Zwischen Mythos und Wirklichkeit

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Dynastisches Denken war den Habsburgern oft wichtiger als privates Glück. Heute lebt eine ganze Erinnerungsindustrie vom Mythos des "gütigen Kaisers“ und der "unglücklichen Kaiserin“. Was stimmt wirklich hinter dieser Fassade aus Verklärung und Kitsch?

Mehr als sechshundert Jahre prägten die Habsburger das Schicksal Europas, kaum eine Herrscherfamilie ist heute noch so allgegenwärtig. In ihren baulichen Hinterlassenschaften sind Maria Theresia, Franz Joseph, Sisi und Co. ebenso präsent wie als personifizierter Mythos in Operette und Film.

Katrin Unterreiner ist als ehemalige Leiterin des Kaiserappartements der Wiener Hofburg eine profunde Kennerin von Österreichs mächtigster Familie. In ihrem neuen Buch stellt sie die gängigsten Klischees, Legenden und Gerüchte der historischen Realität gegenüber. Durch das Aufspüren neuer, bisher unbekannter Quellen bringt sie völlig neue Fakten und Akzente in ein Thema ein, das schon in unzähligen Büchern behandelt wurde. Zu den spannendsten Quellen zählen neben den Rezeptbüchern der Hofapotheke die sogenannten "Konfidentenberichte“. Aus diesen Spitzelberichten an das Informationsbüro, einer Abteilung des Außenministeriums, geht nicht nur hervor, wer mit wem in näherem Kontakt stand, sie zeichnen auch ein weniger bekanntes Bild der Monarchie. Für einen weiteren neuen Wissensstand sorgen die Akten des Allerhöchsten Privat- und Familienfonds, mit denen sich belegen lässt, dass Kaiser Franz Joseph ein Millionenvermögen für seine Liebschaften ausgegeben hat.

Die Auswahl der porträtierten Familienmitglieder ist bunt und repräsentativ. Kaiserin Maria Theresia, der Herzog von Reichstadt und Kaiser Ferdinand I. sind ebenso Bestandteil dieser kritischen Analyse wie Erzherzogin Sophie, Franz Joseph I., Kaiserin Elisabeth, Kronprinz Rudolf, Erzherzog Ludwig Viktor, der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und Kaiser Karl.

Der Kaiser - ein Freund der Frauen

Der letzte "große“ Habsburger ist zweifellos Kaiser Franz Joseph I. Die Autorin stellte sich die Frage, ob er wirklich dieser pedantische, humor- und fantasielose Regent war, als der er oft vereinfacht dargestellt wird. Franz Joseph regierte 68 Jahre lang. Er war ein Herrscher, der an Althergebrachtem festhielt, wenig Visionen hatte und der dem Urteil seiner Berater mehr vertraute als seinem eigenen Gespür.

Aus den Erinnerungen von Franz Josephs Kammerdiener Eugen Ketterl erhält die Autorin einen Beleg dafür, dass der Kaiser im Alter weder langweilig noch pedantisch war. Ketterl vermittelt vielmehr das Bild eines sympathischen und vor allem eines äußerst menschlichen Kaisers.

Franz Joseph mag es an politischen Visionen gemangelt haben, weniger einfallslos war er in seiner Beziehung zu Frauen. An die Stelle der Weißnäherin Rosa Moskowitz trat bald die erst 15-jährige Anna Nahowski, die zum Zeitpunkt des ersten Rendezvous schon mit einem Seidenfabrikanten verheiratet war. Der Kaiser besuchte sie regelmäßig und verlangte von ihr, dass sie ihn im Bett empfing. Als sie vom Eisenbahnbeamten Franz Nahowski schwanger wurde, schenkte ihr Franz Joseph 50.000 Gulden und verkehrte ab nun nur mehr freundschaftlich mit ihr. Erst als der Kaiser Katharina Schratt kennenlernte, beendete er das Verhältnis. Für 200.000 Gulden, das wären heute 1,8 Millionen Euro, schwor Anna Nahowski zu schweigen. Über die Beziehung zur Schratt sind viele Bücher geschrieben worden, doch auch dazu kann die Autorin mit bisher unbekannten Details aufwarten. Es macht die Geschichte nur spannender, dass auch hier Fragen offen bleiben. War Katharina Schratt seine Geliebte oder doch nur eine Vertraute und anregende Gefährtin, die immer einen frischen Gugelhupf und neue Geschichten für ihn parat hatte? Belegt ist, dass ihr der Kaiser umgerechnet elf Millionen Euro vermachte.

Das Buch liest sich wie ein spannender Roman, ist aber nie oberflächlich. Als Leser ertappt man sich dabei, wie sehr das eigene Bild von Österreichs mächtigster Familie von Verklärung und Vereinfachung bestimmt ist. Einem Umspringbild gleich kann man nach der Lektüre dieses Buches Mythos und Wirklichkeit der Habsburger gleichzeitig sehen.

Die Habsburger

Mythos & Wahrheit

Von Katrin Unterreiner Styria Premium 2011

240 Seite, geb., e 24,95

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