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Der Lastenausgleich als Prinzip österreichischer Familienpolitik wird von allen politischen Lagern in Frage gestellt.

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Der Lastenausgleich als Prinzip österreichischer Familienpolitik wird von allen politischen Lagern in Frage gestellt.

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Die Frage, wie die gesellschaftlichen Leistungen für die Familie trotz eines im internationalen Vergleich hohen Standards weiter verbessert werden könnten, beherrschte nicht nur den Nationalratswahlkampf, sondern ist auch ein kontroversiell diskutiertes Thema bei den gerade stattfindenden Regierungsverhandlungen.

Zwei Dinge sind dafür entscheidend. Zunächst das Unbehagen darüber, daß sich die Menschen zwar Kinder und familiäre Geborgenheit wünschen, aber die fehlende Umsetzung Österreichs Bevölkerung als schrumpfend, wenn nicht allmählich aussterbend erscheinen läßt. Das Verhältnis der Jungen zu den Alten gerät aus dem Lot und läßt unfinanzierbare Pensionslasten fürchten. Dazu kommt, daß sich das Thema "Familie" in seiner Gesamtheit als Trennlinie grundsätzlicher gesellschaftspolitischer Vorstellungen anbietet. Analysiert man freilich die einschlägigen Aussagen der Spitzenpolitiker, muß man über die ideologische Verwirrung erschrecken, die allenthalben herrscht. Dabei beweist ein Blick auf die Entstehung der Familienpolitik in Österreich, daß von Anfang an klare Vorstellungen herrschten, die in den Gesetzen über den Familienlastenausgleich ihren Niederschlag fanden. Sie gelten nach wie vor - zumindest offiziell.

Akt der Gerechtigkeit Die von Familienminister Martin Bartenstein herausgegebene Broschüre "Familienpolitik in Österreich" stellt fest, daß Familien "die verläßlichsten Partner des Sozialstaates" sind. Es soll einen "fairen Lastenausgleich" als Leistung der Gesellschaft für die Familien geben. Dadurch würden "die Unterhaltsleistungen der Eltern für ihre Kinder durch Transferzahlungen (Beihilfen) und durch steuerliche Maßnahmen großteils ausgeglichen". Genau dieses Bild schwebte den Schöpfern des Familienlastenausgleichs vor.

Da Arbeitnehmer mit Kindern nicht mehr verdienen können als solche ohne Unterhaltspflichten, wurde eine Art Familienlohn geschaffen. Alle Beschäftigten verzichteten auf immerhin sechs Prozent ihres Bruttoeinkommens, die der Arbeitgeber nicht bar auszahlte, sondern an den Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) abgibt, der das Geld wiederum an die Kindererzieher umverteilt.

Obwohl man diesen allgemeinen Lohnverzicht - der übrigens ohne Beitragshöchstgrenze abgeführt wird und daher mit der Einkommenshöhe zunimmt! - zugunsten der Pensionsversicherung auf viereinhalb Prozent kürzte, stellt er auch heute noch die Hauptquelle für Familienleistungen und das Karenzurlaubsgeld dar.

Dieses an sich sehr einsichtige und logische Konzept sei nun den aktuellen Feststellungen der ein gemeinsames Regierungsprogramm suchenden Politiker gegenübergestellt: Absonderliches greift hier Platz. Es beginnt damit, daß man heute viel lieber von "Familienförderung" anstatt von "Familienlastenausgleich" spricht. Genau genommen sind das zwei unterschiedliche Dinge. Natürlich ist die Familie zu fördern, aber mit dem Begriff des Ausgleichs ging man weiter: es sollte ein Akt der Gerechtigkeit gesetzt werden, der gegenüber der Gesellschaft den Anspruch jener vermittelt, welche die Last der Erziehung von Kindern auf sich nehmen. "Förderung" läßt dagegen die Gestaltung nach Belieben zu, also entsprechend bestimmten gesellschaftspolitischen Vorstellungen, die mit der natürlichen Benachteiligung der Ernährer - das Wort sei mit Bedacht gewählt - von Nachwachsenden nur mehr wenig zu tun haben.

Auf sozialdemokratischer Seite taucht immer wieder die Begünstigung jener Mütter (aber auch Väter) auf, die ihren Erwerb mit der Erziehung von Kindern verbinden oder diesen vorübergehend unterbrechen wollen. Sozialpolitisch ist das eine für Arbeitnehmer sehr positive Tendenz. Sie wird nur dann bedenklich, wenn man familienpolitische Leistungen auf diesen Kreis konzentrieren und andere - vor allem Hausfrauen - davon ausschließen will. Recht deutlich kommt diese Tendenz bei einer Wortmeldung des Sozialforschers Bernd Marin zum Ausdruck, in der er im Zusammenhang mit dem geforderten Karenzurlaubsgeld für alle eher das Forcieren einer hohen Erwerbsquote wünscht, aber gegen eine "reine Versorgungsmentalität" zu Felde zieht. Hier wird deutlich, wie sehr der Begriff eines gerechten Lastenausgleichs bereits abhanden gekommen ist.

Der Budgetsprecher der SPÖ Kurt Gartlehner will gar den FLAF abschaffen und Familienleistungen direkt aus dem Budget finanzieren. Was das angesichts der Misere der Staatsfinanzen bedeuten würde, kann man sich denken. Freilich erhöht die derzeitige Hauptfinanzierung die Lohnnebenkosten wesentlich. Man sollte daher eher Überlegungen in Richtung einer Wertschöpfungsabgabe anstellen. Es müßte aber dabei bleiben, daß die Gesellschaft bestimmte und nicht zu niedrige Mittel für die Familienerhalter unantastbar reserviert!

Mit falschem Slogan Auch die bürgerliche Seite bedeckt sich in der Familienpolitik nicht mit Ruhm. Der Präsident der Industriellenvereinigung Peter Mitterbauer will die Beiträge zum FLAF senken, da es ohnedies immer weniger Kinder gibt. Das hieße wohl nichts anderes, als jedes Gegensteuern angesichts der Kinderarmut aufzugeben. Auch will er für Familienleistungen Einkommensobergrenzen einführen. Wie sehr dies einem allgemeinen Lastenausgleich widerspricht, braucht nicht hervorgehoben zu werden. Hinzu kommt der bereits erwähnte Umstand, daß die Bezieher höherer Einkommen derzeit am meisten für den Lastenausgleich aufbringen.

ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel möchte die Überschüsse des FLAF für pensionsbegründende Zeiten der Kindererziehung verwenden. Auch das stellt den Grundsatz eines gesonderten Lastenausgleichs in Frage und würde die Grenzen zu anderen sozialpolitischen Maßnahmen genauso verwischen, wie es bereits anläßlich der Kürzung der Familienbeiträge um ein Viertel erfolgte.

Ganz arg ist, daß die ÖVP-Spitze nun den früheren sozialistischen Slogan aufgreift, daß "jedes Kind gleich viel wert ist". Damit entfernt man sich meilenweit von der Idee, die Unterhaltsleistungen der Eltern als eigentlichen Ansatzpunkt jeder Familienpolitik anzusehen. Kinder sind keine staatlichen Alimentationsempfänger, auch wenn Schüssel sie unbegreiflicher Weise nun als die eigentlichen Begünstigten von Erziehungsgeldern ansieht! Allen Parteien kann nur dringend nahegelegt werden, sich in Sachen Familienpolitik darauf zu besinnen, was man eigentlich will. Etwas Besseres als den Grundgedanken des Ausgleichs der Lasten zugunsten jener, die Last und Freude auf sich nehmen, Eltern zu sein, ist noch nicht sichtbar geworden und wird kaum zu entdecken sein.

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