Das Verbrechen als Meisterwerk

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Ob Amokläufer Robert Steinhäuser, Sexualmörder Jack Unterweger oder Briefbomber Franz Fuchs: Sie alle reagierten - wenn auch höchst unterschiedlich - auf nicht verkraftbare Kränkungserlebnisse.

Das zeitliche Zusammentreffen stimmt bedenklich: Just am Tag des Erfurter Amoklaufs, dem 26. April, referierte der Psychiater Reinhard Haller über jene psychodynamischen und lebensgeschichtlichen Einflüsse, die Menschen zu Tätern machen. Den Fokus hatte Haller freilich nicht auf (den ihm noch unbekannten) Robert Steinhäuser, sondern auf zwei Verbrecher gerichtet, durch deren Seelenanalyse er einst bekannt geworden war und zum prominentesten Gerichtsgutachter im deutschen Sprachraum avancierte. Im Mittelpunkt seiner Betrachtungen standen der lange gesuchte "Hurenmörder und Häfenpoet" Jack Unterweger und das nur durch Zufall gefasste "Bombenhirn" Franz Fuchs. Lange Zeit hatten diese Jahrhundertfälle Österreichs Öffentlichkeit in atemloser Spannung gehalten.

Die Serientäter weisen viele Gemeinsamkeiten auf: Jenseits ihrer Strategien offenbarten sie sich Reinhard Haller als gekränkte Genies. Beide waren "geniale Verbrecher", bemüht, ihren Verfolgern, den Gutachtern und der medialen Öffentlichkeit zu zeigen: "Meine Verbrechen sind Meisterwerke, ich bin der Beste, jetzt zeig' ich es euch allen!" Fuchs und Unterweger waren in hohem Maße verletz- und verwundbare Persönlichkeiten: Nach außen zeigten sie wenig Gefühl, spalteten ihre Kränkungen ab, gaben schließlich ihrem Drang nach, "der letzte Richter" zu sein und Macht über Menschen zu besitzen. "Frühe Kränkungserlebnisse und das völlige Fehlen von Liebe und Lob führen zum bösartigen Narzissmus, zum Wunsch, andere zu demütigen, zu erledigen, zu richten", weiß Haller, auch Chefarzt im Vorarlberger Krankenhaus Maria Ebene und Herausgeber des bekannten Buches "Das psychiatrische Gutachten".

Die Psychogramme beider Genies ähneln sich nicht wenig: "Unterweger und Fuchs erlebten frühe emotionale Traumatisierungen, Kränkung reihte sich an Kränkung; ihr Ziel war es schließlich, andere zu erniedrigen. Verletzung, Vergewaltigung und Tötung sind die gewaltätigsten Formen der Erniedrigung. Jack Unterweger sowie Franz Fuchs waren auf Ausübung von Macht und Kontrolle fixiert. Sie waren schließlich auch ihre eigenen Richter, sie setzten ihren Leben selbst ein Ende und auch das wieder auf geniale Weise."

Die Biografien dieser beiden Menschen sind Aneinanderreihungen kleiner Dramen in der Kindheit und Jugend; kleiner Geschichten auch im eigenen Kontakt mit Unterweger und Fuchs, die nur mit "den Besten" im Strafvollzug, im Betreuungsprozess, zu tun haben wollten und ihn selbst immer wieder testeten. Die Reduktion von Verbrechern auf den Terminus "gekränktes Genie" verharmlose die Verbrechen keineswegs, stellt Haller klar. Vielmehr würden dadurch Hintergründe erhellt, versäumte Heilungschancen reflektiert und den Wurzeln der tiefen Kränkungen, dem Verlust der guten Anteile des Selbst nachgespürt.

Franz Fuchs, 1949 im südsteirischen Gralla geboren, wird als hochbegabt, hochintelligent und perfektionistisch beschrieben. Er sei ein Eigenbrötler und "versponnener Denker" gewesen. Eine Sprachbehinderung macht ihn schon früh zum Außenseiter. Fehler sind für ihn unverzeihlich: So verliert er unter anderem wegen seiner Übergenauigkeit eine Arbeitsstelle. Er, der Atomphysiker werden wollte, der sich ausschließlich durch Leistung definiert, muss schließlich aus finanziellen Gründen sein Studium aufgeben. Episoden von Demütigungserfahrungen des stets unterschätzten und verhöhnten Genies reihen sich in Fuchs' Biografie aneinander.

Auch die Vita Jack Unterwegers, der 1950 als Sohn einer Bedienerin und eines Besatzungssoldaten geboren wird, beinhaltet eine lange Liste solcher Demütigungserfahrungen. Schon die große Anzahl seiner wechselnden Heim- und Pflegeplätze weist darauf hin. "Könnt ihr mich einer Lüge überführen?" lautet die Frage im narzisstischen Spiel des wegen elffachen Mordes Angeklagten, der seine Opfer mit Teilen ihrer Unterwäsche erdrosselte. "Narzissmus ist eine Überlebensstragie. So gibt es neben dem krankhaften auch den gesunden Narzissmus. Das Aggressionspotential des gekränkten Narzissten wird jedoch meist unterschätzt", weiß Reinhard Haller.

Schließlich zieht der Psychiater auch Parallellen zum Erfurter Amokläufer Robert Steinhäuser, wenngleich dieser nicht als "Genie" im engeren Sinn zu titulieren sei. Dennoch habe er seine Tat "sehr gut geplant und logistisch entschlossen durchgeführt", so Haller. Das allen Gemeinsame sei jedenfalls die fortgesetzte Kränkung: "Der Unterschied ist nur, dass es bei dem Erfurter Schüler zu einer eruptiven Entladung dieser Frustrationsenergie gekommen ist, also zu einem Massaker. Und bei den beiden anderen war diese Entladung portioniert."

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