Zwischen Moderne und Islamismus

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Jasmila ˇZbani´c, Berlinale-Gewinnerin 2006, erweist sich als bestechende Analytikerin der bosnischen Nachkriegsgesellschaft. Ihr Film "Na putu - Zwischen uns das Paradies“ ist eine Liebes- und Leidensgeschichte aus der Mitte Bosniens.

Für ihren Erstling "Esmas Geheimnis/Grbavica“ errang Jasmila ˇZbani´c gleich den Goldenen Bären der Berlinale 2006. Ihr neuer Film "Na putu“ thematisiert die religiöse Spannung innerhalb der Muslime Bosniens.

Die Furche: Religion war auf dem Balkan immer wieder Anlass für Kriege, und in "Na putu“ auch der Grundkonflikt. Wie ist Ihr eigener religiöser Hintergrund?

Jasmila ˇZbani´c: Vor allem chaotisch! Meine Großeltern sind gläubige Muslime. Den Islam gibt es in Bosnien seit der türkischen Besatzung vor 500 Jahren. Damals bedeutete es einen Vorteil, Muslim zu sein; die Leute waren bei uns immer schon sehr praktisch in solchen Dingen. Dagegen waren meine Eltern überzeugte Kommunisten, aber die Großeltern nahmen mich trotzdem an religiösen Feiertagen mit. Meine Eltern ließen mich selber entscheiden, wie ich damit umgehen sollte. Ich liebe jene Teile des Islam, die mit Kunst und Kultur zu tun haben, und traditionelle Familienfeiern wie das Zuckerfest im Film. Unsere christlichen Cousins hingegen haben immer schon Ostern und Weihnachten begangen, und wir haben auch die KP-Feiertage wie den 1. Mai gefeiert. Ich bin also eine multikulturelle Mischung, wie die bosnische Gesellschaft.

Die Furche: Sind die Protagonisten Amer und Luna reale Personen?

ˇZbani´c: Nicht direkt. Ich habe viel recherchiert, weil ich Angst hatte, meine eigenen Überzeugungen zu sehr einfließen zu lassen. Dazu habe ich mit Frauen gesprochen, deren Männer sich nach dem Krieg verändert haben, und mit Männern, die häufig in die Moschee gehen. Das sind oft sehr traurige Menschen, die zu wenig Zuneigung erfahren haben und Teil von etwas Größerem sein wollen und durch Religion versuchen, diesen Mangel zu kompensieren.

Die Furche: Amer findet in der Religion einen Weg, seine Alkoholsucht zu überwinden, und gelangt dabei von einer Abhängigkeit in die nächste. Kann das ein Grund für Fanatismus sein - die Sehnsucht nach Abhängigkeit?

ˇZbani´c: In den wahhabitischen Gemeinschaften in Bosnien gibt es viele Menschen, die früher Punks waren. Ich kenne viele noch aus meiner Schulzeit: Das waren die Allerwildesten der Klasse, mit schrägem Haarschnitt, überall Piercings … Für mich war es schockierend, dass gerade diese Leute Teil einer so rigiden Gruppe werden. Das scheint für mich aus derselben Sehnsucht zu kommen, alternativ zu sein und zu protestieren, denn innerhalb der bosnischen Gesellschaft sind sie Außenseiter, trotz oder gerade wegen ihrer strikten Regeln. Viele der Frauen tragen ihren schwarzen Schleier wie eine Protestfahne gegen die Werte einer westlichen Gesellschaft. Die sagen damit: "Europa will uns nicht, also sind wir eben ganz anders!“ Unter diesen Schleiern sind oft wunderschöne, gebildete Frauen, deren Eltern und Ehemänner dagegen sind, dass sie sich so verhüllen - das Gegenteil davon, wie Frauen in anderen Ländern unter den Schleier gezwungen und unterdrückt werden.

Die Furche: Gab es in Sarajevo vor dem Krieg weniger strenggläubige Muslime?

ˇZbani´c: Religion war immer präsent. Wir sind eine multikulturelle Gesellschaft: Neben den bosnischen Muslimen gab es immer auch orthodoxe Christen, Katholiken und eine große jüdische Gemeinde. Während des Sozialismus war Religionsausübung zwar nicht verboten, aber wurde auch nicht speziell gepflegt, es war einfach nicht populär, gläubig zu sein. In der Schule lernten wir damals natürlich nach Karl Marx, dass Religion Opium fürs Volk ist. Das war nach dem Krieg anders: Vielleicht als Reaktion auf den Sozialismus, vielleicht als Reaktion auf die Kriegserfahrungen werden die Leute mehr und mehr religiös.

Na putu. Zwischen uns das Paradies

BiH/A/D/HR 2010. Regie: Jasmila ˇZbani´c. Mit Zrinka Cviteˇci´c, Leon Luˇcev.

Verleih: Polyfilm. 103 Min.

* Das Gespräch führte Magdalena Miedl

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