Werbung
Werbung
Werbung

Vor 100 jahren starb Samuel Langhorne Clemens, bekannt als Mark twain.

Erfahrung bedeutete Mark Twain alles. Deshalb sammelte er auf seinen Reisen begierig Eindrücke, aus denen sich spannende Geschichten formen ließen. Die Härten der Existenz bog er ins Humorvolle, das Schmerzliche ins Abenteuerliche, das Erhabene ins Lächerliche, und das ganze Leben geriet ihm unter der Hand zu einem ausladenden Fest.

Früh hatte er sich einen guten Namen gemacht als Humorist, der der amerikanischen Gesellschaft eine ungewohnte Respektlosigkeit beibrachte. Die Amerikaner ließen sich das gefallen, weil Samuel Langhorne Clemens, der sich als Autor Mark Twain nannte, sein Geschäft des freundlichen Levitenlesens derart charmant betrieb, dass man die Kritik, die er betrieb, nie auf sich selbst, sondern die anderen, die Kleinbürger und Philister, beziehen durfte. Und über Denkwürdigkeiten in der Ferne lachte man ohnehin gerne. Im Sammelband „Post aus Hawaii“ (mare 2010) lässt sich nachlesen, wie Twain als Reisender die Fremde mit den Augen eines Skeptikers und Spötters sah, der mit einem scharfen Blick menschliche Tugenden und Torheiten gleichermaßen kleinredete.

Als Fünfzehnjähriger liefert er erste Artikel für das Hannibal Journal. Später erwirbt er den Lotsenschein und arbeitet für einige Jahre auf dem Mississippi. Sein Pseudonym Mark Twain bedeutet „zwei Faden tief“, das ist die sichere Tiefe für einen Flussdampfer. In Nevada begibt er sich unter die Silbergräber und schreibt Reportagen.

Reisen um die Welt

Mit seinem ersten Buch „Der berühmte Springfrosch von Calaveras“ (1867) und Vorträgen wird er bekannt und beliebt, Vortragstouren führen ihn um die ganze Welt. Mit 32 Jahren hat er es geschafft, dass er sich darauf verlassen kann, von seinem Schreiben leben zu können. Auf einer Schiffsfahrt durch die Mittelmeerländer verliebt er sich in das Bildnis einer jungen Dame. Drei Jahre später sind die beiden ein Ehepaar.

1885, erscheint der Roman „Huckleberry Finns Abenteuer“. Mark Twain gilt als unangefochtene literarische Größe, junge Literaten suchen Rat bei ihm. In einem Brief an seine Frau schreibt er, wie er Mrs. Whiteside abgefertigt hat. Darin steckt sein eigenes literarisches Programm. „Was Sie gelebt haben, können Sie auch beschreiben, & durch harte Arbeit & eine ernsthafte Lehrzeit können Sie lernen, gut zu schreiben. Was Sie aber nicht gelebt haben, können Sie nicht beschreiben, Sie können nur so tun als ob. Sie werden nur einen echt aussehenden Geldschein hervorbringen, der am erstbesten Bankschalter als Fälschung erkannt wird.“ Twain nimmt die junge Dame so ernst, dass er sie hinweist auf „kleine Fehler“, die ihr in ihrer Geschichte unterlaufen sind: „Und wenn Sie selbst einmal versucht haben, freihändig ein Abflussrohr hinunterzuklettern, werden Sie danach nicht mehr auf die Idee kommen, Ihren Helden mit einer Frau in den Armen dasselbe tun zu lassen.“

Im Februar 1870, Jahre bevor sein großer Erfolg „Tom Sawyers Abenteuer“ (1876) erscheint, wendet er sich brieflich an den Jugendfreund William Bowen, um ihm zu berichten, wie „die Quellen meiner großen Tiefe“ aufgebrochen sind, „und seit vierundzwanzig Stunden sprudeln Erinnerungen aus mir hervor.“ Er sieht jene Szenen seiner Kindheit, die er jetzt literarisch umzuformen gewillt ist. Jubelnd beschwört er die Tage, „seit wir Dick Hardys Stall abrissen, seit du die Masern hattest & ich dich absichtlich besuchte, um mich anzustecken.“ Szene um Szene erscheint in der Erinnerung, sie alle gehen ein ins Buch, das zum Nationalklassiker wird und in dem die Atmosphäre einer untergegangenen Zeit aufgehoben ist.

Grausame Zeit

Die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn sind ja nicht nur ein Sammelsurium wilder Geschichten von wilden Knaben, sondern legen Zeugnis ab von einer überaus grausamen Zeit, in der soziale Unterschiede verhängnisvolle Folgen zeitigten und Rassismus allgegenwärtig war. Liebenswert sind die Twainschen Südstaaten keineswegs, werden sie nur durch den melancholisch begütigenden Gestus. Im Zentrum stehen die Buben, und deren Wirklichkeit ist in jedem Augenblick aufregend. Um sie herum gruppieren sich die finsteren Heroen einer Epoche, die von Friedfertigkeit noch keinen Begriff hat.

Mark Twain wurde gefeiert als lustiger Kerl, er aber wollte ernst genommen werden und tanzte aus der Reihe, indem er seinem im Lauf der Jahre sich verschärfenden Pessimismus freien Lauf ließ. Seine streng katholische Frau ist ihm, solange sie lebt, Korrektiv. Der Unterschied der beiden zeigt sich in der Korrespondenz, soeben im Aufbau-Verlag erschienen. Er schwärmt für sie, betet sie an, während er sich gezwungen sieht, ihre „ernsten, philosophischen Dissertationen als Liebesbriefe anzusehen“. Livy versucht, ihn auf den rechten Weg zu lotsen, ihm Manieren beizubringen und ein Verhalten, mit dem er sich in Gesellschaft sehen lassen kann. Sam erweist sich durchaus als gefügig. Im Jahr 1903, seine Frau ist schwer erkrankt, sodass keine Hoffnung besteht, gibt er vor, seinen Glauben wiedergefunden zu haben. Seinem Tagebuch vertraut er seine tatsächlichen Gedanken an: „Einer der Beweise für die Unsterblichkeit der Seele ist, dass unzählige Menschen daran glaubten. Sie glaubten auch, die Erde sei flach.“

Nach dem Tod seiner Frau 1904 verfällt Twain einer abgrundtief tragischen Weltdeutung. Kein Wunder, der erfolgreiche, beliebte Literat hat eine Menge von Schicksalsschlägen zu beklagen. Drei von vier seiner Kinder sterben vor ihm, und finanziell bewegt er sich, obwohl zeitweise wohlhabend zu nennen, zwischendurch am Rande des Abgrunds.

Vehementer Kritiker

Eine seiner seltsamsten Erzählungen, „Der unheimliche Fremde“, schreibt er gegen Ende seines Lebens. Von der von ihm so hoch gehaltenen Erfahrung als Rückgrat des Geschriebenen ist hier nichts zu bemerken. Die Geschichte spielt in einem fiktiven Österreich des Jahres 1590. Weder geografisch noch historisch stimmen die Angaben, Österreich suchte sich Twain wohl nur als exotischen Ort, weit genug entfernt von Amerika, als dass es auf Genauigkeit angekommen wäre. Drei Jugendliche machen die Bekanntschaft mit einem Engel, der sich Satan nennt und mit ihnen ein wahrhaft grausames Spiel treibt. Er kennt nicht den Unterschied zwischen Gut und Böse und verspottet die Menschen mit ihrem Moralgefühl, womit sie das Übel in die Welt gesetzt hätten. Diese Figur tritt als Führer durch eine Welt voller Grausamkeiten in Erscheinung, die alle im Namen einer Religion oder der Vernunft begangen worden sind.

Hinter einer Unschuldsmaske aus Humor verbirgt sich mit Mark Twain einer der vehementen Kritiker seiner Zeit.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung