Zweierlei Nachrichten

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Beim Durchschauen der Meldungen, die ich gewohnheitsmäßig aus Zeitungen herausreiße und ablege, um sie nach ein paar Monaten resignierend doch wegzuwerfen, entdecke ich manchmal Zusammenhänge, die ich vorher gar nicht zu sehen imstande war. So stieß ich auf eine Nachricht aus Indien, die mir auf merkwürdige Weise zu einer aus England zu passen schien.

Auch in Indien, las ich, macht die Pränataldiagnostik so große Fortschritte, dass mittlerweile die meisten der gebildeten städtischen Inder wissen, ob ihre schwangere Frau einen Sohn oder eine Tochter von ihnen erwartet. Früher wurde das Problem, dass Töchter nur Geld kosten, aber - da sie später doch heiraten - nichts zur Altersversorgung der Eltern beitragen, vieltausendfach dadurch behoben, dass die Mädchen nach der Geburt mithilfe der Ärzte oder ohne sie getötet wurden. So blutig muss es jetzt nicht mehr hergehen, denn die pränatale Diagnostik erkennt schon früh das Verhängnis, das in Gestalt eines weiblichen Fötus heranreift und weiß jenes in Form einer klinisch sauberen Abtreibung abzuwenden. Auf 1000 Knaben erblicken folglich nur mehr 700 Mädchen das indische Licht der Welt.

Aus England dagegen erreicht mich die Nachricht, dass die Fortschritte der Invitrofertilisation den Eltern, die sich vergeblich um Nachwuchs bemühten, diesen nicht nur den lange gehegten Wunsch immer häufiger zu erfüllen vermögen; sondern auch, dass die Technik bereits so ausgereift ist, dass die werdenden Eltern entscheiden können, ob sie einander einen Sohn oder eine Tochter schenken möchten. Und weil England ein fortschrittliches Land ist, liegt der Produktwunsch Sohn nur wenig höher als der nach einer Tochter. Ja, das sind halt so die Unterschiede zwischen einem rückständigen Land mit barbarischen Traditionen und einer aufgeklärten europäischen Zivilisation.

Der Autor ist Schriftsteller und Literaturkritiker in Salzburg.

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