Zwischen Unterwerfungslust und Helden-Hass

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"Es geht ja alles so schnell im Leben." Das ist ein Satz der Großeltern, der Onkel und Tanten, wehmütig vorgebracht, wenn sie das Alter streift. Aber diese Sentenz gibt es auch für Politiker, wenn auch das Alter damit nichts zu tun haben muss, die Wehmut aber wohl. Dann heißt es treffend: "Man möchte nicht meinen, wie schnell es mit einem selbst gehen kann."

Nehmen wir einmal die Österreichische Volkspartei, bis vor wenigen Tagen eine den Staat tragende Partei. Schnell ist es mit ihr gegangen. Wer im Netz nach ÖVP suchte, bekam jahrzehntelang wirklich die ÖVP, ihre Inhalte, ihre Mandatare, ihre Botschaften, ihr Logo. Wer heute auf die ÖVP-Homepage gerät, bekommt Sebastian Kurz mit Sebastian-Kurz-Logo zu sehen und die Frage: "Kann Sebastian Kurz mit deiner Unterstützung rechnen?" Und tatsächlich wurde hier nichts verkürzt. Von der ÖVP ist ein Link geblieben, der ungefähr ein 50stel der Seite einnimmt. Es ist also wirklich sehr schnell mit ihr gegangen. Nach offizieller Lesart will sie sich wirklich schneller und moderner machen. Aber funktioniert das mit einer Partei, die 1945 gegründet wurde? In ähnlicher Weise könnte man sagen: Stellen Sie sich vor, die FURCHE (geboren 1945), möchte Snapchat werden. Von einem Augenblick zum Nächsten.

Die ÖVP glaubt, ja, das geht. Soweit ihre Behauptung. Aber kann das gut gehen? Stellen wir uns einmal vor, Sebastian Kurz würde von allen guten Geistern besucht werden, die sich über neue Volksbewegungen so ihre Gedanken gemacht haben. Wir haben dafür die Psychologen und Analytiker Gustave Le Bon, Sigmund Freud und William McDougall ausgewählt, Kenner des Fachs der Massenpsychologie. Welche Stellen ihrer Werke würden sie also Kurz zitieren, wenn er fragte: "Wie gewinne ich die Masse?" Zunächst würden die drei Ratgeber auf diese Frage mit sorgenvollen Gesichtern reagieren. Nicht aus demokratiepolitischen Gründen und auch nicht wegen des etwas ödipalen Eindrucks (Kastration und Introjektion), den die Übernahme und Überformung der väterlichen Partei zur Kurz-Bewegung hinterlässt. Sondern des Gegenstands der Frage wegen: der Bewegung an sich.

Der Sprengstoff der Bewegung

Als erstes würde William McDougall die Stimme erheben und meinen, dass so eine Volksbewegung einigen Sprengstoff berge. Besonders, wenn diese Bewegung auf eine Person abgestellt ist und keine Struktur hat, in der Verantwortung verteilt und Hierarchien oder demokratische Muster organisiert werden, die dem Einzelnen in der Gruppe Perspektive geben. Denn, so würde Freud nachlegen, durch die zu einfache Struktur ginge ein Teil des Realismus und der Abgeklärtheit, den solche Strukturen in einer Gruppe mit sich brächten, verloren.

Dann würde die "Liebe zur Führungskraft" als einzig sinnstiftendes Element übrig bleiben. Die Anhänger würden, wie Freud es in "Massenpsychologie und Ich-Analyse" ausdrückt, in eine Art "Selbsthypnose" übergehen, die - ähnlich wie bei der Verliebtheit - alles nicht Angenehme an einer Person oder einem Zustand leugnet. Der Führer würde als "Heldenfigur und Übervater" wahrgenommen, dem unbewusst übernatürliche Fähigkeiten zugeschrieben würden. In solchen Bewegungen gibt es "nichts, das zu unwahrscheinlich sei", würde Le Bon hinzufügen. Und besorgt würden die Psychologen dann auf Zeitungen und Schlagzeilen der letzten Tage zeigen: Denn tatsächlich wird dort Sebastian Kurz als "schwarzer Messias" beschrieben.

"Aber soll das ein Problem sein", könnte Kurz interessiert nachfragen. Antwort Le Bon: Das Problem entsteht, wenn das Verhältnis kippt und der Führende sich als Mensch entpuppt. "Jeder ausgesprochene Verdacht wandelt sich dann in unumstößliche Gewissheit, ein Keim von Antipathie wird zu wildem Hass." Die Führerfiguren werden, würde Freud nachsetzen, geliebt, fungierten sie doch als ein "Massenideal, das an Stelle des Ich-Ideals" getreten sei. Sie stillten damit auch den "Durst nach Unterwerfung"(Le Bon) innerhalb der Bewegung. Doch gleichzeitig würden sie von ihren Adepten mit Misstrauen und uneingestandenem Neid verfolgt.

Beide Extreme, die Liebe und der Hass, würden von den Medien im Sinne der Auflagensteigerung befeuert werden. Der Führer einer solchen Gruppe müsste sich ständig vor negativen Impulsexplosionen fürchten. "Aber", so könnte Kurz erneut entgegnen, "wie wäre es denn mit der positiven Energie, die sich aus dem Aufbruch aus dem Alten speist und wie mit der Verlockung einer neuen Identität?" McDougall würde sich an dieser Stelle wohl räuspern und meinen: "Man überschätzt gewöhnlich die Lust des Menschen an der Veränderung." Die alte Herde, so McDougall, fürchte ihren neuen Führer und verhalte sich zunächst zahm. "Aber im Grunde lehnt die alte Struktur alles neue, Ungewohnte ab." McDougall sieht darin den wichtigsten Unterschied zwischen einem revolutionären "Haufen", der Umwälzung will, und der homogenen Gruppe einer traditionellen Gruppierung, die "auf eine stabile Vergesellschaftung setzt". Was ist aber nun die ÖVP?

Inhalt und Gefäß

Der wohl wichtigste Punkt scheint den weisen Beratern aber der Glaube des Führenden an etwas Höheres als bloß sich selbst zu sein. Le Bon trägt vor: Der Führende müsse "durch einen starken Glauben fasziniert sein, um Glauben in der Masse zu erwecken." Dem würde Freud heftig beipflichten und ergänzen: Erst diese Überzeugung von einer Idee sei es, welche die Herrschaft des Führenden eigentlich ausmache und außerdem bei der Gefolgschaft "die Fähigkeit zur Kritik lähmt und Staunen und Achtung erzeugt".

Und was, wenn die Masse feststellt, dass die Gefäße der Hoffnungen ohne Inhalt bleiben? Die Weisen blicken auf diese Frage höflich zu Boden. Nur aus dem geisterhaften Off tönt eine krächzende Stimme: "Dann möchte man nicht meinen, wie schnell es mit einem gehen kann."

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