Zwischen Altherren- und Traumkino

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Die Berlinale hat ein gravierendes Problem mit der Qualität ihres Wettbewerbs. Das zeigte sich heuer besonders deutlich.

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Die Berlinale hat ein gravierendes Problem mit der Qualität ihres Wettbewerbs. Das zeigte sich heuer besonders deutlich.

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Von all den Filmen, die die 67. Berlinale in einem seltsam glanzlosen und qualitätsarmen Wettbewerb zeigte, stach der Sieger schon von Beginn an hervor, und legte am Ende einen Start-Ziel-Sieg hin: Die 61-jährige ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi hat seit 18 Jahren keinen Film mehr gedreht, weil es mit der Finanzierung nicht geklappt hatte. 1989 war sie schon einmal bei der Berlinale, mit ihrer Arbeit "My Twentieth Century", und nun kehrte sie mit "Teströl és lélekröl" ("On Body and Soul") nach Berlin zurück. "Wir haben uns gleich in diesen Film verliebt", merkte Jury-Präsident Paul Verhoeven bei der Preisverleihung an, als er den Goldenen Bären überreichte.

Was macht die Qualität dieses Films also aus? Enyedi erzählt eine Liebesgeschichte an einem scheinbar unmöglichen Ort: Ein Schlachthaus in Budapest ist der Schauplatz der Annäherung zwischen dem Geschäftsführer des Schlachtbetriebes, Endre (Geza Morcsányi), und seiner neuen Mitarbeiterin Mária (herausragend: Alexandra Borbély), der Qualitätsprüferin der Firma. Beide finden heraus, dass sie nachts die gleichen Träume träumen und wie Hirsch und Hirschkuh durch eine Winterlandschaft streunen, in der sie sich hemmungslos hingeben können. Ganz im Gegensatz dazu steht ihre Realität im Umfeld des Schlachthofes, ein Ort, an dem Tiere getötet werden, an dem es keine Ausflüchte aus dem Alltag gibt. Ausbrechen geht nur in der Seelenwelt: Dies beschreibt die Regisseurin mit wunderbarem Minimalismus und sanfter Langsamkeit. Es ist ein großer Film über das (Sich-)Spüren geworden, der den Bären allemal verdient hat.

Aber das löst das strukturelle Problem der Berlinale nicht. Denn der restliche Wettbewerb wirkte, als hätte Langzeitchef Dieter Kosslick einfach nicht genug qualitative Filme zur Auswahl, so verkrampft schien die Zusammenstellung. Volker Schlöndorffs Altherren-Kino "Return to Montauk" passte da genausowenig in den Wettbewerb wie Josef Haders stilsicher inszeniertes Regiedebüt "Wilde Maus", ein lustiger Film zwar, aber für den Wettbewerb eines A-Festivals, das sich mit Cannes und Venedig messen will?

Silberner Bär für Georg Friedrich

Auch "Helle Nächte" von Thomas Arslan hatte in dem Bewerb nichts zu suchen, großes Kino von epischer Langeweile, Berliner Schule, und doch ausgezeichnet: Georg Friedrich erhielt den Preis als bester Darsteller - das ist aber mehr als überfällige Anerkennung für seine inzwischen lange und erfolgreiche Karriere zu sehen (vgl. Seite 24). Beste Darstellerin wurde die Koreanerin Kim Minhee, die in Hong Sangsoos "On the Beach at Night Alone" überzeugend eine Dauerbetrunkene spielt. Auch der große Preis der Jury für "Félicité" von Alain Gomis über eine Barsängerin in Kinshasa geht in Ordnung, während der Preis für Aki Kaurismäki als bester Regisseur für seine (wie immer) trockenhumorige Erzählung "Die andere Seite der Hoffnung" bloß die gleichbleibend hochwertige Fortschreibung seines Werks auszeichnet, keine neu hinzugefügte Öffnung oder Erweiterung. Das Transgender-Drama "Una mujer fantástica" erhielt - auch das passt gut zur Attitüde dieses Festivals - den Drehbuchpreis und den queeren Teddy-Award.

Die Berlinale sah sich 2017 vielleicht mit dem Problem konfrontiert, dass nach ihr die 70. Ausgabe des Festivals von Cannes ansteht, für die sich viele Studios ihre starbesetzten Filme aufsparen und viele hochkarätige Filmkunst erwartet wird. Vielleicht ein Ausnahmejahr der schlechten Qualität, aber dennoch: Die Berlinale muss sich Relevanz zurückerkämpfen, will sie weiter im Club der großen Festivals mitspielen.

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