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Der Schriftsteller Raoul Schrott, Hoffnungsträger der zeitgenössischen deutschsprachigen Lyrik, im Furche-Gespräch.

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Der Schriftsteller Raoul Schrott, Hoffnungsträger der zeitgenössischen deutschsprachigen Lyrik, im Furche-Gespräch.

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Einen "gelehrten Poeten" nennt ihn H. C. Artmann: "Wenn ich heute anfangen könnte, würde ich gerne dort weitermachen, wo er ist. Ja. Ich beneide ihn". Der Neid des großen österreichischen Lyrikers, Sprachexperimentierers und Lautdichters Artmann gilt Raoul Schrott. Der 36-Jährige Erzähler, Herausgeber, Literatur- und Sprachwissenschaftler gilt als Hoffnungsträger der zeitgenössischen Lyrik. In seinen Übersetzungen überträgt Schrott die Dichtung antiker oder wenig beachteter Kulturen, wie die provenzalische, in eine lebendige, heutige Sprache. Mit souveränem Wissen und großem Respekt vor der Sprache, dabei spielerisch und ohne vordergründige Aktualisierung, schafft er eine Verbindung zwischen der Gedankenwelt der Antike und dem modernen Weltbild.

Alltag und persönliche Erlebnisse konfrontiert er in dem Gedichtband "Hotels" (1995) mit den antiken griechischen Ursprungsmythen der Kunst. In "Tropen" (1998) findet er sprachlich-poetische Erklärungen zu physikalischen Erscheinungen und Erkenntnissen ebenso wie zu rhetorischen Begriffen. Raoul Schrott wurde 1964 in Landeck in Tirol geboren, ist in Tunis aufgewachsen, hat in Norwich, Paris, Berlin und Innsbruck, in Italien und Südfrankreich gelebt, zur Zeit arbeitet er in Irland an einem Roman. Schrott wurde unter anderen mit dem Preis des Landes Kärnten beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb (1994), mit dem Leonce-und-Lena-Preis der Stadt Darmstadt (1995), dem Rauriser Literaturpreis (1996) und dem Friedrich-Hölderlin-Förderpreis (1996) ausgezeichnet.

Die Furche: Herr Schrott, Sie ernten für Ihr Werk viel Lob der Kritik, auch die Publikumsreaktionen bei Lesungen sind sehr positiv. Sehen Sie das als Hinweis, daß es ein Bedürfnis gibt nach Lyrik und Poesie?

Raoul Schrott: Das Bedürfnis ist auf alle Fälle da, das merke ich beim Publikum. Aber zeitgenössische Lyrik hat meist das Medium Sprache selbst zum Inhalt, was sie viel zu selbstreferenziell macht - und für das Publikum letztlich zu langweilig. Die sprachkritische Haltung kann dabei abrutschen in ein sehr narzißtisches Verständnis von Dichtung. Sprache ist ein Medium, und ein Medium ist immer nur sekundär gegenüber dem, was ich vermitteln will. Heute glaube ich, ist eine bilderreichere, auch an verständlicherer Sprache orientierte Dichtung, die deshalb nicht leichter ist, wieder wichtiger geworden.

Die Furche: Sie versuchen immer wieder, scheinbar Unvereinbares zu verbinden, etwa Naturwissenschaft und Poesie. Wissenschaft aber versucht, die Realität auf Formeln zu bringen, während Sprache immer offen und interpretierbar ist.

Schrott: Es gibt da genauso viel Verbindendes wie Trennendes. Denn auch die Poesie verwendet eine Art Ökonomie der Sprache, die mit einem Minimum an Mitteln ein Maximum an Inhalt ausdrücken will. Die aber gleichzeitig schön ist. Der Gegensatz liegt darin, daß die Wissenschaft versucht, die Dinge zu definieren. Dagegen versucht die Dichtung, den Raum zwischen den Dingen zu definieren. Dichtung ist eine Art von Humanismus, die aus dieser ganzen kosmischen Indifferenz, die uns umgibt, eine humane Differenz machen will. Dichtung will den Dingen einen menschlichen Blick verleihen. Sie läßt Widersprüche stehen und enthält auch ein Streben nach Transzendenz. Gleichzeitig weiß sie, daß dieser Sinn nur ein menschliches Produkt ist - das ist das Urparadoxon der Poesie.

Die Furche: In "Die Erfindung der Poesie" erscheint die Geschichte der Lyrik auch als Geschichte der Suche nach dem Wesen der Dichtung.

Schrott: Erstaunlich für mich an dieser Arbeit war die Erkenntnis, daß sowohl die Werkzeuge als auch die Themen der Poesie von den ersten schriftlichen Zeugnissen an gleich geblieben sind. Sie arbeitet mit wenigen handwerklichen Tricks. Thematisch geht es um Wein, Weib, Gesang, um Götter, Natur und Tod. Diese Themen findet man überall, nur in einem anderen Gewand, das vom jeweiligen kulturellen Rahmen abhängig ist. Dichtung ist vielleicht, Erkenntnis zu schaffen durch den ständig mitwachsenden Blickwinkel der Zeitgenossenschaft, in der wir leben.

Die Furche: Sie behandeln Lyrik mit einer schalkhaften Ambivalenz einerseits als eine erhabene Form, andererseits brechen Sie diese Erhabenheit mit Ironie.

Schrott: Das Erhabene war für mich deshalb als Thema in den "Tropen" interessant, weil es diesen bildungsbürgerlichen Voyeurismus verkörpert auf eine Natur, die als gewaltig gilt, als den Menschen bestimmend. Das Schelmische kommt aus dem Bewußtsein, daß das, was man macht, ja nicht wahr sein kann. Alle Benennungen sind nur menschliche Konstruktionsversuche, Hypothesen, die bar jeden Ewigkeitswertes sind. Das führt zu einem ironischen Standpunkt nicht nur mir selbst gegenüber, sondern gegenüber dem ganzen absurden Tun, das die Menschen unternehmen, nur um sich bewußt zu werden, daß das Leben doch ein bißchen seltsam ist.

Die Furche: Welche Aufgabe hat für Sie der Poet, der Dichter, in einer Gesellschaft?

Schrott: Er ist das Fühlorgan - er entwirft Sprache, sprachliche Register, vor allem Bilder. Dichtung, reduziert auf ihre Struktur, ist im Kern die Metapher - und die steht für ein analogisches, vergleichendes Denken. Wenn man sich einmal die Bedeutung der Worte überlegt, dann waren das alles einmal Metaphern, die einen menschlichen Denkraum wieder zwei Zentimeter verbreitert haben, indem sie noch nicht Bekanntes durch bekannte Dinge beschrieben haben. Somit hat Sprache und daher auch Dichtung eine sinnstiftende Funktion. In dem Sinn erfüllt sich die Etymologie des Wortes Poesie, die ja nichts anderes heißt als machen oder fertigen in einem handwerklichen Kontext.

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