Zwischen Ochsenrache und Alpenglühen
Alois Brandstetter präsentiert die besten Geschichten eines Autors, den er bewundert und der Alois Brandstetter heißt.
Alois Brandstetter präsentiert die besten Geschichten eines Autors, den er bewundert und der Alois Brandstetter heißt.
Der schon oft unternommene Versuch, das typisch Österreichische zu definieren, könnte zum Beispiel so aussehen. Erstens: "Österreicher Sein ist eine Passion. Wir sind die Platzgeängstigten der Erde, wir sind aus Leidenschaft klein geworden, wir wollten uns schon immer einen Winkel in den Alpen miniatürlich einrichten."
Zweitens: Die Assoziation Österreichs mit trautem Heim, heimeligem, irgendwo zwischen religiösem Heimatkolorit und schnuckeligem Refugium und der Vorstellung von "Wohnküche, Herrgottswinkel, Hinterhof" oder gar als "Schrebergartenhäuschen". Und überhaupt: "Österreich kann auf ein wundes Gemüt hinweisen". Alois Brandstetter brütet über die Alpenrepublik - hier in einem Text aus einem Band von 1971 -gewitzt, mit feinem Spott, und das nicht nur, wenn es um Befindlichkeiten seiner Heimat geht.
Für seine Sammlung der besten Geschichten hat der gebürtige Oberösterreicher an seinem Textarchiv selbst Hand angelegt, Altbewährtes durchgesehen, ausgewählt und neu zusammengestellt. Provokant, fast attüdenhaft deklariert er sich bereits auf der hinteren Umschlagseite als Bewunderer seiner selbst: "Am besten finde ich meine eigenen Bücher. Ich bewundere an mir vor allem die nur mir eigene Mischung von Verstand, Gefühl, Rationalität und Sinnlichkeit ... Immer wieder verblüffen und verzaubern mich der lebendige Humor und die Spontaneität meiner Bücher."
Was präsentiert Brandstetter nun seinem Publikum wirklich? Eine bunte Textstreuung aus den Jahren 1971 bis 1989. Eine repräsentative Sammlung von Geschichten, die allesamt bereits einmal bei Residenz erschienen sind. Manche sind aus Schulbüchern bekannt, wie der kurze Text vom "ersten Neger", der brillant ein typisches Verhaltenssyndrom im Umgang mit Fremden kodiert. Subtile Sprachnuancen entblößen in wenigen Zeilen vorgetäuschte Toleranz, stattdessen tritt ein Bündel Vorurteile zutage. Ähnlich populär geworden ist der Text "Warten", in dem der Autor durch einfache Sprachvariation das Prinzip der Hierarchie beschreibt.
Insgesamt stehen wir vor einer Themenvielfalt von Wien zum Wein. Rotweißrote Brauchtumswelt neben Erinnerungen an das blutrote Alpenglühen im Krieg, der beinharte, ätzende literarische Aufbau von Spitzensportlern oder die ironische Ernüchterung darüber, daß Reinhold Messners Himalajaklettern ohne Sauerstoffgerät beim Publikum vor einer Brandstetter-Lesung rangiert. Das Leben also von allen Seiten. Historisches, Religiöses, Etymologisches, Kulturgeschichte, Werte und Leute. Erinnerungen an das Schwarzschlachten im Krieg, wobei der erste Schlag sitzen mußte, gehören ebenso hierher wie die Beschreibung des adventlichen Roratewegs samt frierendem, "Die Tür macht auf, das Tor macht weit" singendem Kirchenvolk. Das Genre Heimat wird kritisch unterminiert, zeigt sich für den Autor aber auch als Reservat eines wichtigen Kulturerbes. Da kann es schon passieren, daß sich "Ochsen an Helmbrecht rächen", spürbar etwa dann, wenn das Ausblühen zweckentfremdeter Stallmauern nicht auszumerzen ist.
Brandstetters Texte sind eine Art Reflexionsspur zu Gesellschaft, Kultur und Sprache, manchmal ironisch und scharfzüngig, manchmal ernst. Sie sind aus dem Teig eigener Erinnerungen geformt, rühren zugleich aber auch an das kollektive Erfahrungsgut einer früheren Generation, und das fast in volkskundlicher Mission. Im Visier steht das bäuerliche, patriarchale Leben einer Zeit, als man im Schleier von Dampf und Rauch noch Rösser beschlug und den Strom mittels hauseigenem Generator gewann. Dazwischen dämmern Gedanken an die braune Invasion herauf, an den "falschen Advent" von 1938, der die Vision vom Leben in der Endzeit brachte. Kein aktiver Widerstand in der Familie, aber "gefährlicher Mangel an Begeisterung".
Brandstetter interessiert sich aber auch für alltägliche Phänomene, für "Menschengedenken" und alles, was mit Sprache zu tun hat. Dabei ist der Philologieprofessor fürwahr keiner, der in den Gefilden der Avantgarde zu Hause ist. Auch beim Erzählen nicht. In seinen Geschichten werden Redensarten und Wörter unter die Lupe genommen und unter dem Anschein der Harmlosigkeit neu registriert. Auf diese Weise streicht der Autor Ansichten und Einsichten hervor oder legt Doppelbödiges frei.
Der Entwicklungsweg vom Loisi/Loisl/Lois zum Alois versöhnt ihn heute selbst mit seinem Namen. Er deklariert sich als "Aussteiger in der heutigen Öde der Nomenklatur", quasi als "Exote und Individualist unter den Uniformierten". Und sollte im nächsten Jahr die nervende Frage nach der Urlaubslektüre gestellt werden, könnte man es ja mit Brandstetter halten, der augenzwinkernd das Grimmsche Wörterbuch empfiehlt. Bei Brandstetter ließe es sich also auch diesbezüglich fündig werden.
Meine besten Geschichten Von Alois Brandstetter, Residenz Verlag, Salzburg 1999, 206 Seiten, geb., öS 278,-/e 20,20