Bioethik: Im Zweifel für DIE FREIHEIT?
Stephanie Merckens und Ulrich Körtner über das Urteil zur Samenspende für lesbische Paare - und die "Salami-Taktik" bei der Reform des Fortpflanzungsmedizingesetzes.
Stephanie Merckens und Ulrich Körtner über das Urteil zur Samenspende für lesbische Paare - und die "Salami-Taktik" bei der Reform des Fortpflanzungsmedizingesetzes.
Jahrelang wurde in Österreich über eine Liberalisierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes debattiert - besonders intensiv in der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt, die dazu im Juli 2012 eine umfangreiche Stellungnahme publizierte. Nun hat der Verfassungsgerichtshof Fakten geschaffen: Laut seinem jüngsten Urteil ist das bestehende Verbot von Samenspenden für lesbische Paare diskriminierend und deshalb verfassungswidrig (vgl. Artikel rechts). Bis 31. Dezember 2014 hat die Politik nun Zeit, das Gesetz zu reparieren. Während die katholische Kirche mit Bestürzung reagierte, sprachen Homosexuellenvertreter von einem "großen Tag für den österreichischen Rechtsstaat". Auf Einladung der FURCHE haben der evangelische Theologe Ulrich H.J. Körtner und die im Bereich Lebensschutz engagierte Juristin Stephanie Merckens - zwei Mitglieder der letzten Bioethikkommission -über das VfGH-Urteil im Besonderen und Österreichs Biopolitik im Allgemeinen diskutiert.
DIE FURCHE: Frau Merckens, waren Sie vom Urteil der Vefassungsrichter eigentlich noch überrascht?
Stephanie Merckens: Nein, aber meine Hoffnung war natürlich eine andere. Ich sehe bis heute keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz - und deshalb auch keine Notwendigkeit, diesen Passus aufzuheben. Das Urteil geht meiner Ansicht nach auch zu weit, weil durch die aufgehobenen Bestimmungen sehr viel mehr möglich wird als laut Begründung der Verfassungsrichter möglich sein soll: etwa die Samenspende für heterosexuelle Paare im Zuge einer In-Vitro-Fertilisation (bisher ist sie nur im Rahmen einer "Besamung" im Körper der Frau erlaubt, Anm. d. Red.). Doch mit den ethischen Fragen, die das aufwirft, setzen sich die Richter gar nicht auseinander. Auch nicht mit dem Kindeswohl und dem Recht des Kindes, seine Eltern zu kennen und möglichst von ihnen betreut zu werden. Das finde ich schon bedenklich.
Ulrich H.J. Körtner: Nachdem die Samenspende bei heterosexuellen Paaren bei uns erlaubt ist - zumindest jene innerhalb des Körpers der Frau -, war es logisch, dass man sie auch lesbischen Paaren erlauben wird. Insofern war auch ich nicht von diesem Urteil überrascht. Wir werden noch eine Reihe weiterer, ähnlicher Entscheidungen erleben: Und am Ende wird in Österreich scheibchenweise eine Reform umgesetzt, ohne dass man sich der Aufgabe unterzogen hätte, selbst in einem großen Wurf die Punkte abzuarbeiten. Dazu fehlt es der Politik -und auch der derzeitigen Koalition - offenbar an Gestaltungswillen, Mut und Kraft. Die Frage des Kindeswohls, die Sie angesprochen haben, ist für mich auf ethischer Ebene aber ganz wichtig: Gibt es zwingende Gründe, dass mit Blick auf das Kindeswohl Einschränkungen vorgenommen werden können?
DIE FURCHE: Eine gute Frage - auf die man in der Bioethikkommission völlig unterschiedliche Antworten gefunden hat. Gibt es überhaupt wissenschaftliche Studien, die belegen, dass Kinder in "Regenbogenfamilien" psychosexuellen oder anderen Schaden erleiden - oder eben gerade nicht?
Merckens: Es gibt unterschiedliche Untersuchungen, die gern zitiert werden und die darauf hinauslaufen, dass es keine Schwierigkeiten bei solchen Kindern gibt. Aber wir als Vertreter der "abweichenden Meinung" in der Bioethikkommission sehen gravierende Mängel in der Machart dieser Studien. Schließlich wurden sie im Hinblick auf die Durchsetzung bestimmter Rechte gemacht. Auf der anderen Seite wird dann - etwa im Obsorgerecht - die Rolle des Vaters sehr hoch eingestuft. Es wird auch betont, wie wichtig der Bezug zu Personen ist, die das Kind lieben. Aber dem Samenspender ist das durch ihn gezeugte Kind ziemlich egal. Das sind Aspekte, die mich skeptisch machen.
Körtner: Die derzeitigen Untersuchungen deuten nicht darauf hin, dass es eine erhebliche psychische Beeinträchtigung von Kindern in solchen Familien gibt. Wobei man über die Aussagekraft solcher Studien tatsächlich geteilter Meinung sein kann. Aber das ist in der Debatte nicht der springende Punkt.
DIE FURCHE: Sondern?
Körtner: Der Punkt ist, dass ich als Ethiker klar unterscheide zwischen der rein juristischen Ebene, auf der die Dinge geregelt werden müssen, und der ethischen oder moralischen Ebene, auf der es unterschiedliche Auffassungen von einem guten Leben gibt. Und auf der juristischen Ebene sind nicht Erlaubnisse, sondern Verbote begründungsbedürftig! Wenn ich als Gesetzgeber in einem weltanschaulich und religiös pluralen Staat ein Verbot verankern will, muss ich sehr starke Gründe vorbringen, etwa eindeutige, empirische Studien, wonach Kindern in solchen Familien schwerer Schaden zugefügt wird. Sonst komme ich in eine weltanschauliche Auseinandersetzung darüber, was eine gute Form von Familienleben ist. Doch das kann der Gesetzgeber nicht entscheiden. Auch ich kämpfe nicht für mein Lebensmodell, wenn ich als seit 38 Jahren verheirateter Mann für den Zugang lesbischer Frauen zur Samenspende bin. Aber die Frage ist, ob ich das, was ich selbst für wünschenswert halte, in der heutigen Gesellschaft zum Maßstab für ein Gesetz machen kann. Ich sage also: Im Zweifel für die Freiheit.
Merckens: Könnten alle Menschen so ausgewogen entscheiden, wie Sie das in der ethischen Auseinandersetzung voraussetzen, dann könnte man im Zweifel für die Freiheit votieren. Aber ich glaube, dass der Gesetzgeber auch eine gewisse Verantwortung hat und Risiken vermeiden sollte. Deshalb kann er durchaus ein bestimmtes Ideal oder Leitbild schützen oder fördern - gerade in einer so technisch geplanten Situation wie bei der künstlichen Befruchtung. Und zum Gleichheitsgrundsatz: Meiner Meinung nach wurde der im VfGH-Urteil sogar missbraucht! Es soll ja Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden, und gerade punkto Fortpflanzung sind homosexuelle Paare nicht gleich heterosexuellen Paaren - schon auf Grund der Fortpflanzungsfähigkeit.
DIE FURCHE: Tatsächlich scheint das VfGH-Urteil einen Paradigmenwechsel eingeläutet zu haben: weg von der Behandlung von Unfruchtbarkeit hin zur Erfüllung des Kinderwunsches quasi für jedermann. Ist das gut so?
Körtner: Wir haben diesen Paradigmenwechsel schon, seit 1978 das erste Retortenbaby geboren wurde. Als Ethiker sehe ich das durchaus kritisch - auch hinsichtlich der Entwicklung, pauschal ungewollte Kinderlosigkeit als Krankheit zu betrachten und immer mehr in Richtung wunscherfüllender Medizin zu gehen. Doch die Frage ist: Wie soll der Gesetzgeber darauf reagieren? Faktisch wird er nicht nur von Gerichten zu Anpassungen gezwungen, sondern rings um uns herrschen liberalere Rechtsordnungen - und die Paare gehen einfach anderswohin, um sich ihren Wunsch nach Fremdsamenspende, Präimplantationsdiagnostik oder was auch immer zu erfüllen. Wir haben auch die paradoxe Situation, dass Reproduktionsmediziner ein Institut hier in Österreich und noch eines in Tschechien betreiben, um Eizellspenden vorzunehmen. Ich halte das für doppelbödig und sehe auch den "erzieherischen" Effekt nicht mehr: Die Bürger scheren sich in einem freizügigen Europa nicht mehr darum, was sich der Gesetzgeber irgendwann gedacht haben mag, sondern sie haben ihre eigenen Lebensmodelle.
Merckens: Bei der liberalsten Rechtsordnung weichen die Menschen dorthin aus, wo es billiger oder leichter ist. Doch das kann für mich kein Grund sein, meine Rechtsordnung anzupassen. Ich glaube, dass wir gerade als kleines Österreich hier Vorreiter sein können - wie auch bei der Atomenergie. Dieser "erzieherische Aspekt" überzeugt. Und was Sie von diesen Wunschkinder-Instituten gesagt haben, so zeigt das eher, dass es derzeit zu wenig Kontrolle gibt. Die Vermittlung von Eizellspenden ist etwa verboten, aber wenn das auf Websites angeboten wird, ahndet man es nicht. Statt das Fortpflanzungsmedizingesetz zu liberalisieren, würde ich es gern einmal auf seine Qualität hin überprüfen. Das könnte ein eigener, österreichischer Weg sein.
Körtner: Es kann schon deshalb keinen "österreichischen Weg" geben, weil wir die Europäische Menschenrechtskonvention auch in Österreich als Verfassungsrecht akzeptiert haben. Und zum Behandlungstourismus: Es ist nicht der Punkt, dass Österreich etwas machen soll, nur weil es die anderen auch machen. Ich wollte nur auf Diskrepanzen hinweisen. Tatsache ist, dass sich die Politik bei uns tot stellt und manche darauf spekulieren, dass die Reform einfach über die Gerichte läuft. In Deutschland hat man - nach dem Freispruch für einen Arzt, der sich selbst wegen Präimplantationsdiagnostik angezeigt hatte - immerhin erkannt, dass hier Regulierungsbedarf besteht. Die Folge war eine Sternstunde des Parlamentarismus (Am 7. Juli 2011 hatten sich in einer namentlichen Abstimmung 326 von 594 Bundestags-Abgeordneten dafür ausgesprochen, in beschränkten Fällen eine genetische Untersuchung eines Embryos vor dem Einpflanzen in die Gebärmutter zuzulassen; Anm.). So etwas habe ich in Österreich nie erlebt. Hier glaubt man, man könne sich jede Auseinandersetzung sparen.
Merckens: Also ich finde, die Biopolitik stellt sich nicht tot. Es ist auch nicht so, dass es keine fundierten Meinungen gäbe, man denke etwa an Franz-Joseph Huainigg (VP-Behindertensprecher) oder Gabriele Heinisch-Hosek (SP-Unterrichts- und Frauenministerin, Anm.). Sie sind nur konträr und man kann deshalb schwer einen Kompromiss finden. Man kann ja auch nicht ein bisserl schwanger sein! Außerdem macht die derzeitige Salami-Taktik in der Biopolitik misstrauisch. Im Grunde fällt ein Kompromiss nach dem anderen. Jedes Mal wird eine Ausnahme als Begründung hergenommen, um eine weitere Ausnahme durchzusetzen. Die eingetragene Partnerschaft wurde etwa mit der klaren Ansage eingeführt, dass homosexuelle Paare kein fremdes Kind adoptieren können sollen. Nun fordert man wieder mehr.
DIE FURCHE: Wie weit soll man insgesamt gehen? Nach der Samenspende für lesbische Paare stehen auch Präimplantationsdiagnostik, Eizellspende und letztlich die Leihmutterschaft bei schwulen Paaren zur Debatte. Wann schreit etwa der evangelische Ethiker Körtner bestürzt auf?
Körtner: Auf jeden Fall kann er nicht mehr mit, wenn Eizellspenden gegen Geld gehandelt werden. Auch bei der Leihmutterschaft würde ich nicht mitgehen, weil ich es nicht für richtig halte, die genetische, biologische und soziale Elternschaft auf diese Weise auseinanderzureißen. Zwischen der geltenden Regelung, die scheibchenweise zerlegt wird, und dem kommerziellen Stil, den es etwa in einzelnen Bundesstaaten der USA gibt und den ich mir auch als Ethiker nicht wünsche, gibt es aber einen Spielraum. Der Gesetzgeber muss also nicht sagen: Entweder wir haben völliges Laissez-Faire oder halten aus Angst vor so genannten Dammbrüchen an etwas fest, was nicht halten wird.
DIE FURCHE: Stoff gibt es also genug für eine neue Bioethikkommission. Nach dem Auslaufen der letzten im Oktober 2013 wartet man bis heute auf eine Neubestellung. Würden Sie weitermachen?
Körtner: Nein, zwölf Jahre sind genug. Von Wolfgang Schüssel kann man halten, was man will, aber unter ihm war Biopolitik noch Chefsache. Je mehr Jahre ins Land gezogen sind, desto stärker wurde die Bioethikkommission marginalisiert. Außerdem könnte man noch viel über interne Mechanismen und Zusammensetzungen sagen - was ich aber nicht tue (lacht).
Merckens: Also ich bin erst zwei Jahre dabeigewesen und würde gerne weitermachen. Die Frage ist eher, ob das auch gewünscht wird und welche Aufgaben die Kommission haben soll. Das Gefühl von Marginalisierung hatte ich jedenfalls nicht, eher jenes von zu wenig tiefgründiger Auseinandersetzung. Deshalb würde ich mir durchaus wünschen, dass Professor Körtner darin vertreten bleibt, um genau diesen Aspekt noch weiter auszubauen.
DIE DISKUTANTEN
Stephanie Merckens
Die 1976 geborene, VP-nahe Juristin und dreifache Mutter war bis 2012 Lebensschutzbeauftragte der Erzdiözese Wien und ist seit 2013 Referentin für Bioethik und Lebensschutz des (von der Österreichischen Bischofskonferenz eingerichteten) Instituts für Ehe und Familie. Merckens war seit 2011 Mitglied der Bioethikkommission, deren Funktionsperiode im Oktober 2013 ausgelaufen ist.
Ulrich H. J. Körtner
Der 56-jährige Theologe ist Vorstand des Instituts für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät sowie Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien. Körtner, der 2001 zum "Wissenschafter des Jahres" gekürt wurde, war von 2001 bis 2013 Mitglied der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt.