amerikanischer Schriftsteller aus Wien, am Vorabend einer geplanten Lesung in Wien. Ein Nachruf.

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"Das wirkliche Ich ist wahrscheinlich der Fritz Mandelbaum": Am Montag verstarb Frederic Morton, amerikanischer Schriftsteller aus Wien, am Vorabend einer geplanten Lesung in Wien. Ein Nachruf.

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"Das wirkliche Ich ist wahrscheinlich der Fritz Mandelbaum", sagte Frederic Morton einmal, der im Oktober 1924 als Fritz Mandelbaum in Wien geboren wurde. Den Namen änderte die Familie in den USA, wohin sie emigrieren musste, nachdem die Nazis auch in Österreich an die Macht gekommen waren. Dieses Österreich aber, Wien vor allem, wurde er nicht los. Deshalb spielt die Vergangenheit in seinen Büchern eine derart große Rolle, weil er sich in seine verlorene Heimat und in verschwundene Geschichtsräume zurückzudenken bemühte. Dann war er wieder der junge Fritz Mandelbaum, der durch Hernals streifte und Orte aufsuchte, die es außerhalb der Erinnerung längst nicht mehr gab.

Seinen Roman "Ewigkeitsgasse" darf man als Gegenstück zu Heimito von Doderers maßgebenden Roman "Die Strudlhofstiege" nehmen. Beide erzählen von einem Wien, das im Begriff ist, in die Moderne aufzubrechen, doch ihr Blickwinkel ist ein grundlegend anderer. Morton rückt die Familie Spiegelglas in den Mittelpunkt und trägt damit den jüdischen Anteil der Wiener Geschichte nach. Vor allem vergisst er nicht auf den radikalen Einschnitt, der mit der Tilgung allem Jüdischen nach dem "Anschluss" frühere Verhältnisse außer Kraft setzt. Er ist der Anti-Doderer, geht ihm doch die Protzhaftigkeit ab von jemandem, der sich seiner Sache ganz gewiss ist. Morton erhebt mit seinem Buch Einspruch gegen die Doderer-Sicht. Doderer blickt von oben herab, führt souverän Regie über seine Figuren und verschont sie nicht mit seinem durchdringenden Blick, der ihre Schwächen als Makel diffamiert. Morton begibt sich auf Augenhöhe mit seinen Figuren. Er verfügt nicht über sie, nimmt Teil an ihrem Schicksal, ihre Schwächen sind ihm verständlich, sie machen die Eigenart, den Eigensinn, die erfreuliche Unangepasstheit aus.

Die Zeit des Unglücks

Mit "Ewigkeitsgasse" hat Morton sein gewiss bekanntestes Buch vorgelegt. Es erschien 1984 in New York, zwei Jahre später zum ersten Mal in deutscher Übersetzung. Im Jahr 2002 wurde der Roman im Rahmen der Aktion "Eine Stadt - ein Buch" in 100.000 Exemplaren in Wien als Gratisbuch verteilt. Darin verschlägt es Berek Spiegelglas im späten 19. Jahrhundert aus der Slowakei nach Wien, wo er keine Anstalten unternimmt, sich dem Assimilationsdruck zu unterwerfen. Er ist im Besitz eines Familienkleinods, eines Steins, von dem es heißt, dass er der Jerusalemer Klagemauer entnommen wurde. Er gilt als sagenhafter Glücksbringer. Sieht man sich das Schicksal der Familie an, mag man das tatsächlich glauben - bis zum "Anschluss" jedenfalls, denn mit einem Schlag gelten andere Spielregeln. Der Bann ist gebrochen, die Zeit des Unglücks nimmt ihren Anfang. Der Roman ist kein reines Werk der Fiktion, er ist auch dem Erinnerungsvermögen des Verfassers zu verdanken, der immer wieder auf die eigene Familiengeschichte zurückgreift.

Bald nach dem Zweiten Weltkrieg besuchte Morton Wien mehrmals als amerikanischer Korrespondent. In den letzten Jahren hielt er sich überhaupt gerne hier auf, hegte keine Ressentiments und nahm Auszeichnungen gerne an. Er nahm lebhaft Anteil am politischen Geschehen und interessierte sich für den Wandel der Stadt, die ihm eine Herzensangelegenheit geworden war. Die Politik nahm das freundliche Entgegenkommen eines Emigranten, der Wien attestiert hatte, mit der ehemals so feindlich aufgehetzten Stadt nichts mehr gemein zu haben, dankbar an.

Arbeit der Selbstvergewisserung

Die Autobiografie "Durch die Welt nach Hause. Mein Leben zwischen Wien und New York" (2006) ist Arbeit der Selbstvergewisserung. Zwischen den beiden Städten spannt sich ein ereignisreiches Leben. Sie bilden die Eckpunkte einer Biografie, die von den katastrophalen Umbrüchen im 20. Jahrhundert gezeichnet ist. Gezeichnet? Nein, als einen Gezeichneten hätte sich Morton nicht benannt. Er wurde zwar aus der Bahn geworfen, aber eigene Entscheidungen haben ihn vorangebracht. Er ist der amerikanische Selfmademan mit dem österreichischen Sinn für Ironie, die die eigene Person einschließt. Wenn Morton über sich selbst nachdenkt, sehen wir weniger den Historiker am Werk, bemüht, sich analytisch einen Überblick zu verschaffen, als den Sammler von Anekdoten, mit denen er Leichtigkeit ins Buch bringt. Ein Gespräch mit Vladimir Nabokov verläuft unglücklich. Für den jungen Morton interessiert sich der hochnäsige Star-Autor überhaupt nicht. Erst als er hört, dass Thomas Mann ein Morton-Manuskript gelobt haben soll, wird er hellhörig: ",Unser Herr Doktor Mann', sagt Nabokov, ,ist ein überschätzter alter Kacker.'" Ein schöner Beitrag zum Umgang großer Autoren miteinander.

Die Geschichte hatte Morton stets im Blick in Büchern wie "Wetterleuchten" oder "Die Rothschilds". Aus seiner Autobiografie weiß man, dass Morton im Haus der Rothschilds zu Gast gewesen ist. Später schrieb er das "Porträt einer Familie", um herauszubekommen, wie den Rothschilds aus der Frankfurter Judengasse der unglaubliche Aufstieg in den Geldadel gelingen konnte. Morton hat Quellenarbeit betrieben, aber er näherte sich dem Phänomen vorwiegend als Erzähler. Überhaupt konnte er vom Erzählen nicht lassen, auch in einem so nachdenklichen Buch wie "Wetterleuchten", das der Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs nachspürt. Nie war er der Historiker, der draußen bleibt und seine Schlüsse zieht, Empathie war Mortons Weg, um sich eine Vorstellung von den anderen zu machen.

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