Zwischen Zynismus und unschuld

Werbung
Werbung
Werbung

Albert Drachs berühmtester, abgründig komischer Roman in einer schönen Ausgabe.

Der Büchner-Preisträger des Jahres 1988 war eine nicht minder große Überraschung als sein heuer gekürter Landsmann Walter Kappacher. Anders als dieser jedoch konnte Albert Drach, damals immerhin bereits 86, nie den „Stillen im Lande“ zugerechnet werden, auch ist sein Stil keineswegs „zurückhaltend“, vielmehr eine Naturgewalt. Drachs berühmtester, abgründig komischer Roman „Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum“, verfasst im Exil in Nizza, gedruckt erst 1964, liegt in einer schönen, kundig kommentierten Ausgabe vor. Er beginnt mit dem Satz: „In dem sehr zweifelhaften Schatten eines sogenannten Zwetschkenbaumes saß ein Mann, der hieß auch Zwetschkenbaum, aber er war es nicht.“ Im Gegensatz zum Gewächs, so der Erzähler – oder Protokollführer – weiter, halte man Menschen dieses Namens für schlecht, „weil die Benennung besagten Vegetationsteiles auch noch häufig von einer Spezies Kreatur (Gattung Lebewesen) für sich Anspruch genommen wird, die man gemeinhin Juden nennt“.

Mühlen der Gerichtsbarkeit

Albert Drach erzählt also die Geschichte des Schmul Leib Zwetschkenbaum, eines Talmudschülers aus Ostgalizien, der im Abendrot der Habsburgermonarchie in die Mühlen der Gerichtsbarkeit und der Psychiatrie gerät. Zwetschken soll er gestohlen haben, ein Vergehen bloß, das sich parabolisch zur Frage nach Schuld und Sühne auflädt. Dass er als wahres Opferlamm schließlich gesteht, was er nicht begangen hat (eine Brandstiftung), hilft ihm weder bei Gott noch bei den Menschen. Der Roman erzählt von selbstherrlichen Richtern und Ärzten, er stellt den Antisemitismus bloß, ohne dessen jüdische Variante auszunehmen, die die Verachtung der Assimilierten für die Ostjuden miteinschloss. Drach, dessen Vater einer schlagenden jüdischen Verbindung angehört hatte, waren solche Gefühle nicht fremd; er schildert eine mystische Begegnung mit einem galizischen Hausierer in den Tagen des Anschlusses als Keimzelle des Romans. Dass vor Hitler alle Juden gleich waren, erfuhr Drach am eigenen Leib. Dieses Buch ist eine grandiose Ehrenrettung des einfältig frommen Judentums, das umso reiner erstrahlt, desto bösartiger der Erzähler gegen es ermittelt. Drachs „Protokollstil“, die gnadenlose Sprache des Juristen, enthüllt die Kluft zwischen der Ordnung und dem Humanen – und gewinnt daraus das Komische.

Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum

Von Albert Drach. Hg. v. Bernhard Fetz und Eva Schobel. Zsolnay 2008. 335 S., geb., € 25,60

ISBN 3-552-05226-7

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung