Das Bildungsvolksbegehren ist vor allem ein Wirtschaftsvolksbegehren. Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter mahnen die Politik, den Innovationsstandort Österreich zu sichern.
Rund 14.000 leseschwache Volksschulabgänger (16 Prozent) sowie 32.000 der 15- bis 16-Jährigen (34 Prozent), die ebenfalls Probleme beim Lesen, in Mathematik oder den Naturwissenschaften haben - mitunter gar in allen drei Bereichen: Nach Hochrechnung verschiedener internationaler Bildungserhebungen, von denen die PISA-Studie nur die bekannteste ist, sieht Herbert Tumpel, Präsident der Arbeiterkammer (AK), schwarz.
Tatsächlich sprach er schon beim "Bildungsdialog“ der Sozialpartner, der Anfang Februar gemeinsam mit den Ministerinnen Beatrix Karl (ÖVP) und Claudia Schmied (SPÖ) stattfand, von einem "Schwarzen Loch“, in dem ein Teil der heimischen Jugend einfach verschwinde. 5000 seien es, die nach Ende ihrer Schulpflicht weder als Schüler, noch in einem Lehrberuf oder sonst in Arbeit zu finden sind. "Das sind sechs Prozent eines Jahrgangs - wo sind die?“
Weiter verschärft werde der Zustand durch einige tausend Lehrlinge pro Jahr, die laut Tumpl ihre Lehrabschlussprüfung nicht bestehen oder gar nicht erst antreten. "Ein untragbarer Zustand“, zu dessen Gegensteuerung er Sofortmaßnahmen in den Volks- und Mittelschulen sowie beim Übergang zwischen Schule und Arbeitsmarkt verlangt.
Industrielle sind für Bildungsvolksbegehren
Auch Veit Sorger, Präsident der Industriellenvereinigung (IV), brachte vergangene Woche auf den Punkt, worum es ihm bei der Bildungsreform geht, die das "Volksbegehren Bildungsinitiative“ (VBBI) einleiten will: Arbeitslosigkeit und Armut verringern, Lebenschancen schaffen und die Zukunft Österreichs als Wirtschafts- und Innovationsstandort sichern. VBBI-Initiator Hannes Androsch zeigte sich erfreut über Sorgers Einladung zur gemeinsamen Pressekonferenz im Haus der Industrie, und noch viel mehr ob der Zusage des Hausherrn, sein Projekt nun offiziell zu unterstützen. "Wir wollen ein Gesamtpaket“, stellte Sorger klar, und keine weiteren Einzelmaßnahmen, die sich die Regierungsparteien wechselseitig abringen. Dafür stehe zu viel auf dem Spiel.
Das Lob, das er Bundeskanzler Werner Faymann zukommen ließ, münzte der IV-Präsident umgehend in entsprechende Kritik an Bildungsministerin Claudia Schmied um: Während der Regierungschef "klugerweise“ erklärt habe, das Volksbegehren als Bundespolitiker nicht zu unterschreiben, könne Sorger das gegenteilige Vorhaben Schmieds "nicht goutieren“. Immerhin stelle der Volksbegehrenstext die Regierungspolitik vielfach infrage. Er habe kein Verständnis, wenn sich jene, gegen die sich das Vorhaben richtet, daran beteiligen.
Die Verfügbarkeit hoch qualifizierter Leute bestimme maßgeblich über die Wettbewerbsfähigkeit des Landes und den Wohlstand seiner Bürger, sind Sorger und Androsch einig. Es herrsche "völlige Übereinstimmung darüber“, dass vor allem in den sogenannten MINT-Fächern - Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik - verstärkte Fördermaßnahmen von Kindesbeinen an nötig wären. Und das insbesondere für Mädchen.
Neben den von Tumpel aufgezeigten Problemen sei auch das Niveau der Maturantinnen und Maturanten mangelhaft, die an Technischen Universitäten - wenn sie den Weg in ein entsprechendes Studium finden - viel zu oft erst mathematische Grundlagen nachzuholen hätten. Ganz zu schweigen von Englisch, das nach Androsch "heute eigentlich keine Fremdsprache mehr sein sollte“.
Dass die Regierungsparteien mit den Sozialpartnern "in zahlreichen Punkten an einem Strang ziehen“, hatten Wissenschaftsministerin Karl und Bildungsministerin Schmied beim "Bildungsdialog“ versichert. In diesem Sinn, so Androsch, sollte man etwa Lehrer künftig länger in den Schulen halten. Dabei gehe es keineswegs um mehr Unterrichtsstunden, sondern um eine erweiterte Anwesenheitspflicht. Eine innere Umstrukturierung des Lehrer-Alltags also. "Niemand verlangt, dass Lehrer künftig acht Stunden täglich unterrichten“, stellt der ehemalige Finanzminister klar, der sich der starken Lehrergewerkschaft bewusst sei. An deren Widerstand scheiterte bekanntlich Ministerin Schmied 2009 mit entsprechenden Vorstellungen.
Nach anfänglichem Ausweichen weiteten Sorger und Androsch auf Nachfrage der FURCHE ihre Ansprüche doch auch auf die Hochschulen aus. Die halten allein mit den vorlesungsfreien Zeiten zum Semesterwechsel ein Drittel des Jahres ihre Pforten geschlossen - zumindest, was das Angebot von Lehrveranstaltungen und Prüfungsterminen betrifft. Zwar argumentieren Hochschullehrende, gerade diese Zeiten für die Forschung zu nutzen, und Studierende verweisen auf die Notwendigkeit, in den Ferien zu arbeiten - was ein großer Teil laut der Studierenden-Sozialerhebung des Instituts für Höhere Studien aber ohnehin das ganze Jahr über tut. Dennoch ist auch das laut Sorger ein Indiz dafür, "dass wir uns sehr viele teure Infrastrukturen leisten“ - und diese zu wenig ausnützen. Androsch zog eine Parallele zum "de jure abgeschafften Adel“, der im Bildungsbereich als eine Art "Zeitadel“ übrig geblieben sei.
Ideologien überwinden
"Wir können uns nicht zig verlorene Jahrgänge leisten“, hatte Erich Foglar, Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbunds, kürzlich gemahnt, und forderte unter anderem "verpflichtende Nachhilfe in Berufsschulen und der neunten Schulstufe, aber auch in den Volksschulen“. Gerade für den ländlichen Raum sei die Wahrung der Standortsicherheit wichtig, ergänzte Landwirtschaftskammer-Präsident Gerhard Wlodkowski, der auf das stetig wachsende Problem der Abwanderung junger Menschen in die Städte verwies. Zwar spiegeln sich entsprechende Ansätze in den Vorhaben, die die Bundespolitik bereits präsentierte, aber vieles davon gehe über Koalitionsstreitigkeiten verloren. Weshalb IV-Präsident Sorger meint: "Es ist höchste Zeit, Ideologien zu überwinden.“
Neben den handelnden Personen in der Politik, in den Schulen und im Hochschulbereich sei aber auch die Wirtschaft stärker in die Pflicht zu nehmen, so Tumpel. Natürlich sei es mühsam, ständig mit Bewerbern konfrontiert zu sein, deren Grundkompetenzen für den Beginn einer Lehre nicht ausreichen. "Aber es gibt Gott sei Dank Großunternehmen, die diese jungen Leute unterstützen.“ Tumpel verweist etwa auf die Voestalpine, deren Chef Wolfgang Eder in einem ORF-Radio-Interview "einen dramatischen Verfall der Bildung“ beklagte, gleichzeitig aber betonte, dass in seinem Unternehmen eine entsprechende Nachbesserung wahrgenommen werde.
Bei all den Sofortmaßnahmen, die Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter fordern und teils gleich selbst in die Wege leiten, handle es sich dennoch um eine reine Symptombekämpfung. "Wir züchten uns hier eine große Problemgruppe heran, die deutlich verringerte Lebenschancen hat“, fordert Tumpel die Politik auf, die bekannten Probleme endlich anzugehen. Dass die im "Schwarzen Loch“ Verschwundenen ein Leben vor sich hätten, in dem sie "zwischen Arbeitslosigkeit und Jobben“ pendeln, sei schließlich auch für jeden Einzelnen davon eine grauenhafte individuelle Tragödie.
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