Zwischen Nobilitierung und Dämonisierung

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Das Familienarchiv der österreichischen Linie der Familie Rothschild ist nun in London zugänglich. Roman Sandgruber lässt aus diesem Material in einer neuen Biografie ein lebendiges Bild einer Dynastie entstehen, die konsequent an ihrem eigenen Mythos arbeitete.

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Das Familienarchiv der österreichischen Linie der Familie Rothschild ist nun in London zugänglich. Roman Sandgruber lässt aus diesem Material in einer neuen Biografie ein lebendiges Bild einer Dynastie entstehen, die konsequent an ihrem eigenen Mythos arbeitete.

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Es war das Haus mit dem roten Schild, das einer Familie im Frankfurter Ghetto den Namen gab; er wurde zum Synonym für Reichtum: Rothschild. Der Gründervater, Mayer Amschel, wurde 1744 geboren. Früh verwaist brach er die Schule ab, machte eine Lehre im Bankhaus Oppenheim, handelte mit Trödel, Kolonialwaren und alten Münzen. Das große Geld aber trugen ihm die Wechselgeschäfte für den hessischen Kurfürsten ein, und erste Privilegien dazu. Allmählich avancierte er zum Bankier. Seiner Ehe mit der Tochter eines reichen Geldwechslers entstammten 19 Kinder, zehn überlebten: fünf Töchter, fünf Söhne. Die Geschäftsführung seiner Firma sollte für alle Zukunft auf männliche Nachfahren beschränkt bleiben; Töchter und "Töchtermänner" schloss er dezidiert aus (gleichsam als "Rothschild-Evangelium" testamentarisch festgeschrieben). Die Söhne bauten ein europäisches Filialnetz auf: Amschel jr. blieb in Frankfurt, Nathan ging nach London, James nach Paris, Carl nach Neapel und Salomon nach Wien. Die Mutter hielt den Clan zusammen, sie wurde stolze 96 Jahre alt.

Aufstieg und Fall einer Dynastie

Die Geschichte der Rothschilds ist eine Geschichte der ökonomischen Superlative, von sagenhaften Gewinnen und ebensolchen Verlusten. Sie ließe sich erzählen "wie Thomas Manns ,Buddenbrooks'", räumt der renommierte österreichische Historiker Roman Sandgruber ein. Und tatsächlich folgt seine eben erschienene Biografie "Rothschild. Glanz und Untergang des Wiener Welthauses" strukturell (Aufstieg, Blüte, Fall) dem bürgerlichen Familienroman. Darin ist sie der zweibändigen, im Auftrag der Familie verfassten Biografie des britischen Historikers Niall Ferguson nicht unähnlich ("The House of Rothschild", 1998/99). Doch wie schon im Untertitel präzisiert, rückt Roman Sandgruber, emeritierter Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz, die Linie der Wiener Rothschilds in den Fokus. Damit will der Autor, wie er sagt, eine Lücke in der umfangreichen Rothschild-Literatur und österreichischen Geschichtsschreibung schließen. Das Archiv der Wiener Rothschilds sei erst jüngst, nach langer Odyssee, in das gut geführte Londoner Archiv der Familie gelangt (das der Autor, neben anderen Dokumentensammlungen, jahrelang durchkämmte).

Sandgruber erzählt die 150-jährige Geschichte des Aufstiegs des Wiener Familienzweigs zur größten Bank, zum größten Wirtschaftsimperium der österreichischen Monarchie -und die Chronik seines Niedergangs, bis zur totalen Entmachtung und Vertreibung durch die Nationalsozialisten. Nur wenig erinnert im heutigen Wien noch an die Familie, deren Prachtbauten und soziale Einrichtungen die Stadt einst prägten: etwa das Rothschild-Spital am Währinger Gürtel - geschleift (heute WIFI); dito die Palais in der Prinz-Eugen-Straße und Theresianumgasse (heute AK) oder die Villa auf der Hohen Warte (die weltberühmten Gärten gingen in kommunalen Anlagen auf).

Die aufwendig illustrierte Biografie ist nach Generationen gegliedert: "Mayer Amschel -Der Millionär aus dem Ghetto","Salomon -Der Bankier der Heiligen Allianz","Anselm -Der König der Gründerzeit", "Albert Rothschild - Der reichste Mann Europas" und schließlich "Louis Rothschild -Der gestürzte Kapitalist". Der Historiker stellt die Chronologie in ein Kräftediagramm: auf der einen Seite rothschildscher Familiengeist, Geschäftssinn, Schnelligkeit und gigantische Kapitalmacht, auf der anderen Seite der gewaltige Geldbedarf von Kaiserhaus und Hochadel, die Chancen der Industrialisierung und Gründerzeit, aber auch die Erschütterungen durch Kriege und Krisen. Die Rothschilds besaßen neben der Privatbank den Mehrheitsanteil an der Credit-Anstalt (ein fatales Investment) und am Triestiner Lloyd, Kohlegruben und Stahlwerke, das weltweite Quecksilbermonopol. Und sie akkumulierten Grundbesitz (Stadtpalais, Jagdreviere), sobald dies jüdischen Bürgern erlaubt war. Damit öffnete sich endgültig das Tor zum Hochadel.

Vom Jiddischen zur Polyglossie

Der Autor verwebt die Etappen der Familien-Chronik mit den jeweiligen politischen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen. Sein Narrativ geht dem Selbstbild und der öffentlichen Wahrnehmung der Rothschilds auf den Grund, bezieht literarische Stimmen (Heine, Grillparzer u. a.) mit ein. Er beleuchtet das transnationale Zusammenspiel der Rothschilds, ihre Prinzipien der Endogamie und Glaubenstreue -und analysiert ihre ökonomische Unentbehrbarkeit in Krieg und Frieden.

Sandgruber vergleicht die Bankiers nach Charakteren, Lebens-und Geschäftsstilen, Bildungsgraden (inklusive der sprachlichen Entwicklung vom "Judendeutsch", einer sehr deutsch gefärbten Variante des Jiddischen, hin zu weltmännischer Polyglossie). Er erzählt von ihren Hobbys, Marotten u d Träumen, von Exzentrik, Intriganz und Bestechung. Ihre Würdigung als Wohltäter, Mäzene und Kunstsammler, als Bauherren und Pioniere der Freizeitkultur (Tennis, Polo, Fußball -auch die heutige Vienna geht auf die Rothschilds zurück) rundet die einprägsamen Porträts ab. Viel Raum bekommen auch ihre Schwestern, Töchter und Ehefrauen; Letztere hielt es selten in Wien. Anekdoten und Legenden fließen nur im Abgleich mit den historischen Quellen ein. Belegt ist etwa, dass Kaiserin Sisi ein Millionendepot bei den Rothschilds hatte

Die Dynastie arbeitete konsequent an ihrem eigenen Mythos, dem sie auch emblematisch Ausdruck verlieh: "Die Parabel vom Skythenfürst Skiluros, der seinen fünf Söhnen zeigt, dass ein einzelner Pfeil leicht zerbrochen werden kann, ein Bündel von fünf Pfeilen aber nahezu unzerbrechlich ist, wurde zum Leitbild und Wappenschild der Rothschilds." Die Rothschild-Saga entfaltet sich im zyklischen Spiel von Liberalismus, Regulierung und Deregulierung. Und im Spannungsbogen von Diskriminierung, Nobilitierung -und Dämonisierung: Das Synonym für Reichtum wurde zur Chiffre für ausbeuterischen Kapitalismus. Antisemiten, aber auch Klassenkämpfer des Frühsozialismus hatten der Familie bereits hart zugesetzt; die Nationalsozialisten entzogen ihr Vermögen und Heimat.

Der Leser, der den Wiener Rothschilds an die Schauplätze ihres Trumpfes und Glücks, ihrer Dramen und Exile gefolgt ist, staunt schließlich über die Facetten der Vermögensrückstellung. Roman Sandgrubers packende Biografie eröffnet interessante Perspektiven auf die österreichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Das Werk ist auch ein Lehrbuch über die Macht des Geldes und dessen Gegenkräfte - eine Lektüreempfehlung in Zeiten des globalen Finanzkapitalismus.

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