Zwischen Wien und Rom

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Austroitalienische Geschichtspsychologie Mitteleuropas: So könnte man einen inhaltlich wie methodisch innovativen Band über Italien und Österreich in der Zwischenkriegszeit beschreiben.

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Austroitalienische Geschichtspsychologie Mitteleuropas: So könnte man einen inhaltlich wie methodisch innovativen Band über Italien und Österreich in der Zwischenkriegszeit beschreiben.

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Der König von Italien hat mir den Krieg erklärt" und "Entro nella stanza di Metternich". Zwischen den Sätzen, dessen einer bekannt und dessen anderer unbekannt ist, liegen nicht nur fünfzehn Jahre, sondern Welten. Der erste stammt von Franz Joseph, geboren 1830 mitten im Biedermeier sowie Kaiser und König des Habsburger Reiches von 1848 bis 1916, der zweite von Dino Grandi, von 1929 bis 1932 Außenminister des faschistischen Italien und gestorben ein Jahr vor 1989, dem Fall des "Eisernen Vorhangs", der seinerseits das Ende des "kurzen 20. Jahrhunderts" (Iván Berend) markiert, das 1918 begann.

Hundert Jahre nach der "Urkatastrophe" (George Kennan) des Säkulums geben Maddalena Guiotto und Helmut Wohnout einen Band heraus, der eine Entstehungsgeschichte von zehn Jahren aufweist und auf eine Studientagung 2008 in Trient zurückgeht. Teils auf Deutsch, teils auf Italienisch finden sich darin Artikel österreichischer und italienischer sowie deutscher und slowakischer Historiker über den Ausklang des Ancien Régime, die ersten und letzten Versuche parlamentarischer Systeme in der Zwischenkriegszeit sowie den Einklang autoritärer beziehungsweise totalitärer Diktaturen in Mitteleuropa insgesamt. Veröffentlicht wird es in der Schriftenreihe des renommierten Österreichischen Historischen Instituts in Rom.

Latentes gegenseitiges Misstrauen

Es beginnt steil: Maddalena Guiotto betont, dass es "im europäischen Bereich kaum andere Länder gibt, deren geschichtlicher Werdegang", bei aller "diversità" und "asimmetria", so "tief miteinander verbunden war wie der Österreichs und Italiens". Tatsächlich waren seit der Übernahme der spanischen Erbfolge weite Gebiete Italiens in Nord und Süd, so der Mezzogiorno oder die Lombardei, unter die direkte oder indirekte Herrschaft Wiens geraten. Während das 18., nach Guiotto, ein "reformfreudiges Jahrhundert österreichisch-italienischer Symbiose" darstellte (man denke vor allem an den Bruder und Nachfolger Josephs II., Leopold II., als absolut aufgeklärter Herzog der Toskana), zerbrach die "bürokratische" Herrschaft Habsburgs im 19. Jahrhundert die konstruktiven Beziehungen Schritt für Schritt! Hätte es aber -anachronistisch übernational, wie Österreich war, just im nationalistischen Sturm hin zur Einigung Italiens unter dem Haus Savoyen -überhaupt anders sein können?

Nachdem die Drei-Kaiser-Abkommen zwischen Deutschland, Österreich und Russland gescheitert waren, hielt der Dreibund zwischen Deutschland, Österreich und Italien zwar mehr als drei Jahrzehnte. Doch ihm fehlte die "psychologische Basis", um das latente "gegenseitige Misstrauen" zu überwinden. Der Wunsch, die in Österreich (Trentino, Triest und Istrien) lebenden Italiener zu "erlösen"(vgl. "Irredenta"), wog viel mehr als vage Versprechungen Deutschlands und Österreichs, Italien in Südfrankreich oder Nordafrika zu kompensieren. So kam es zum anfangs zitierten Satz Franz Josephs: keineswegs emotionslos, sondern voller Gram und Groll. Italien nämlich war ihm Feind seit Jugend, als er und sein Geschlecht Stück für Stück -zunächst die Lombardei (samt Sekundogenituren), sodann Venetien -hatten abtreten müssen. Dem Rückzug aus Italien folgte jener aus Deutschland, und die Casa d'Austria, deren "Sonne"(Karl V.) einst bis nach Amerika gereicht hatte, kannte nur noch einen Raum ihrer Geltung, den "spazio danubiano-balcanico".

Wenn eineinhalb Jahrzehnte nach 1915, dem Eintritt Italiens in den Weltkrieg aufseiten der Entente, Grandi 1930 am Ballhausplatz das Metternich-Zimmer im Bundeskanzleramt der Republik mit den zitierten Worten betritt, liegt nicht nur die Welt der Monarchie längst in Trümmern, sondern ist auch der Parlamentarismus im Scheitern begriffen. Den Außenminister eines "gran paese" empfängt ein "piccolo brav'uomo", der Kanzler, ein Repräsentant der "kleinen Wiener Republik". Nun sucht Österreich (noch Demokratie) durch Schober bei Italien (schon Diktatur) um Schutz an. Grandis Emotionen triumphieren: "Ich bin der erste Außenminister des Königreichs Italien [Viktor Emanuel III. regierte von 1900 bis 1946], der die Stufen dieses Palais emporschreitet, wo die großen Staatsminister von Metternich bis Berchtold über ein Jahrhundert die 'Politik Habsburgs' betrieben haben:'mediato e realizzato con prepotenza'."

Dass es nicht Engelbert Dollfuß, sondern Johann Schober war, der die Basis für die in den 1930er-Jahren verdichtete Kooperation zwischen Österreich und Italien legte, ist einer der Hinweise Helmut Wohnouts. Um Österreich ging es Mussolini (selbst zwar klein, aber doch größer als Dollfuß und der König) dabei weniger als um Italiens Einfluss in Mitteleuropa: ein roter Faden, der sich durch viele Beiträge zieht, sei es aus deutscher (bayerischer), polnischer, ungarischer oder südslawischer Warte. Österreichs mitteleuropäische Hebelwirkung wurde erst nutzlos, als sich Italien wegen des misslungenen "abessinischen Abenteuers" vom Gegner zum Partner Deutschlands wandelte: in der "Achse Rom-Berlin", in der Wien, die Stadt, die Adolf Hitler mehr als jede andere demütigte, "endlich" wegfällt: finis Austriae.

Versäumnis der EU-Ratspräsidentschaft

Auch wenn -oder gerade weil -die österreichische EU-Ratspräsidentschaft bewusst oder unbewusst darauf verzichtet, zum nicht wiederkehrenden Kairos einen Schwerpunkt auf den für Österreich im Besonderen und (Mittel-)Europa im Allgemeinen so einschneidenden Ausgang des Ersten Weltkriegs samt politischer Neuordnung des gesamten Kontinents vor hundert Jahren mit daraus folgenden Anfragen pro futuro zu setzen: Durch ihr Werk leisten Pasquale Cuomo, Gertrude Enderle-Burcel, Andreas Gémes, Andreas Gottsmann, Lothar Höbelt, Emilia Hrabovec, Renate Lunzer, Luciano Monzali, Valerio Perna, Giorgio Petracchi, Federico Scarano, Joachim Scholtyseck, Gianluca Volpi, Jörg Zedler und die Herausgeber wertvolle Beiträge zum steten Versuch, dass Geschichte eben doch "magistra vitae" sein will und muss.

Ein Buch mit innovativem inhaltlichen und methodischen Ansatz zur besseren Erklärung und zum besseren Verständnis eines Mitteleuropas der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Vielleicht ein Geschenk nicht nur für Sie, sondern auch für andere, egal ob sie ihre Zeit am Ballhausplatz verleben oder nicht.

| Der Autor ist Co-Herausgeber des biennal erscheinenden "Jahrbuchs für politische Beratung"(edition mezzogiorno, nächste Ausgabe Herbst 2018) |

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