Zwischen Wahn und Geifer

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Das Verfahren um den Massenmord von Utøya und Oslo verkommt zur Bühne für den Narzissmus des Angeklagten. Es befördert nicht, wie behauptet, die Prinzipien des Rechtsstaats, sondern macht sie zur Kulisse einer krankhaften Show.

Nun sollen die Norweger und alle vom Rechtsstaat überzeugten Menschen also stolz sein, dass ein Gericht in Oslo ein "normales“ Gerichtsverfahren führt gegen einen Mann, der angeklagt ist, im Sommer des Vorjahres 77 Menschen umgebracht zu haben. Dass Anders Behring Breivik also die selben Rechte zugestanden werden, wie jedem anderen Angeklagten: Freie Rede vor Gericht - ein öffentliches Verfahren. Dass also, wie ein Kommentator zufrieden vermerkte, "der Rechtsstaat das ungeheure Verbrechen in seine hergebrachten Kategorien zwingt.“ Dieser Satz beschreibt aber genau das Problem des Verfahrens: Das Blutbad von Utøya passt in keine Kategorien und lässt sich vor allem nicht in justizielle "Normalität“ zwingen. Dass man trotzdem darauf bestanden hat, war ein schwerer Fehler. Ein Blick nach Oslo zeigt, wer davon als Einziger profitiert: Es ist Anders Breivik.

Ein Strafgerichtsverfahren sollte eigentlich dazu dienen, Schuld festzustellen oder unschuldig Angeklagte freizusprechen. Im Fall Breivik wird dieses Ziel aber pervertiert.

Die Beschau des Mordens

Die Feststellung von Schuld und Unschuld stehen hier nicht mehr im Mittelpunkt. Der Täter selbst gibt alle Verbrechen freimütig zu und ist stolz darauf. Was bleibt, ist also eine detailreiche Analyse des Mordens. Entkleidet man Anders Breiviks Rechtfertigungen von dem wirren ideologischen Popanz, mit dem er sie umhüllt, wird auch seine Motivlage klar. Übrig bleibt da ein krankhafter Zwang, sich selbst darzustellen und zu inszenieren, wie die bisherigen Gutachten übereinstimmend feststellen.

Wenn dieser Narzissmus nun aber das zugrundeliegende Motiv ist, dann muss das öffentliche Verfahren, wie es für den Normalfall zur Wahrung von Transparenz und Rechtsstaat gilt, scheitern. Es kann in diesem Fall nur zur Bühne von Anders Breiviks psychischen Defekten werden. Es ist gerade so, als würde man einen Suchtkranken mit noch mehr Drogen versorgen, statt ihm einen Entzug zu verordnen.

Der Prozess belohnt und bestätigt Breiviks Logik sogar: Hätte er nicht so viele Menschen umgebracht, wie hätte er je diese globale Aufmerksamkeit erzielen können?

Dieser Logik folgt aber der Prozess. Fünf Tage werden dem Angeklagten eingeräumt, über seine Motive zu sprechen. Wohlgemerkt geht es dabei nur am Rande darum zu beweisen, dass er ein 77facher Mörder ist. Wir hören vielmehr Breiviks Ideen über die Welt, seinen Hass gegen alles Fremde, er darf seinen Opfern Naivität und Verschwörung unterstellen, er kann radikale Moslems als Zeugen aufrufen, um seine These von der Islamisierung Europas zu untermauern. So pervers das klingt, man muss sich Anders Breivik in diesen Tagen als glücklichen Menschen vorstellen. Mit der Beweiswürdigung oder der Frage von Schuld oder Unschuld haben seine Ergüsse nichts zu tun. Sie sind auch unerheblich zur Klärung der einzig wirklich wichtigen Frage: Jener über die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit.

Psychiater statt Live-Übertragungen

Dazu braucht es Psychiater und Sachverständige, sicher aber keine Ansprachen des Angeklagten, keine Live- und Nonstop-News, in denen sich Journalisten über wirklich alles - bis hin zur Krawatte des Angeklagten - Gedanken machen. Zu Ende dieses Prozesses wird Norwegen sich bescheinigen, das alles "ausgehalten“ zu haben, als ob der gemeinschaftliche Masochismus den Rechtstaat gefestigt hätte. Gerade so, als hätte es dazu keine Alternative gegeben. Die gab es: Ein Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die einzig "Geschädigten“ wären in diesem Fall nur Breiviks Narzissmus gewesen, die bodenlose Eitelkeit seiner Verteidiger - und die Geilheit des Medienmobs, dem der Geifer seit Prozessbeginn aus dem Maul tropft. Tag für Tag hängen seine Reporter an den Lippen dessen, den sie als "Bestie“ und "Teufel“ auf die Titelseiten heben, um Geld damit zu machen. In den Tagen seiner Haft wird Breivik diese Artikel wohl alle nachlesen - und sich dabei unbändig freuen.

oliver.tanzer@furche.at

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