35 Milliarden in den Kamin

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Keine Spitzenwerte weist Österreich bei den Insolvenzen auf, aber im Vergleich zu den Neugründungen eine bedenklich hohe Zahl an Konkursen.

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Keine Spitzenwerte weist Österreich bei den Insolvenzen auf, aber im Vergleich zu den Neugründungen eine bedenklich hohe Zahl an Konkursen.

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April 1997: Pleiten mit unvorstellbaren 210 Milliarden Schilling in Japans Kreditsektor. November 1997: Ein weiterer Rekord im einstigen Wirtschaftsmusterland. "Yamaichi Securities", eines der größten Wertpapierhäuser steht mit 670 Milliarden Schilling in der Kreide. November 1997: Südkorea am Rand des Bankrotts. 250 Milliarden Schilling kurzfristige Kredite harren der Rückzahlung, der Autohersteller "Kia" steht mit 133 Milliarden Schilling Schulden da. In Deutschland stellen die für 1997 erwarteten 33.000 Pleiten einen neuen Rekord dar. In Europa liegt die entsprechende Zahl bei 200.000 - schon seit mehreren Jahren.

Auch Österreich liegt im Trend. Wenn auch die Werte nicht so eindrucksvoll sind, gab es doch auch bei uns spektakuläre Zusammenbrüche. Am besten in Erinnerung sind wohl der Ausgleich des "Konsum" (26 Milliarden Schilling) - er galt als unsinkbares Schiff - und die Konkurse und Ausgleiche der Gruppe "Hofmann & Maculan" (zehn Milliarden Schilling, siehe Seite 16).

Trotz der viel kommentierten Großpleiten, wird die Szene bei den Insolvenzen von den Klein- und Mittelbetrieben geprägt. Seit Beginn der neunziger Jahren hat sich die Zahl der Konkurse und Ausgleiche (siehe Seite 14) verdoppelt, auf rund 5.000 im Vorjahr (das war ein Rückgang von 0,8 Prozent gegenüber 1996). Damit rangiert Österreich international im Mittelfeld: 150 Insolvenzen je 100.000 Beschäftigten im Jahr 1995 in einer Bandbreite von 40 (Spanien) bis 303 (Schweden). Das bedeutet immerhin das Aus für 14 österreichische Unternehmen pro Tag. Die Hälfte von ihnen sind in der Bauwirtschaft, im Gastgewerbe und in den sonstigen Dienstleistungen tätig. Da heuer kein Großunternehmen Pleite gemacht hat, sind die Passiva aller Insolvenzen zusammengenommen rückläufig (-37 Prozent). Allerdings stellen die rund 35 Milliarden immer noch den dritthöchsten Wert der Nachkriegszeit dar.

Und die konkreten Ursachen für die Pleiten? Zwar hat jede ihre Geschichte, aber ein häufig wiederkehrender Faktor ist die Unterkapitalisierung. Mangel an Eigenkapital heißt Unfähigkeit, Durststrecken zu bewältigen. Häufig treten aber auch betriebswirtschaftliche Mängel auf. "Man staunt, wieviele Unternehmen keine halbwegs aussagekräftige Buchführung besitzen," stellt Wolfgang Schwarz, Bereichsdirektor des "Kreditschutzverbandes von 1970" (KSV) fest. Oft werde ein zu hohes Risiko eingegangen, zu rasch expandiert. Nicht nur lahme Enten scheiden aus dem Markt.

Geben die Insolvenzzahlen Anlaß zur Sorge? Ist es schlimm, wenn von den 260.000 Unternehmen in Österreich zwei Prozent pro Jahr von der Bühne abtreten? Immerhin könnte man sagen, Untaugliches sterbe ab, Neues entstehe. In Österreich dürften die Neugründungen jedenfalls nicht reichen, meint Schwarz. "Im Vergleich zu dem, was in den letzten Jahren an Unternehmen nachkam, ist einfach zu viel zugrunde gegangen."

100.000 in der ersten Hälfte der neunziger Jahre durch Insolvenzen verlorene Arbeitsplätze sind eben nicht leicht zu ersetzen, auch nicht durch die 12.000 Neugründungen in den beiden letzten Jahren. Bedenklich stimmt vor allem der Rückgang in den letzten drei Monaten (minus 30 Prozent (!) gegenüber 1996). "Die Gründerwelle, von der die Politik gesprochen hat, fand nicht statt," so Schwarz. Außerdem überleben viele Neugründungen nur kurz. 1995 waren 36 Prozent der insolventen Unternehmen nicht älter als fünf Jahre und bei ebenso vielen lag die Gründung zwischen fünf und 15 Jahren zurück.

Was hindert die Österreicher daran, sich selbständig zu machen? Der Mangel an Risikofreude, so der KSV: Von 100 befragten Studenten wollten laut Umfrage 70 in den Staatsdienst eintreten. Das erklärt unsere niedrige Selbständigenquote: Mit 6,6 Prozent Anteil an den Erwerbstätigen Platz 16 unter 18 Vergleichsländern.

Und was behindert die Risikofreudigen? Der Mangel an Risikokapital. Um bei den Banken Geld zu bekommen, müssen Jungunternehmer eine Unzahl von Studien und Vorausschauen vorlegen, die den Erfolg des geplanten Unternehmens quasi sicherstellen. Und das geht eben in den meisten Fällen nicht. Bei Privatkrediten seien die Banken risikofreudiger, kritisiert Schwarz.

Ganz allgemein aber ist es heute schwierig, ein Unternehmen zu führen. Das Umfeld ist extrem komplex geworden: Komplizierte und unüberschaubare Gesetze sind zu berücksichtigen, aufwendige Bewilligungsverfahren zu bestehen, ein schwer erfaßbarer, von internationalen Entwicklungen beeinflußter Markt zu überschauen, Finanzierungs- und Steuerfragen, Datenverarbeitung und womöglich Fremdsprachen zu beherrschen ... Auch der Mangel an Rechtssicherheit wirkt negativ. Ändern sich nämlich laufend die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (etwa im Zuge von Sparpaketen), so läßt sich kaum längerfristig planen.

Die sich weiter verschlechternde Zahlungsmoral (siehe Seite 14) ist eine weitere Erschwernis: Das durchschnittlich vereinbarte Zahlungsziel beträgt in Österreich 27, das tatsächliche aber 48 Tage. Das ergibt einen Zahlungsverzug von drei Wochen im Durchschnitt. Besonders bei Klein- und Mittelbetrieben kann diese Verzögerung existenzgefährdend sein. Auch öffentliche Auftraggeber werden von den Unternehmen als Problemkunden bezeichnet. 60 Prozent der im Vorjahr vom KSV befragten Unternehmer rechnen mit einer weiteren Verschlechterung.

Viele zahlen nicht, weil sie nicht können. In 44 Prozent der Fälle handelt es sich aber um vorsätzliches Nichtbezahlen. Dieses Verhalten bedrohe vor allem die Existenz der Klein- und Mittelbetriebe, schätzt Wolfgang Schwarz. Zahlen Große bewußt erst sehr spät, so stehen die Kleineren vor dem Dilemma: Mit Klage drohen, heißt, einen wichtigen Kunden zu verlieren. Zu warten, kann die Existenz bedrohen.

Enorme Probleme bereitet sehr vielen Unternehmen auch die massive Umstrukturierung, die derzeit in der Wirtschaft stattfindet. Das hat mit der Ostöffnung und mit dem EU-Beitritt zu tun. Schwer tun sich da vor allem Klein- und Mittelbetriebe. Der KSV spricht von einem "Hyperwettbewerb, der mehr und mehr einem Vernichtungswettbwerb gleicht." Und diagnostiziert: "Nicht nur ,die Schnellen fressen die Langsamen', sondern auch ,die Großen die Kleine', welche immer mehr unter Druck geraten." Die Einführung des Euros werde diesen Anpassungsdruck weiter verschärfen, die hohe Arbeitslosigkeit, das Konsumverhalten dämpfen und damit weitere Unternehmen in Schwierigkeiten bringen.

Wer sich heute beim Räumungsverkauf über Schilder mit: "Alles zum halben Preis!" freut, sollte nicht übersehen, daß dieses Schleudern ein Alarmzeichen ist, das weitere Pleiten ankündigt.

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