Hospiz Abschied Distanz Krise - © Fotomontage: Rainer Messerklinger (unter Verwendung eines Bildes von iStock/LPETTET)

Abschied in der Krise: Was bleibt, ist Ohnmacht

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Sich von einem nahen Menschen zu verabschieden, ist nicht leicht. Vor allem nicht, wenn es auf Distanz geschieht. Vor allem nicht, wenn es für immer ist.

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Sich von einem nahen Menschen zu verabschieden, ist nicht leicht. Vor allem nicht, wenn es auf Distanz geschieht. Vor allem nicht, wenn es für immer ist.

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Ein letzter Händedruck, eine letzte Umarmung, ein letzter Kuss. Wenn Abschied Endgültigkeit bedeutet, sind es oft nicht nur Worte, sondern vor allem Blicke und Berührungen, die zählen. In einer Zeit, in der physische Distanz als oberstes Gebot gilt, erhält Abschiednehmen eine neue Dimension: das Verwehrtbleiben desselben.

„Abschiednehmen ist ein Lebensthema, das uns von Geburt an begleitet“, sagt Maria Streli-Wolf, Trauerbegleiterin der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft. „Wir wissen, dass das Leben endlich ist, wahrgenommen wird das aber meistens nur, wenn eine Trennung in Form von Traurigkeit und Schmerz spürbar wird.“ Streli-Wolf hat ihren Dienst aufgrund der Ausgangsbeschränkungen mittlerweile zu sich nach Hause verlagert und ist nun via Telefon für Angehörige von Sterbenden und Verstorbenen da.

Abschiednehmen ist ein Lebensthema, das uns von Geburt an begleitet.

Maria Streli-Wolf

Das persönliche Verabschieden von einer geliebten Person ist für Betroffene grundsätzlich wichtig, da Endgültigkeit und Tod als sinnliche Erfahrungen begriffen und dadurch einfacher verarbeitet werden können. Umso größer ist die Wucht, die Trauernde aktuell trifft: Aufgrund der Corona-Pandemie gibt es kaum Chance auf einen physischen Abschied. Der Austausch mit anderen, möglicherweise ebenfalls trauernden Personen ist eingeschränkt. Die Selbstisolation begrenzt die Möglichkeiten für ablenkende Aktivitäten. Was bleibt, sind Ohnmacht und Verzweiflung.

Zwar gebe es auch unter normalen Bedingungen Situationen, in denen Angehörige kein abschließendes Zusammentreffen erleben, meint Streli-Wolf. Doch nun sind es gesamtgesellschaftliche, äußere Umstände, die eine solche Gemeinschaft verhindern.

Ungewohnte Stille

So ist es auch ungewöhnlich still auf der Hospiz- und Palliativstation der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft, obwohl alle vierzehn verfügbaren Betten belegt sind. Das Personal ist merklich reduziert, weder Ehrenamtliche noch Praktikantinnen oder Praktikanten sind noch hier. Die Besuchszeiten sind eingeschränkt, nicht mehr als eine Person pro Patient soll am Tag kommen.

Manche haben aufgehört, die Nachrichten zu verfolgen. Sie würden es nicht aushalten.

Die besondere Stille schreibt Geschäftsführer Werner Mühlböck auch dem Bemühen zu, einer potentiellen, durch die Pandemie ausgelösten Unruhe entgegenzuwirken. Jeden Morgen werden die aktuellen Maßnahmen besprochen, dann zündet das Team gemeinsam eine Kerze an, um Kraft zu tanken und der Patientinnen und Patienten zu gedenken. „Die Zusammenarbeit im Team ist aktuell so gut wie noch nie“, sagt Mühlböck. „Bei uns sind Menschen beschäftigt, die diese Aufgabe gewählt haben, weil sie etwas Sinnvolles tun wollten. Ich glaube, jetzt spürt man das mehr denn je.“

Die Patientinnen und Patienten würden die Situation unterschiedlich wahrnehmen. Manche haben aufgehört, die Nachrichten zu verfolgen. Sie würden es nicht aushalten. Andere empfinden nun alles viel hektischer, denn die Angestellten haben wenig Zeit, um den Bewohnern einfach nur Gesellschaft zu leisten. Aber grundsätzlich sei die Stimmung positiv und auch der Humor komme nach wie vor nicht zu kurz, sagt Mühlböck.

Trauerbegleitung - Laut dem Dachverband Hospiz Österreich wurden hierzulande im Jahr 2018 858 Personen in stationären Hospizeinrichtungen betreut. Ein Großteil der Hospizund Palliativpflege findet jedoch mobil statt. Auch gehen stationäre und mobile Behandlung oft ineinander über. So waren es sowohl in der mobilen Palliativ- als auch Hospizpflege über 13.000 Personen, die einen solchen Dienst in Anspruch genommen haben. (Quelle: Dachverband Hospiz Österreich 2018) - © Grafik: Margit Körbel (Quelle: Dachverband Hospiz Österreich 2018)
© Grafik: Margit Körbel (Quelle: Dachverband Hospiz Österreich 2018)

Laut dem Dachverband Hospiz Österreich wurden hierzulande im Jahr 2018 858 Personen in stationären Hospizeinrichtungen betreut. Ein Großteil der Hospizund Palliativpflege findet jedoch mobil statt. Auch gehen stationäre und mobile Behandlung oft ineinander über. So waren es sowohl in der mobilen Palliativ- als auch Hospizpflege über 13.000 Personen, die einen solchen Dienst in Anspruch genommen haben. (Quelle: Dachverband Hospiz Österreich 2018)

Der Kontakt zu und das Abschiednehmen von Angehörigen spielt auch auf Seite der Sterbenden eine wichtige Rolle. „Wir sind dabei, Tablets anzuschaffen, um mehr Videotelefonate anbieten zu können, aber momentan ist alles vergriffen“, erklärt Mühlböck. Zurzeit stellen viele der Angestellten ihre privaten Smartphones zur Verfügung, die Bildschirme sind für die Betroffenen aber oft zu klein. Der Dachverband Hospiz Österreich forderte Angehörige in einem Schreiben dazu auf, den Kontakt auch mit analogen und kreativen Mitteln aufrechtzuerhalten – eine Karte zu schreiben, ein Bild zu malen, einen Brief zu verfassen, ein Gedicht oder Lied auszuwählen, kurz: ein Abschiedsgeschenk zu basteln.

Das Danach

Am Sonntag ist auf der Hospiz- und Palliativstation wieder eine Patientin verstorben. Die Mitarbeiter gestalten normalerweise Abschiedsrituale mit Gebeten, Blumen und Geschichten aus dem Leben der Verstorbenen, an denen auch die Angehörigen teilnehmen können. Diesmal nicht. Die Rituale finden jetzt nur mehr intern statt, für Angehörige werden Fotos gemacht. Was bleibt, sind Verlust und Trauer. Gefühle, die man nicht hinunterschlucken soll, so der Rat von Maria Streli-Wolf: „Kein Mensch hat gerne unangenehme Gefühle, aber erst, wenn wir diese zulassen, können wir lebendig sein.“

Trauer ist wie Erste Hilfe. Je früher man anfängt, desto größer ist die Hilfe.

Werner Mühlböck

Gerade aufgrund der aktuellen Bedingungen soll man die fehlende Gemeinschaft suchen, selbst wenn das physische Zusammenkommen gerade nicht möglich ist. In Werner Mühlböcks persönlichem Bekanntenkreis werde zum Beispiel täglich abends um halb acht eine Kerze entzündet, um gemeinsam eines Verstorbenen zu gedenken, für den bisher noch kein Begräbnis abgehalten werden konnte. „Trauer ist wie Erste Hilfe. Je früher man anfängt, desto größer ist die Hilfe“, sagt Mühlböck.

Je länger die Einschränkungen anhalten, desto belastender werde die Situation für die Gesellschaft werden, meint Streli-Wolf. Je länger man mit sich selbst konfrontiert ist, je weniger Ablenkung besteht, desto stärker sei das Ungelöste und Unbetrauerte spürbar. Für Streli-Wolf ist das jedoch auch eine Chance, die Wichtigkeit des Abschiednehmens mehr ins Bewusstsein zu holen. Und auch Mühlböck sieht Potential für positive Effekte: „Ich habe den Eindruck, dass wir alles, was wir als selbstverständlich wahrgenommen haben, schätzen lernen. Den Händedruck, das in die Augen Schauen und in den Arm Nehmen. Das ist etwas Gewaltiges.“

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