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Über die Anwesenheit eines Vergessenen: Vor 20 Jahren ist Edzard Schaper, einer der letzten "christlichen Dichter" verstorben.

Als am 29. Jänner 1984 die Nachricht von Edzard Schapers Tod verbreitet wurde, hatten jüngere Literaturfreunde bereits ihre liebe Not, diesem Namen einen Stellenwert zuzuordnen. Ältere, denen der Name vertraut war, haben den einst viel gelesenen Schriftsteller vielleicht gar nicht mehr unter den Lebenden gewähnt, so still war es um ihn geworden. Damit teilte Schaper das Schicksal jener Autoren und Autorinnen, die man einst als "christliche Dichter" gefeiert hatte: Gertrud von Le Fort zum Beispiel oder Werner Bergengruen, Stefan Andres und im Grunde auch Reinhold Schneider. In manchen Hausbibliotheken landeten die einst geliebten Bücher in den obersten Reihen, dort, wo man nur selten hingreift. Mit Schaper ist vor 20 Jahren wohl der letzte dieser "christlichen Dichter" gestorben, die sich zwar selber immer wieder vom missionarisch-apologetischen Klischee des "Christlichen" distanziert haben ("kein Lautsprecher der Kanzeln, gleich welcher Bekenntnisse"), sich aber gerne so bezeichnen ließen, "wenn damit die Beziehung zur Transzendenz und die Verantwortung vor der Transzendenz gemeint ist", so Schaper in einem Gespräch wenige Jahre vor seinem Tod.

Bezug zur Transzendenz

Die hilfsbereite Dame in der größten Buchhandlung der Stadt hat den Namen Schaper noch nie gehört. Als mit Mühe der Vorname eingetippt ist, erscheinen auf dem Computerschirm nur zwei Titel: "Die Legende vom vierten König" und "Das Christkind aus den großen Wäldern". Mehr ist von Schaper derzeit nicht im Handel? "Nein", sagt die hilfsbereite Dame und fühlt sich rehabilitiert. - Das also ist nach zwanzig Jahren von einem Lebenswerk geblieben, dessen Bibliografie 135 Titel aufweist, davon fast zwei Dutzend Romane, zahlreiche Erzählungen, Legenden, Essays, Betrachtungen, Reden und viele Übersetzungen aus dem Finnischen und dem Schwedischen. Geblieben ist diese eine Legende von dem guten und barmherzigen russischen König, der ein Leben lang dem Stern von Bethlehem folgt, bis er unter dem Kreuz Jesu endlich am Ziel ist.

Edzard Schaper wurde 1908 in Ostrow, Posen, als Kind deutscher Eltern geboren. Nach eigener Aussage treibt ihn "Lebensunruhe durch viele Wanderjahre und Berufe nach Estland"; hier erfährt er "zwischen Ost und West entscheidende Eindrücke: östliche Frömmigkeit und baltische Tragödie."

Sowjets und Gestapo

1940 flüchtet Schaper vor den Sowjets und vor der Gestapo, von beiden mit dem Tod bedroht, zuerst nach Finnland, dann 1944 nach Schweden. Freunde holen ihn schließlich 1947 in die Schweiz. In den fünfziger und sechziger Jahren setzt er sich publizistisch sehr engagiert für die von der Sowjetunion massiv unterdrückten baltischen Staaten ein. 1964 hält er in Zürich den vielbeachteten Vortrag "Die baltischen Länder im geistigen Spektrum Europas".

Als 1998 anlässlich des 90. Geburtstags im estischen Tartu (wo an der Universität mit deutscher und schweizerischer Unterstützung eine Schaper-Forschungsstelle eingerichtet wurde) ein Symposion stattfand, entdeckten gerade estische Germanisten nicht nur einen außerordentlichen Schriftsteller, der ja bis zur Wende verboten war, sondern - z.B. in den großen Romanen "Die sterbende Kirche" (1936), "Der letzte Advent" (1949) und "Der Henker" (1940) - auch einen Bewahrer ihrer eigenen nationalen Geschichte, ihrer Leiden und Hoffnungen. Damit wäre ein Grund genannt, warum man Schaper vielleicht wieder einmal von den obersten Regalen der Bücherwand herunterholen könnte: um noch mehr über die Seele dieser Länder zu erfahren, die wieder in das geistige Spektrum Europas eingetreten sind.

Ein anderer Grund, sie wieder zu lesen, liegt sicher in der religiösen Dimension von Schapers Werken. In den fünfziger und sechziger Jahren war es gewiss noch die Artikulierung von Schuld und Vergebung aus christlicher Sicht, die ihren Erfolg ausmachten, mit ihrer Hilfe konnten viele Menschen nach Krieg und Nationalsozialismus wieder Orientierung finden. Eine Hörspieltrilogie aus dem Jahr 1964 mit dem Titel "Der Gefangene der Botschaft" umkreist z.B. sehr eindringlich die Thematik der Auslieferung Unschuldiger an Totalitarismus und Terror, das "Ringen um das Menschliche im Menschen".

Ökumene im Lager

Beim heutigen religiös motivierten (Wieder-)Leser wird allerdings die ökumenische Komponente mehr Resonanz wecken. Denn Schapers Weg als Christ verläuft "zwischen den Grenzen". Erzogen wurde er im evangelischen Glauben, mächtig angezogen fühlte er sich von der orthodoxen Frömmigkeit, die katholische Kirche schließlich, zu der er 1951 übergetreten war, mag ihm als Synthese erschienen sein.

In einem seiner sprachlich und inhaltlich dichtesten Texte, der Erzählung "Hinter den Linien" (1952), legt Schaper dem russischen Zimmermann Agafonow seine vielleicht eigene ersehnte Religiosität jenseits aller Konfessionalität in den Mund. Agafonow berichtet, dass in einem sowjetischen Zwangsarbeitslager im Norden Häftlinge aus allen christlichen Konfessionen allnächtlich "im Finstern mit alten Blechbüchsen als Kelch und ein paar Brocken Brot, einem Becher Wasser und ein paar Tropfen Wein das Liebesmahl gehalten, die Göttliche Liturgie oder die Heilige Messe gefeiert, unter vielerlei Namen das eine hochheilige Wunder vollzogen, ... hier, wo das Leben nur noch aus dem Glauben an den Einen Herrn möglich sei, da hingen wohl alle Bekenntnisse unter Christen auf eine geheime, gültige Art und Weise zusammen."

Erstaunlich: Pongs' "Lexikon der Weltliteratur"(!), erschienen 1984, im Todesjahr Edzard Schapers, charakterisiert ihn als "Wanderer zwischen Ost und West" und als "ritterlichen Geist, dem urchristliche Verantwortung die Probleme stellt".

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