Zwischen Ästhetik und Realität

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Im 21er Haus knüpft man mit der Ausstellung "Utopie Gesamtkunstwerk“ an die legendäre Schau "Der Hang zum Gesamtkunstwerk“ aus dem Jahr 1983 im damaligen 20er Haus an. Leitend ist die Idee der Ausdehnung der Kunst auf die konkrete Lebensrealität.

Es gibt Ausstellungen, die werden berühmt. Man spricht von ihnen auch Jahrzehnte danach. Weil sie mehr sind als bloß eine Zusammenstellung spannender Exponate. Sie entwerfen neue Sichtweisen oder formulieren Themen, die für den Kunstdiskurs der darauffolgenden Jahre wichtig werden. Die Schau "Der Hang zum Gesamtkunstwerk“ des legendären Schweizer Ausstellungsmachers Harald Szeemann, die 1983 im Wiener 20er Haus gastierte, war eine solche Ausnahmeschau. Kein Zufall also, dass die erste Gruppenpräsentation im neuen 21er Haus bereits im Titel "Utopie Gesamtkunstwerk“ Szeemanns Projekt zitiert.

Utopie hat ihre Berechtigung

Im Unterschied zu Szeemann, der europäische Utopien und die Sehnsucht nach der Verschmelzung aller Künste vom 18. Jahrhundert bis Mitte der 1950er-Jahre beleuchtete, konzentriert sich die aktuelle Schau auf fünfzig großteils junge Künstlerpositionen. Lediglich drei große Namen, die vor 29 Jahren gezeigt wurden, sind auch diesmal wieder vertreten: Joseph Beuys, Hermann Nitsch und Marcel Broodthaers.

In eine Schau, die im Titel mit dem ambivalent besetzten Begriff Gesamtkunstwerk agiert, geht man mit gemischten Gefühlen. Die Kuratoren Bettina Steinbrügge und Harald Krejci fangen mögliche Kritik an dem oft mit Totalität in Verbindung gebrachten Begriff ab, indem sie der bereits von Szeemann formulierten These folgen, dass es das Gesamtkunstwerk im Grunde nicht gibt: "Das Gesamtkunstwerk in seiner ursprünglichen Form ist eine Utopie, aber in jeder Utopie liegt eine gewisse Berechtigung, die fortdauert und somit auch die Kunstproduktion beeinflusst. Um diese Einflüsse geht es, denn sie wirken weiter oder werden in zeitgemäßer Form weitergeführt.“ Dennoch sei gerade in einer Zeit der Fragmentierung die Utopie von einer unterschiedliche Gattungen und Lebenswelten vereinenden Kunst reizvoll, so die Ausgangsthese.

Beim Eintritt ins 21er Haus sticht zunächst eine den gesamten Raum dominierende Ausstellungsgestaltung ins Auge. Die in Südtirol geborene Künstlerin Esther Stocker entwarf für die Schau eine Installation aus mehreren meist begehbaren schwarzen Kuben, in deren Innerem oder an deren Außenwänden die einzelnen künstlerischen Positionen präsentiert werden. Stockers Gestaltung bildet einen ästhetisch eindrucksvollen Zusammenhalt, der die vielen unterschiedlichen Arbeiten als minimalistisches Gesamtkunstwerk erscheinen lässt. Genau darin liegt aber auch die Problematik dieser Präsentationsform. Die starken - oft opulent ausufernden - künstlerischen Ansätze etwa von Christoph Schlingensief, Jonathan Meese oder Joseph Beuys wirken durch Stockers Display so stark gezähmt, dass für die Besucher nicht immer leicht zu erkennen ist, warum eine bestimmte Position in einer Schau zum Thema Gesamtkunstwerk zu sehen ist.

"Verwaldung gegen Verwaltung“

Stärker als um die Symbiose der einzelnen Gattungen Malerei, Musik, Skulptur und Architektur geht es in vielen Arbeiten um die Sehnsucht nach einer Ausdehnung der Kunst auf die Wirklichkeit - frei nach dem Philosophen Odo Marquard, der meinte: "Zum Gesamtkunstwerk gehört die Tendenz zur Tilgung der Grenze zwischen ästhetischem Gebilde und Realität.“ Beispielhaft hierfür steht Joseph Beuys’ Projekt aus den Jahren 1982-87, bei dem er unter dem Motto "Stadtverwaldung gegen Stadtverwaltung“ die Pflanzung von 7000 Eichen im Stadtgebiet von Kassel initiierte. Auch die Künstlergruppe "WochenKlausur“ versucht Kunst als Instrumentarium zu begreifen, um gesellschaftspolitische Veränderungen zu erzielen. Präsentiert wird hier ihr Projekt "Medizinische Versorgung Obdachloser“ von 1993, bei dem die Künstler eine mobile Ambulanz kreierten, die Obdachlosen eine Erstversorgung ermöglichte. Indem diese Idee - mittlerweile von der Caritas geleitet - bis heute erfolgreich weitergeführt wird, ist zumindest in diesem Fall die Ausdehnung der Kunst auf die Lebensrealität zu einem Gesamtkunstwerk Wirklichkeit geworden.

Utopie GESAMTKUNSTWERK

21er Haus, Arsenalstraße 1, 1030 Wien

bis 20. Mai 2012, Mi-So 10-18 Uhr

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