Jörg Haider reitet weiter, Dichand will es noch einmal wissen - keine guten Aussichten für die Koalitionsarbeit.
Österreich vor dem zweiten Jahrestag des großen Tabubruchs, der Bildung einer Regierungskoalition unter Einschluss der Haider-FPÖ. Der "antifaschistische Karneval" (© Rudolf Burger) ist längst passé, ob ihm eine österliche Bußzeit folgte, sei dahingestellt - bei manchen, etwa in der Kanzlerpartei oder einigen klügeren Beobachtern und Kommentatoren, mag es eine Art In-sich-Gehen gegeben haben; aber es ist ja auch sonst so, dass sich gerade jene mit dem Fasten besonders schwer tun, die sich am ausgelassensten dem närrischen Treiben hingegeben haben. Von Ostern kann in der Politik ohnedies keine Rede sein; es ist also "Zeit im Kirchenjahr" eingekehrt.
Geblieben ist ein tiefer Graben zwischen zwei Lagern, ein Grundpegel des Misstrauens gegen die Regierung, das öffentlichen Diskurs wie veröffentlichte Meinung bestimmt. Der "Widerstand" hat sich institutionalisiert - Erregungszustände lassen sich bekanntlich nicht fortschreiben.
Damit hätte der "Widerstand" in intellektueller Selbstgefälligkeit ganz gut leben können, nicht aber dessen zentrales Objekt, der FP-Altparteiobmann. Wie der (Traditions- und Zeitgeist-)Boulevard lebt auch Haider von Schlagzeilen und Covers. Bei beiden manifestiert sich jener Machtinstinkt, der unter dem Gejohle des Publikums mit Schamlosigkeit punktet.
Zuletzt hatte Haider mit sinkenden Quoten zu kämpfen; auch die sich wiederholenden Querschüsse gegen die Regierung waren irgendwie müde geworden; selbst wenn News sich redlich mühte, jede Wortspende aus Klagenfurt zu "Haiders Kampfansage", seinem "Marsch auf Wien" oder zu "Wie er Kanzler werden will" hochzustilisieren.
Da kam das Ortstafel-Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) gerade recht. Das war ganz nach dem Geschmack Haiders: eine Institution des "alten Systems" par excellence, eine zumal, die er bislang noch nicht sturmreif zu schießen sich angeschickt hatte. Anders aber als etwa bei Sozialpartnerschaft oder ORF ging und geht es hier ums Eingemachte: um das Prinzip des Rechtsstaats. Wie nie zuvor wurden hier die Bruchlinien zwischen westlichen demokratischen Standards und Haiders Politikverständnis deutlich. Zuletzt gab sich der Kärntner Landeshauptmann im Ton versöhnlicher - vielleicht entschuldigt er sich "meinetwegen" ja sogar bei Ludwig Adamovich -, aber die Grundfrage nach dem Stellenwert von Höchstgerichten und ihren Urteilen, die Haider offenbar in einer mit dem Rechtsstaat kaum kompatiblen Weise zu beantworten beliebt, die bleibt.
Kaum weniger verantwortungslos ist das freiheitliche Vorgehen gegen Temelín, wenngleich hier nicht dermaßen an den Grundfesten gerüttelt wird wie im Falle des VfGH. Schamlos ist hier in besonderer Weise die "rot-weiß-rote" Übertünchung des derzeit laufenden Volksbegehrens, initiiert von drei FP-Provinzfürsten, durch die Kronen Zeitung, die in einer schwerstes Geschütz auffahrenden Kampagne seit Monaten übelste Stimmungsmache betreibt.
Psychologisch mag man das mit dem bevorstehenden Wechsel an der Spitze der Krone erklären: Es scheint, dass es Hans Dichand noch einmal wissen will; in seinem unerfindlichen Ratschluss dürfte er erwogen haben, dass dies sein letzter Kampf sein möge.
Dieser lässt sich freilich auch als potentielle Entscheidungsschlacht in dem einen großen Kampf der Krone gegen Wolfgang Schüssel interpretieren. Dichand selbst legt diese Sichtweise nahe: In einem ungewöhnlicherweise bereits auf Seite 1 beginnenden Kommentar in der Ausgabe vom letzten Sonntag prognostiziert "Cato" dem Kanzler den Verlust der Macht nach den nächsten Wahlen - schuld daran werde aber nicht die Kronen Zeitung gewesen sein, "sondern Schüssels seltsamer Ehrgeiz, gegen die Mehrheit der Österreicher zu regieren".
Schüssel - Dichand
Dass Dichand sich selbst und sein Blatt mit der "Mehrheit der Österreicher" in eins setzt, ist nicht nur ihm anzulasten, sondern auch Legionen von Politikern, die sich dementsprechend verhielten. Von Wolfgang Schüssel wird bleiben, dass er sich diesem - im Gewande charmanter Altherren-Freundlichkeit daherkommenden - brutalen Machtanspruch nicht zu beugen bereit war: nicht bei der Bildung der Regierung, nicht beim ORF, nicht bei Temelín. Damit hat er de facto bereits die Macht der Krone - ja, hier hat das Wort seine Berechtigung - zurecht gestutzt. Das gilt auch dann, wenn das Volksbegehren der von FP und Krone gewünschte Erfolg werden sollte. Dass man sich in diesem Fall eine Rückkehr zur gedeihlichen politischen Tagesarbeit nur schwer vorstellen kann, steht auf einem anderen Blatt.
Die angespannte Lage lässt sich auch an den blank liegenden Nerven im ORF erkennen. Wie ein Seismograph registriert dieses Leitmedium des Landes polit-tektonische Verschiebungen. Nein, die Wahl Monika Lindners zur Generaldirektorin war nicht eben das Signal für einen "ORF neu". Bedenkt man die Emphase, all die großen Worte, die das Werden des neuen ORF-Gesetzes begleitet haben, so drängt sich der Spruch von den kreißenden Bergen und dem Mäuslein auf. Gleichwohl hat Lindner in ersten Interviews gute Figur gemacht, nun bleibt abzuwarten, wie die Ebenen darunter besetzt werden.
Ihre Reaktion auf eine Analyse zur Causa Haider-VfGH von Hanno Settele in der ZIB1 als Kotau vor der Koalition zu deuten, ist gewagt: Die "Analyse", die ein glatter Kommentar war, ging weit über die Grenzen dessen hinaus, was der ORF bislang von Lendvai, Löw, Kössler, Freund & Co unter diesem Titel brachte. Mehr hat Lindner auch nicht gesagt. Was nichts daran ändert, dass - der als FP-nahe oder wenigstens -verträglich geltende - Settele inhaltlich völlig Recht hatte.
Der muss sich nun von Haider in Interviews gönnerhaft als dummer Bub abqualifizieren lassen: Hat halt einen Blödsinn gemacht, der; bin dem Hanno aber nicht böse, haben ja auch schon das eine oder andere Bier miteinander getrunken. Na dann. In solchen Äußerungen wird deutlich, dass sich Haiders Begriff vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht wesentlich von seinem Justizverständnis unterscheidet.
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