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Auf dem Abstellgleis des Lebens

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„Obdachloser erforen” oder „Sandler tot hinter Mülltonne gefunden”. In Tirol vergeht kaum ein Winter ohne solche Schlagzeilen.

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„Obdachloser erforen” oder „Sandler tot hinter Mülltonne gefunden”. In Tirol vergeht kaum ein Winter ohne solche Schlagzeilen.

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Freiwillig ist kein Mensch obdachlos”, ist auf einem Erlagschein des „Vereins zur Beratung und Betreung von Obdachlosen in Tirol” zu lesen. Das klingt einleuchtend. „Denn wer lebt schon gerne mit dem Zeigefinger im Rücken”, gibt Jussuf Windischer aus Innsbruck zu bedenken.

Windischer kennt die Situation der Obdachlosen in Tirol wie kaum ein anderer. Vor fünf Jahren kehrte der Doktor der Theologie von einem Entwicklungshilfeeinsatz aus Brasilien zurück und ist seither hauptamtlich in der Obdachlosenarbeit in Innsbruck tätig. Daß es Windischer mit seiner Arbeit ernst meint, verdeutlicht die Tatsache, daß er selbst schon kalte Winternächte mit den Obdachlosen in abgestellten Zugwaggons oder windigen Abbruchhäusern verbracht hat. „Eines ist mir bei diesen Experimenten bewußt geworden: das Leben auf der Straße ist beinhart und kalte Nächte können lang werden”, berichtet Windischer im Gespräch mit der Furche.

Im Bereich der Zahlenspiele gibt er sich zurückhaltend: „Niemand kann genau sagen, wieviele Obdachlose es in Tirol tatsächlich gibt. Die Schätzungen gehen davon aus, daß zir-kal.200 Menschen betroffen sind, davon leben 800 in Innsbruck.” Deswegen vom „Sandlerparadies Tirol” zu sprechen, hält Windischer für „überzogen und blauäugig”.

Die Gründe für die in Tirol deutlich zunehmende Obdachlosenproblematik liegen für ihn vor allem im Bereich der Saisonberufe Fremdenverkehr und Bauwirtschaft. Daß dies zwei „klassische Berufssparten” sind, die Obdachlosigkeit erzeugen, bestätigt auch Frau Hildegard Span vom Bahnhofssozialdienst in Innsbruck. „Saisonarbeit zwingt die Menschen in eine Heimatlosigkeit aus der viele nicht mehr herausfinden und irgendwann auf der Straße stehen. Mit diesem Problem bin ich in meiner alltäglichen Arbeit oft konfrontiert”, betont Span.

Ein Blick auf die Statistik des „Vereins zur Beratung und Betreuung von Obdachlosen in Tirol” macht deutlich: Die Zahl der von diesem'Verein betreuten Klienten, primäre Obdachlose, ist von 1994 auf 1995 von 1.044 auf 1.253 Personen angestiegen.

„Mit dieser Zahl läßt sich eine klare Tendenz belegen. Nicht berücksichtigt sind allerdings jene Personen, vor allem Frauen, die in einer versteckten Obdachlosigkeit leben und von uns nicht erfaßt werden”, betont Manuela

Schweigkofler, Leiterin der Teestube in der Innsbrucker Mentlgas-se. Damit bezieht sie sich auf eine Studie mit dem Titel „Aus-Verkauf”, in welcher die problematische Situation wohnungsloser Frauen in Tirol behandelt wird. Die Autorinnen dieser Studie (1995) stellten einen Forderungsund Maßnahmenkatalog zusammen, dessen Umsetzung zur Verbesserung der Situation wohnungsloser Frauen beitragen sollte. „Konkrete Schritte stehen freilich noch an”, resümiert Schweigkofler als Mitautorin der Studie.

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