Soll es erlaubt sein, Kinder oder Menschen mit geistiger Behinderung in Forschungsstudien miteinzubeziehen, wenn ihnen dies selbst nicht nützt? Sollen Paare mit einer Erbkrankheit zu künstlicher Befruchtung zugelassen werden, um im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik (PID) kranke Embryonen ausselektieren zu können? Sollen die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin auch lesbischen Paaren offen stehen? Diese Fragen werden in Österreich seit Jahren diskutiert - kaum jedoch im Plenum des Parlaments.
Das sollte sich nun ändern: Für 7. und 8. Mai wurde eine Enquete anberaumt, bei der Expertinnen und Experten, Betroffene sowie Abgeordnete über bioethische Fragestellungen debattieren sollten. Am ersten Tag stand die lange geforderte Ratifizierung der Biomedizinkonvention des Europarates auf dem Programm; am zweiten wollte man über die "heißen Eisen“ der Fortpflanzungsmedizin diskutieren. Doch kurz davor ist alles geplatzt. DIE FURCHE beschreibt, wie es dazu kommen konnte - und vor welchen bioethischen Entscheidungen Österreich steht.
1 Warum musste die Bioethik- Enquete abgesagt werden?
Darüber scheiden sich die Geister. Laut dem Grünen Gesundheitssprecher Kurt Grünewald, der bereits im Mai 2011 eine breite parlamentarische Diskussion zur Bioethik gefordert hatte, habe die ÖVP die Enquete boykottiert: Gesundheitssprecher Erwin Rasinger sei am 9. April zu einer Fraktions-Besprechung "aus Zeitgründen“ einfach nicht erschienen. Rasingers Parteikollege, Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg, verwahrt sich gegen den Blockade-Vorwurf. Die ÖVP wäre sogar für drei Enqueten gewesen - auch über den Hospiz-Bereich sowie über Spätabtreibungen und das Thema "behindertes Kind als Schadensfall“. Die anderen Klubs jedoch hätten die Gespräche hinausgezögert und die Forderung nach mehr selbstbetroffenen Expertinnen am Podium abgelehnt. Grünewald hält das für eine "tollkühne Feststellung“ und weist darauf hin, dass im Plenum 30 Plätze für Behindertenvertreter reserviert gewesen wären. "Wenn ein gemeinsames Vorhaben scheitert“, antwortet Huainigg, "ist es mühselig, die Schuldfrage zu klären.“
2 Soll Österreich die Biomedizinkonvention ratifizieren?
Ja. Die Bioethikkommission im Bundeskanzleramt hat bereits 2002 dazu geraten - und auch im Regierungsübereinkommen von SPÖ und ÖVP ist dies vorgesehen. Die 1999 in Kraft getretene und bislang von 29 der 47 Europarats-Staaten ratifizierte "Konvention über Menschenrechte und Biomedizin“ etabliert immerhin Mindeststandards - etwa ein explizites Klon-Verbot im ersten Zusatzprotokoll, das es in Österreich mangels biomedizinischen Forschungsgesetzes nicht gibt. Behindertenvertreter kritisierten die Konvention jedoch lange Zeit als "behindertenfeindlich“. Sogar die Angst vor einem Missbrauch als "Organ-Ersatzteillager“ stand im Raum. Tatsächlich ist die Konvention ein kleinster, gemeinsamer ethischer Nenner, gibt den Unterzeichner-Staaten aber ausdrücklich die Möglichkeit, strengere, nationale Regeln zu etablieren. Dies gilt auch für die besonders umstrittene Forschung an menschlichen Embryonen, welche die Konvention bei "adäquatem Schutz des Embryos“ zulässt. Österreich könnte also auf seinem (impliziten) Verbot von embryonaler Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik durch das Fortpflanzungsmedizingesetz weiter beharren. Selbst Behindertenvertreter fordern deshalb, dass die nächste Bundesregierung den Dialog mit den Betroffenen suchen und die Biomedizin-Konvention unterzeichnen soll.
3 Muss das Fortpflanzungsmedizingesetz liberalisiert werden?
Die Mehrheit in der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt sagt: Ja - unter ihnen der Wiener Medizinrechtler Christian Kopetzki: Auf Grund der Verfassungsbestimmungen der Europäischen Menschenrechtskommission und des Gleichheitssatzes müsste die Präimplantationsdiagnostik weitgehend zugelassen werden, ebenso wie Eizellspende und Embryonenspende, künstliche Befruchtung mit Spendersamen sowie Zugangsmöglichkeiten für lesbische Paare zur Reproduktionsmedizin. Der Humangenetiker Markus Hengstschläger und der Europarechtler Helmut Ofner weisen zudem auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom Februar 2013 hin, der sich auf ein italienisches Paar mit der Erbkrankheit Cystische Fibrose bezieht: Diesem Paar zu verbieten, im Rahmen einer IVF-Behandlung Embryonen vor der Einpflanzung in die Gebärmutter genetisch zu untersuchen, verstoße gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Nachdem die österreichische Gesetzeslage weitgehend jener Italiens entspricht, herrsche hierzulande "Anpassungsbedarf“.
Andere Juristen betonen, dass es keinen Druck gebe, solange kein österreichischer Fall "durchjudiziert“ werde. Und die Anhänger des Minderheitenvotums in der Bio-ethikkommission kommen zum Schluss, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen keine Reform des Fortpflanzungsmedizingesetzes geboten sei - und dem Gesetzgeber großer Gestaltungsspielraum zukomme.
4 Wie sollte man in Österreich künftig über Bioethik diskutieren?
Ähnlich ernsthaft, informiert und transparent wie in Deutschland, fordern viele. Dort hat sich im Bundestag bereits von 2000 bis 2005 eine permanente Enquete-Kommission mit "Ethik und Recht der modernen Medizin“ befasst. Franz-Joseph Huainigg würde sich Ähnliches in der nächsten Legislaturperiode wünschen - samt Möglichkeit, wie bei der deutschen Bundestags-Abstimmung im Juli 2011 über die Präimplantationsdiagnostik (sie endete übrigens mit einer Mehrheit für die begrenzte Zulassung), den Klubzwang aufzuheben und Gewissensentscheidungen zuzulassen. Dies wäre eine "völlig neue, demokratiepolitische Kultur im Parlament“, meint Huainigg.
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
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