Zweimal schlechte Erziehung

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LA MALA EDUCACIÓN - SCHLECHTE ERZIEHUNG.

Pedro Almodóvars neuer Film ist ein quälendes, faszinierendes und betörend schön gefilmtes Vexierbild von Liebe, Leidenschaft und Tod.

Für mich gibt es keinen Gesellschaftskörper, der am ganzen Körper so mit Erotik tätowiert ist, wie den katholischen." Solches äußerte Adolf Holl vor einiger Zeit im Furche-Interview. Kurz gesagt: Rund ums Katholische gehe es immer und immer wieder um Erotisches und um Sexualität, "und zwar", so Holl, "gibt's immer nur ein Minuszeichen davor". Man mag dem von der Kirche durch und durch geprägten Kirchenkritiker zustimmen oder nicht: Dass die katholische Kirche in den letzten Wochen und Jahren mit Sex-Schlagzeilen die Welt negativ berührte, scheint obigen Zitaten Recht zu geben.

Wenn nun ein Filmemacher aus dem einst erzkatholischen Spanien ans Thema herangeht, dann müsste sich das Holl'sche Bonmot sogar noch potenzieren: Schon Luis Buñuel, der Altvordere des spanischen Films, hatte ja sein Publikum gelehrt, dass es immer um Religion und ums verbotene, verdrängte, ausbrechende Erotische geht.

Pedro Almodóvar, der heutige Regiestar Spaniens, ist mit seinem neuen Film "La mala educación" bei dieser Erkenntnis des Altmeisters angekommen - und bestätigt damit auch Holls katholische Körperdiagnose. In der Filmritik firmiert "Schlechte Erziehung" bereits als beste Arbeit Almodóvars - und man kann sich dem anschließen.

Der junge Filmregisseur Enrique wird durch einen Besuch seines ehemaligen Klassenkameraden Ignacio, der sich jetzt angeblich Ángel nennt (Gael García Bernal), an die gemeinsame Zeit im katholischen Internat erinnert, in der beide ineinander verliebt waren; die junge Liebe der Knaben war aber von den Übergriffen des Schulleiters Padre Manolo zerstört worden. Ángel/Ignacio hat seine Lebensgeschichte aufgeschrieben, und Enrique - obwohl zunächst unwillig - ist von dieser so fasziniert, dass er daraus seinen nächsten Film machen will.

Auf dieser Folie aus Pädophilie, Homosexualität und sexueller Orientierungslosigkeit verwebt Almodóvar mehrere Geschichten und verschiedene Zeitebenen miteinander. Der mexikanische Jungstar Gael García Bernal ist die Drehscheibe, indem er mehrere der Figuren in sich vereinigt - und dieses Rollenwirrwarr grandios meistert: den schüchternen Ángel, der Filmschauspieler werden will, den Transvestiten Zahara, der in drittklassigen Shows auftritt, und Juan, der vor einem Mord nicht zurückschreckt. Die Identitäten und Wirklichkeiten oszillieren, gestalten sich zu einem Vexierbild und entfalten sich schlussendlich als großes Kino zum Thema Liebe und Leidenschaft, dem sich niemand entziehen kann.

"In einem Zoo in Taiwan sprang eine Frau vor den Augen einer schockierten Menschenmenge plötzlich in ein von einer Unzahl ausgewachsener Krokodile bevölkertes Bassin. Während die hungrigen Bestien sie gierig zerfleischten, umarmte die Frau eine von ihnen, ohne dabei auch nur den geringsten Laut von sich zu geben." Diese Zeitungsnotiz liest Enrique zu Beginn auf der Suche nach einem neuen Filmstoff.

Kein besseres Leitmotiv als solche Notiz konnte Pedro Almodóvars "Schlechte Erziehung" haben: Um nichts anderes als um diese Liebessuche inmitten von Untieren geht es ebenso quälende wie faszinierende wie betörend schön gefilmte 106 Minuten lang.

LA MALA EDUCACIÓN - Schlechte Erziehung

Spanien 2004. Regie, Buch: Pedro Almodóvar. Mit Gael García Bernal,Fele Martinez, Daniel Giménez-Chaco, Lluis Homar. Verleih: Tobis. 106 MIn. - Ab 1. Oktober.

SILENTIUM.

Josef Hader zum zweiten Mal als Brenner in der zweiten Wolf-Haas-Verfilmung, Wolfgang Murnberger zum zweiten Mal als Regisseur: Krimi-Abgründe in Salzburgs Kirche und Society.

Die Salzburger Filmförderungsstellen seien not amused gewesen, dass Wolfgang Murnbergers Krimi-Verfilmung "Silentium" kein "Sound of Music"-Bild der Festspielstadt wiedergibt. Solch kolportierter Irrmeinung aufgrund offensichtlichen Tourismus-Manager-Blicks hätte zwar ein kurzes Schauen in Wolf Haas' Romanvorlage abhelfen können. Vielleicht hätte man auch im nicht so fernen Bad Tölz nachfragen sollen, um festzustellen, dass der bayerische Voralpenkurort - trotz Toni Rambold, Prälat Hinter und sonstiger Amigo-Typen - durch den "Bullen" einen Bekanntheitsgrad sondergleichen erreichen konnte.

Salzburg ist dennoch nicht Bad Tölz, auch wenn "Silentium" in punkto Verquickung von Politik, Kultur (Festspiele und so) und Kirche ein durchaus ähnliches Biotop wie der TV-Quotenhit offenbart. Als eine schwarze Geschichte, viel bösartiger als die Wolf-Haas-Verfilmung "Komm, süßer Tod" entpuppt sich Privatdetektiv Brenners zweiter Film-Fall, wobei auch das Thema sich viel mehr zur entlarvenden Gesellschaftsgroteske eignet als der Rettungsfahrer-Slapstick des ersten Haas-Films: Mag Hauptdarsteller Josef Hader das Ganze als reine "Fiktion" abtun, die kein Film gegen Kirche oder Festspiele sei (vgl. Interview rechts): Das abgründige Milieu von sexuellem Missbrauch in der Kirche, Frauenhandel und Prostitution einer Festspiel-Clique, die wirklich alles Unanständige zu tun bereit ist, um Festspielstars jeden perversen Wunsch zu erfüllen, hat trotz Groteske bittere reale Hintergründe. Die Kirchenskandale der letzten Jahre haben im Übrigen das Ihre dazu getan, dass der 1999 als Buch erschienene Krimi anno 2004 nichts an aktuellen Bezügen eingebüßt hat.

Vielleicht kann man solchen Hintergründen ja am besten eben mit grotesker Überhöhung und schwärzestem Humor beikommen, aber im Lauf des Films gefriert einem das Lachen mehr als einmal, so intensiv kommen die gesellschaftlichen Wunden in den Sinn, auf die angespielt wird. Wenn Brenner allerdings quasi als Reserve-Christus mit einem lebensgroßen Holzkreuz durch die Gänge des Knabenseminars, einem der Hauptorte der Handlung, stolpert, wird für manche doch die Grenze der Groteske erreicht sein.

Dass solcher Humus Mord und Totschlag hervorbringt, versteht sich von selbst. Der Plot spitzt einiges, was im Buch nuancierter angelegt war, noch zu: So ist der Sportpräfekt Fitz (Joachim Król, eine darstellerische Hauptstütze des Films) im Buch kein Priester, im Film schon, was die Abgründigkeit der Figur in Richtung Denunziation der Kirche als eine Institution, der man alles zutraut, nur vertieft.

In "Silentium" gibt Josef Hader zum zweiten Mal den Brenner. Wie der Hauptprotagonist hier lakonisch-depressiv agiert, macht ihm keiner so schnell nach. Es erweist sich auch als Glücksgriff, dass der Film - auch im Gegensatz zum Buch - Berti, Brenners Rettungsfahrerkollegen aus "Komm, süßer Tod", nach Salzburg mitnimmt. Simon Schwarz wächst hier zu Haders kongenialem Partner heran, aber er bleibt nicht der Einzige, der hervorsticht: Maria Köstlinger als Frau Dornhelm, Udo Samel als Festspielpräsident, Jürgen Tarrach als feist-perverser Opernstar und Rosie Alvarez als Di Ding sind nur einige, die Wolfgang Murnbergers Regie zu einem veritablen Film-Ensemble geformt hat.

Silentium

A 2004. Regie: Wolfgang Murnberger. Buch: Wolfgang Murnberger, Josef Hader, Wolf Haas nach dem gleichnamigen Roman von Wolf Haas. Mit Josef Hader, Simon Schwarz, Joachim Król, Maria Köstlinger. Verleih: Luna. 110 Min. Ab 24. Sept.

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