Zwischen Geldfrage und Gottesfrage

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Gott ist auch am Ende des Jahrtausends eine unendliche Geschichte. Es sollte aber bewußt bleiben, daß die Frage nach Gott eine Frage, keine Antwort, ist.

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Gott ist auch am Ende des Jahrtausends eine unendliche Geschichte. Es sollte aber bewußt bleiben, daß die Frage nach Gott eine Frage, keine Antwort, ist.

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Der 1. Jänner kommenden Jahres markiert nicht nur einen unausweichlichen Schritt auf das Ende eines Jahrtausends. Zumindest für Europäer bedeutet das Datum auch das weitere Näherkommen eines - fast mythischen - Zeitalters des Geldes: Daß die Einführung des Euro durchaus andere Dimensionen als wirtschaftliche hat, ist im Lichte aller Diskussionen rund um die Währungsumstellung klar.

Neue Symbole (nicht nur das e für die künftige Einheitswährung) sind Zeichen des anbrechenden Zeitalters, Frankfurt, die Metropole des neuen Geldes und seine Bankentürme setzen sich ins kollektive Gedächtnis. Nicht minder symbolisch - wie in oben abgedrucktem Bild dargestellt - die neue Wertigkeit: im Schatten der Geldtürme die Kirche, ein Sakralbau aus den 50er Jahren, etwas aus der Mode gekommen, erdrückt von den Silhouetten der Finanztempel.

Vielleicht nur deshalb symbolisch, weil der Zustand der Kirchen dieses Europas in den Sinn kommt: verstaubt, den Zeichen der Zeit etwas entrückt, eine beschränkte Attraktion, geeignet bestenfalls für Sinnspendung, falls alle anderen "modernen" Mittel dafür versagen. Wenn zwischen Geldfrage und Gottesfrage zu entscheiden wäre, würde die Geldfrage die Oberhand behalten. Nicht nur obiges Foto, auch das Lebensgefühl der Zeit suggeriert dies.

Dem entgegen orten andere Zeitgenossen einen "Megatrend" mit Namen "Spiritualität", jedenfalls tummeln sich - unter diesem oder ähnlichem Begriff subsumiert - alle möglichen Erscheinungen, denen wenigstens der Hunger nach Transzendenz gemein ist.

Welcher Befund ist richtig? Und welche Rolle spielt Gott? Kardinal Franz König, Doyen des österreichischen Katholizismus, stellt zu Beginn eines Beitrags im Band "Wenn Gott verloren geht" fest: "In ... Europa stellt sich heute ernsthaft die Frage, ob Religion noch Zukunft habe, oder wie weit der Gottesglaube - heute zur Gottesfrage geworden - das Welt- und Menschenbild von morgen noch bestimmen werde." Der Kardinal versucht in jenem Artikel eine Antwort darauf zu formulieren - im Geist des II. Vatikanischen Konzils und mit der Lebens- und Geschichtserfahrung des Christen am Jahrtausendende (im gleichen Band denken Theologen, Philosophen, Wissenschaftler vieler Disziplinen und Religionen andere Antworten an).

Gewißheit in diesen Fragen stellt sich auch für Christen nicht von selbst ein; das Nachdenken über Gott am Ende des Jahrtausends geht jedenfalls mit einem Nachdenken über die Bedrohung Gottes einher: Heißt das, daß Gott ein anderer wäre, jedenfalls anders als der Gott des vergangenen Jahrhunderts, des Mittelalters oder gar anders als der Gott nach der Aufklärung?

Sicher scheint: Das 20. Jahrhundert hat - neben aller Säkularisierung - vieles erschüttert, auch Gottesbilder und Vorstellungen, die den Ereignissen der jüngsten Geschichte nicht standhielten: Das Trauma der Schoa, der Judenvernichtung, hat auch "auf Gott", das heißt, auf die Gotteserfahrung und -begegnung von Menschen tiefen Einfluß, auf Täter und Opfer (unvergeßlich etwa der Satz, der überlebenden jüdischen Dichterin Nelly Sachs: "An uns übt Gott Zerbrechen") ebenso wie auf die der Nachgeborenen.

Und erstmals scheint am Ende des Jahrtausends die Menschheit Ungeahntes zu vermögen: nach der Entwicklung der Atomwaffen (= die Zerstörung der Welt liegt in Menschenhand) und den unabsehbaren genialen Entdeckungen der Biowissenschaften (= das menschliche Leben liegt in Menschenhand), erweist sich "Allmacht", ein altes Gottesattribut, für Menschen weniger eine Phantasie denn eine reale Möglichkeit. Angesichts all dieser Entwicklungen stellt sich jede Frage nach Gott in wieder neuem Licht.

Ist Gott Mann? Oder Frau? Derartige Überlegung kam ins Gespräch, weil patriarchale Strukturen von feministischen Bewegungen in Frage gestellt wurden, und mit ihnen das damit vermittelte Gottesbild. Ähnliches wurde in der Emanzipation der Völker (Gott: Weiß? Schwarz? Indio? Herrscher? Unterdrückter?) zum Thema, und das Gespräch der Religionen konnte erst wegen der gestellten Gottesfrage beginnen.

Dennoch: Die Frage, ob Gott am Ende des Jahrtausends ein anderer ist, ist kaum zu entscheiden. Zweifelsohne ist Gott nicht verschwunden, er bleibt virulent. Auch im christlichen Kontext wird - allen Denunziationen zum Trotz - nicht nur über das "Diesseits" diskutiert. Das gilt gleichermaßen für die Nachdenkprozesse in Österreichs katholischer Kirche. Das erste Votum bei der Salzburger Delegiertenversammlung zum "Dialog für Österreich" beginnt mit: "Wir teilen mit allen Menschen die tiefe Frage nach dem Woher und Wohin unseres Daseins, die Sehnsucht nach erfülltem Leben und die Hoffnung auf Liebe und Gerechtigkeit. So fragen und suchen wir nach Gott ..."

Da das hier Formulierte, also die Gottesfrage, nicht zu den "heißen Eisen" der Kirchenreform zählte, blieb jenes Votum von den Medien weitgehend unbeachtet. Auch der Papst mahnte Österreichs Bischöfe bei ihrem jüngsten Rombesuch: Die Gottesfrage sei das "ernsteste Problem" für die Kirche in Österreich, so Johannes Paul II.

Gott ist somit am Ende des Jahrtausends immer noch eine unendliche Geschichte. Diese bleibt aber nur dann auch eine spannende, wenn allen, die Gott aufs Tapet bringen, bewußt ist, daß es sich bei der Frage nach Gott um eine Frage handelt: Vorgefertigte Antworten - von welcher Seite und aus welchem Glauben heraus auch immer - tragen bloß zur oben apostrophierten Gottesbedrohung bei.

Christen können, wollen sie dieser Gefahr entgehen, sich an einen ihrer großen Mystiker halten, an Meister Eckhart, von dem ein beklemmend moderne Fragen nach Gott kommt (das in der Paraphrase eines Liedtextes lautet): "Gott ist anders, als ihr denkt. Weder Gott noch Geist noch Bild. Du, Gott, wer bist du?"

Wenn Gott verloren geht. Die Zukunft des Glaubens in der säkularisierten Gesellschaft.

Hg. von Theo Faulhaber und Bernhard Stillfried. Verlag Herder (Quaestiones disputatae 174), Freiburg 1998, 304 S., kt., öS 350,-264 Seiten, ca. 50 Farb- und 150 SW Abbildungen, öS 690,

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