Zwischen Fotografie und Spionage

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Peter Stephan Jungk erkundet in seinem jüngsten Buch die Lebensgeschichte seiner Tante Edith Tudor-Hart, einer der wichtigsten österreichisch-britischen Fotografinnen des 20. Jahrhunderts, die Anfang der 1990er-Jahre als Agentin des KGB entlarvt wurde.

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Peter Stephan Jungk erkundet in seinem jüngsten Buch die Lebensgeschichte seiner Tante Edith Tudor-Hart, einer der wichtigsten österreichisch-britischen Fotografinnen des 20. Jahrhunderts, die Anfang der 1990er-Jahre als Agentin des KGB entlarvt wurde.

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Das Licht auf ihren Fotos nahezu immer dunkel. Schwarz und Grau nehmen überhand. Weiß, Helligkeit kommt nur sparsam vor." So beschreibt Peter Stephan Jungk die Fotos von Edith Tudor-Hart, einer der wichtigsten österreichischbritischen Fotografinnen des 20. Jahrhunderts, und charakterisiert damit metaphorisch gleichzeitig die bewegte Lebensgeschichte der Cousine seiner Mutter.

Er kannte sie nicht gut, erinnert sich im ersten Kapitel, wie er 1967 als Vierzehnjähriger gemeinsam mit ihr im Wiener Riesenrad gefahren ist -sie hat damals zum ersten Mal nach ihrer Emigration wieder ihre Heimatstadt besucht. Als Anfang der 1990er-Jahre im Londoner Daily Express ein Artikel erschien, der Edith Tudor-Hart als Agentin des KGB entlarvte, wollten von der "dunklen" Seite ihres Lebens als Spionin weder ihr in London lebender Bruder, der bekannte Kameramann und Fotograf Wolf Suschitzky, noch die Familie des Biografen, der Zukunftsforscher Robert Jungk und seine Frau Ruth, geborene Suschitzky, etwas davon wissen.

Peter Stephan Jungk wurde neugierig auf das Doppelleben seiner Tante, wollte ihren Geheimnissen auf die Spur kommen. Das Buch "Die Dunkelkammern der Edith Tudor-Hart" zeichnet auf beeindruckende und berührende Weise diese persönliche Spurensuche nach den dunklen Flecken der Familiengeschichte nach. Jungk möchte begreifen, warum Edith und andere Zeitzeugen bis zu ihrem Lebensende Kommunisten geblieben sind, stößt bei seinen Recherchen immer wieder auf die Geschichte seiner Eltern, und wird immer unsicherer, ob nicht auch sein eigener Vater ein "fellow traveller" gewesen sein könnte.

Jeder Schriftsteller ist ein Spion

"Jeder Schriftsteller ist ein Spion", bekennt der Autor an einer Stelle im Buch und reflektiert damit auch die Position des Biografen, der sich bewusst ist, dass er nur "Geschichten eines Lebens" - so der Untertitel -erzählen kann. Dass er die Kunst des (auto)biografischen Erzählens wie kaum ein anderer beherrscht, hat Peter Stephan Jungk schon mehrfach unter Beweis gestellt, in seiner Biografie über Franz Werfel, seinem Roman "Der König von Amerika" über Walt Disney, dem Buch "Die Unruhe der Stella Federspiel" oder dem Roman "Die Reise über den Hudson", in dem er behutsam Fakten und Fiktionen einer Vater-Sohn-Beziehung vermischt.

Nicht nachvollziehbar erscheint deshalb die Zuordnung des S. Fischer Verlags in die Kategorie Sachbuch, denn auch "Die Dunkelkammern der Edith Tudor-Hart" sind große Erzählkunst. Jungks literarisches Interesse gilt seit jeher Menschen, die auf der Suche sind, immer unruhig und unterwegs. Seine Figuren bewegen sich so durch die Welt wie ihr Erfinder, denn Schreiben bedeutet für Jungk, sich immer wieder im Kreis zu drehen. So trifft es sich wunderbar, dass das Riesenrad als realer Ort und symbolisches Bild auch Edith Tudor-Harts Lebensgeschichte begleitet. Und es ist wohl kein Zufall, dass ihre Aufnahme aus einer Gondel des Riesenrads aus dem Jahr 1931 zu ihren schönsten Fotos zählt. Sie experimentiert dabei mit einer ungewöhnlichen Kameraperspektive - eine Ästhetik des Neuen Sehens, die sie während ihres Studiums am Bauhaus in Dessau kennengelernt hat.

Geboren wurde Edith Suschitzky 1908 als Tochter einer sozialdemokratischen, atheistischen jüdischen Familie in Wien. Ihr Vater führte in Favoriten mit seinem Bruder die linke Buchhandlung Suschitzky und veröffentlichte im Anzengruber Verlag unter anderem pazifistisch-sozialistische Schriften, Bücher zur Frauenfrage und Sozial-und Sexualreform (z. B. von Wilhelm Reich). Nach ihrem Schulabschluss absolvierte sie als Siebzehnjährige einen Kurs bei Maria Montesssori in London, um Kindergärtnerin zu werden. Kurz nach ihrer Rückkehr traf sie die "Entscheidung ihres Lebens" und wurde Mitglied der KPÖ. Zwei Männer waren daran beteiligt, Alexander Tudor-Hart und Arnold Deutsch, in beide war sie verliebt, beide waren schon vergeben -ein Beziehungsmuster, das sich noch mehrmals in ihrem Leben wiederholen sollte, unter anderem mit dem Kinderpsychiater Donald W. Winnicott und dem Physiker Engelbert Broda, einem zu Lebzeiten nicht enttarnten Spion.

Instrument des Handelns

Edith Suschitzky begann mit einer Spiegelreflexkamera zu fotografieren und wurde im Bauhaus aufgenommen, wo sie sich der roten Bauhausbrigade anschloss. In Wien arbeitete sie dann als Tass-Korrespondentin und konnte ihre Fotoreportagen in den sozialdemokratischen Illustrierten Liliput und Der Kuckuck veröffentlichen. Für sie war der Fotoapparat kein Instrument zum Aufnehmen von Ereignissen, sondern "ein Instrument des Handelns: Man konnte damit Ereignisse beeinflussen."

1933 wurde Edith Suschitzky in Wien verhaftet, weil sie illegal für die Komintern Kurierdienste leistete, auch Arnold Deutsch war inzwischen Agent des sowjetischen Geheimdienstes. Nach ihrer Entlassung heiratete sie den britischen Arzt Alexander Tudor-Hart und ging mit ihm nach London, wo sie sich sowohl als sozialkritische Fotografin etablieren konnte, aber auch als Agentin für den russischen Geheimdienst arbeitete. Dabei rekrutierte sie mit Arnold Deutsch den wohl berühmtesten Doppelagenten Kim Philby, einen der "Cambridge Five", für die Sowjetunion, der mit Lizzy Kohlmann, einer Freundin von Edith, verheiratet war, auch sie war eine Spionin. Alexander Tudor-Hart verließ kurz nach der Geburt des Sohnes Tommy 1936 die Familie und schloss sich den Internationalen Brigaden in Spanien an. Auch nach Kriegsausbruch verschwand er wieder, Edith ließ sich scheiden und kämpfte zeitlebens um finanzielle Unterstützung, da der psychisch kranke Sohn Therapie benötigte -vergeblich versuchten dies Anna Freud und Donald W. Winnicott - und schließlich in diversen Kliniken betreut werden musste. Während des Krieges und nachher im Kalten Krieg verschlechterte sich die finanzielle Lage für Edith Tudor-Hart zusehends, sie wurde ständig beobachtet und verfolgt. Nach mehreren Hausdurchsuchungen und Verhören erhielt Edith Tudor-Hart Berufsverbot und verbrannte 1951 ihr kompromittierendes Fotoarchiv. Sie leugnete bis zuletzt ihre Agententätigkeit und wurde auch nicht enttarnt. Psychisch und physisch am Ende, lebte sie in ihren letzten Lebensjahren in Brighton vom Verkauf von Antiquitäten.

Glaube an eine bessere Welt

In "Die Dunkelkammern der Edith Tudor-Hart" dokumentiert Peter Stephan Jungk eindrucksvoll den schwierigen Prozess der biografischen Annäherung -so bleiben die britischen wie die russischen Archive verschlossen -an eine Frau, deren privates Leben von ihrem politischen Engagement als Antifaschistin und dem Glauben an eine bessere Welt im Zeichen des Kommunismus geprägt war. Er verschränkt immer wieder die Zeitebenen, mischt sich mit Kommentaren in die fiktionalen historischen Passagen ein. Und während er zu Beginn noch die rhetorische Frage stellt, ob sich für Edith all die Schwierigkeiten gelohnt haben, begreift er im "Rückspiegel der Geschichte", dass es für die Generation seiner Tante eben nur eine politische Entscheidung gab, wollte man den Faschismus wirkungsvoll bekämpfen, wie der Zeitzeuge Herbert Freudenheim bekennt: "Es gab keine Alternative".

Die Autorin Barbara Honigmann, Lizzys Tochter aus dritter Ehe, ist mit Peter Stephan Jungk befreundet, auch ihre Bücher kreisen oft um ihre bewegte Familiengeschichte. Sie hält es für möglich, dass sowohl ihre Mutter als auch Edith nicht nur von den Engländern, sondern auch von KGB-Agenten beschattet wurden, denn sie hätten ja jederzeit alles verraten können.

Viele Fragen in den "Geschichten eines Lebens" bleiben offen. Peter Stephan Jungk setzt derzeit seine Spurensuche fort und dreht mit seiner Frau Lillian Birnbaum einen Dokumentarfilm über Edith Tudor-Hart, der im nächsten Jahr zu sehen sein wird. 2013 fand im Wien Museum eine erste große Retrospektive ihres fotografischen Werks statt, dazu erschien der besonders gelungene Katalog "Im Schatten der Diktaturen" bei Hatje Cantz. Dennoch ist Edith Tudor-Harts fotografisches Werk noch weitgehend unbekannt. Beinahe 5000 Negative sind in den Archiven der National Galleries in Edinburgh aufbewahrt: "Niemand ahnt, was da noch alles zu entdecken sein wird, ein Gesamtwerk in Schwarzweiß, das Ediths Lebensgeschichte spiegelt."

Die Dunkelkammern der Edith Tudor-Hart Geschichten eines Lebens Von Peter Stephan Jungk S. Fischer 2015,320 S., geb., € 23,70

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