Das Gespräch führte Sylvia Einöder
Korruption und Postenschacherei, Stillstand und Lügen - das verbinden viele Bürger mit Politik. Gerade heuer - in Zeiten des Wahlkampfes und der Regierungsbildung - ist die Glaubwürdigkeit der Politik besonders auf die Probe gestellt. Doch wie konnte soviel Sand ins Politik-Getriebe kommen? Vertragen sich Politik und Moral grundsätzlich nicht?
Die Furche: Herr Schelkshorn, Sie bezeichnen die Kultur des Dialogs als "Ferment der Demokratie“ und Sie schreiben: "Argumente müssen stets der Suche nach Wahrheit dienen. Sie dürfen nicht als Mittel für strategische Interventionen missbraucht werden.“ Ist Politik also moralisch völlig jenseitig? Hans Schelkshorn: Der Titel dieser Podiumsdiskussion - "Wieviel Moral verträgt die Politik?“ - setzt voraus, dass Politik moralfrei ist, und man die Moral erst hineinbringen muss. Das halte ich für problematisch. Wenn man Politik mit moderner Demokratie gleichsetzt, baut die Politik auf normativ gehaltvollen Prinzipien auf. Dazu gehört eine Argumentationskultur des ständigen Hinterfragens. Für Politiker oder Parteien ergibt sich daher eine Verantwortung für die Demokratie. Sie sollten unabhängig von ihren eigenen Standpunkten diesen Raum des offenen Diskurses mitverantworten. Da kann es gar nicht genug Moral geben.
Die Furche: Politiker geraten im Alltag oft in ambivalente Situationen: Die vielen Verlockungen und narzisstischen Verführungen, die Einsamkeit der Macht, die unglaubliche Reizdichte, der Klubzwang. Sind die moralischen Ansprüche an Politiker heute unerfüllbarer denn je?
Regina Jankowitsch: Nein, ich glaube, die Ansprüche sind gleich geblieben. Es ist nur transparenter geworden, was Politiker tun. Im Internet ist binnen kürzester Zeit alles für jeden zugänglich. Politiker ist man heutzutage 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. Da kann man in Wirklichkeit nie Privatperson sein. Wo immer man ist, hat man Ansprüchen gerecht zu werden. Der Druck auf die Leute ist größer geworden, der moralische Anspruch nicht.
Die Furche: Frau Echerer, Sie sind als Schauspielerin 1999 ins Europa-Palament eingezogen. Der französische Regisseur Luc Besson hat gesagt: "Politiker sind Schauspieler ohne Drehbuch und ohne Regisseur.“ Wie haben Sie diesen Rollenwechsel erlebt?
Mercedes Echerer: Man hat mich oft gefragt: "Das ist ja eh nur Theater im Parlament, da müssen Sie sich eh wohlfühlen?“ Das waren teils zynische und naive Kommentare, weil man ein Parlament nicht als wahrhafte Abbildung der politischen Arbeit verstanden hat. Ich muss das widerlegen. Die beste Rollendarstellung hätte nichts genutzt, wäre ich nicht authentisch gewesen und hätte ich nicht gelernt, sachlich zu argumentieren. Ich habe anfangs in Brüssel gleich einen Rat mitbekommen: "Bitte sagen Sie nichts, wenn Sie nichts zu sagen haben. Wir haben sehr wenig Zeit und arbeiten sehr hart.“ Das kann ich nur bestätigen.
Die Furche: Politiker haben die unterschiedlichsten Werdegänge. Manche Parlamentarier haben nur einen Pflichtschul-Abschluss. Was sind heutzutage Kriterien für eine gute politische Qualifikation?
Jankowitsch: Erstens müssen Politiker Menschen lieben. Sie müssen mit Menschen gerne und vielseitig zu tun haben wollen. Außerdem ist dieser Job verdammt anstrengend und mühsam von A bis Z. Man ist den ganzen Tag von Menschen unterschiedlichen Ansinnens umgeben. Denen qualifiziert und konstruktiv zu begegnen, ist verdammt schwer, wenn man das nicht gerne macht. Und man sollte unbedingt gerne im Rampenlicht stehen wollen und das nicht als unanständig abqualifizieren.
Die Furche: Von verschiedenen Seiten wird nun die Forderung laut: Leute sollten nicht ein Leben lang Berufspolitiker sein und ihr politisches Amt nicht als Versorgungsposten sehen. Würden kürzere Politiker-Karrieren die Moral stärken?
Echerer: Es wäre gut, nicht zu lange im selben politischen Bereich zu arbeiten. Eine berufliche Erfahrung mitzubringen, halte ich für ganz wichtig. Politiker, die nie erlebt haben, einmal arbeitslos zu sein, den Job vielleicht nicht zu bekommen, im Studium einmal durchgefallen zu sein - das sind Erfahrungen, die fehlen Politikern aus den Kaderschmieden und machen überheblich.
Jankowitsch: Alles, was man 40 Jahre lang macht, kann nicht mit der gleichen Intensität und Begeisterung gemacht werden. Gerade in der Politik stellen sich die Verschleißerscheinungen früher ein. Deswegen sollte Politiker ein Beruf auf Zeit sein. Die Leute sollten einen Beruf beherrschen, um nach der Zeit in der Politik unabhängig von der Partei woanders unterkommen zu können.
Die Furche: Frau Echerer, was muss man denn mitbringen, um als Politikerin zu bestehen und den Job bestmöglich zu machen? Echerer: Man braucht einerseits eine harte Haut, andererseits eine große Sensibilität. Ich musste lernen, mir Kritik nicht so zu Herzen zu nehmen, aber dennoch offen zu bleiben für Kritik. Als Schauspielerin kenne ich diese Schwierigkeit: Du wirst in Grund und Boden kritisiert, gehst aber am nächsten Tag wieder auf die Bühne und musst dein Herz öffnen. Das ist wahnsinnig schwierig.
Die Furche: Zum Thema Rücktritt in der Kirche: Die evangelische Bischöfin Margot Kässmann ist nach ihrer alkoholisierten Autofahrt sofort zurückgetreten. Der katholische Bischof Tebartz-van Elst ist trotz Finanz-Skandal noch immer im Amt und lässt die Kirchenaustritte steigen. Haben Evangelische oder Deutsche oder Frauen einen demütigeren Zugang zur Macht?
Schelkshorn: In der katholischen Kirche kann ich mich an wenige Rücktritte erinnern. Der Papst war ein prominentes Beispiel, wobei wir hier noch immer nur Vermutungen anstellen. Aber zum Unterschied zwischen Österreichs und Deutschlands politischer Kultur: Was mich als Student in den Achtzigerjahren tief beeindruckt hat, war der Rücktritt des deutschen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger nach einer Rede, die missverstanden wurde als eine Affirmation des Nationalsozialismus. Das war ein großer Kontrast zu dem, was ich hierzulande erleben musste zu Haiders Zeiten. Da haben wir in Österreich noch einen langen Weg vor uns.
Die Furche: Frau Echerer, warum sind Sie nach fünf Jahren aus der Politik ausgestiegen, und wie haben Sie den Rückzug erlebt?
Echerer: Ich habe gemerkt, dass mich die Politik verändert, dass mir eine gewisse Fragilität abhanden kommt, die die Schauspielerei von mir verlangt. In der Politik werden schnelle Lösungen erwartet. In der Kunst ist das Gegenteil der Fall. Man muss scheitern dürfen, Umwege gehen, um sich zu entwickeln. Außerdem habe ich meine Kinder und meinen Mann viel zu selten gesehen. Damals hatten wir im Parlament eine Scheidungsrate von 70 oder 80 Prozent, und ich wollte nicht zu dieser Gruppe gehören.
Die Furche: Ist der Zeitdruck in der Politik ein Hauptgrund, warum zuwenig nachhaltig und präventiv gearbeitet wird?
Echerer: Dieser mediale Druck, es müssten sofort Lösungen parat sein, ist eine große Gefahr. Man hat keine Lösung, also gibt man eine Studie in Auftrag, die solange verändert wird, bis der Auftraggeber zufrieden ist. Und bis die Studie fertig ist, ist das Thema vielleicht schon wieder vom Tisch. Was mich auch wahnsinnig ärgert: Von Wahlkampf zu Wahlkampf verknappen wir die Aussagen immer mehr. Es reicht schon der Name eines Politikers als Ersatz für ein Parteiprogramm. So schaffen es gewisse Kräfte, eine unzufriedene Wählerschaft abzuholen, die nicht die Zeit und Kompetenzen hat, sich eine fundierte Meinung zu bilden.
Schelkshorn: Die Argumentationskultur wird nicht nur von den politischen Akteuren vernachlässigt, sondern auch von den Medien. Mir ist das bei den vielen Politiker-Diskussionen in diesem Wahlkampf stark aufgefallen. Was mich wirklich irritiert hat, waren die Analysen danach: Da wurde eine Debatte wie ein Fußballmatch kommentiert: Wer hat einen Pass gut aufgenommen oder pariert? Diese Kommentare transportieren ein bestimmtes Bild von Politik: Es kommt bloß auf strategische Interventionen an. Da war einer ORF-Sendung nicht bewusst, was sie mit dieser Kommentar-Kultur an politischer Kultur zerstört.
Die Furche: Wie haben Sie die Wahl-Berichterstattung abgesehen vom ORF erlebt?
Schelkshorn: Auch in den Zeitungen war dann nur das Taferl von Glawischnig oder ein einziger provokanter Sager das Hauptthema. Was für mich besonders absurd ist: Bei den Kommentatoren sind immer mehr Unternehmen vertreten, die die Politiker ja selbst auf den Wahlkampf vorbereiten. Die Leute, die diese Inszenierung coachen, kommentieren quasi ihre eigenen Ergebnisse. Ich würde mir aber zu den Sachargumenten Kommentare wünschen, nicht zur Performance. Das ist bei ARD ganz normal.
Echerer: Kurz vor den Wahlen gibt es zwar eine geballte Ladung an Diskussionen. Ein öffentlich-rechtlicher Sender sollte der Bevölkerung aber kontinuierlich mehr politische Debatten anbieten, auch wenn die Einschaltquoten nicht so hoch sind.
Die Furche: Bei den TV-Duellen haben manche Spitzenkandidaten sehr gecoacht gewirkt. Wie authentisch können Politiker in der Mediengesellschaft überhaupt noch sein - vom Stil her, aber auch inhaltlich? Jankowitsch: Sehr. Authentizität hat damit zu tun, dass man sich im Vorfeld eines Auftrittes klar wird: Was will ich transportieren? Dann lasse ich mich beraten, trainieren oder coachen. Wenn es wichtig ist, einen Standpunkt in einer halben Minute zu erklären, ist das eben eine mediale Spielregel.
Schelkshorn: Für die Grundprinzipien der Demokratie hat jeder Politiker eine Mitverantwortung. Ich halte es für höchst problematisch, wenn etwa Silvio Berlusconi die italienische Justiz wie einen Parteigegner beschimpft. Auch mit dem FPÖ-Wahlkampf "Liebe deine Nächsten“ wurde ein demokratisches Grundprinzip, die Universalität der Menschenrechte, zumindest in ihrem Geltungsbereich eingeschränkt. Auch Andreas Khol hat ein Demokratie-Prinzip vertreten, das ich für eine reduzierte Form der Demokratie halte: Wir diskutieren im Parlament nicht über unsere Überzeugungen, sondern bloß über Kompromisse.
Jankowitsch: Wie moralisch sind denn Wähler, wenn sie unmoralische Politiker wählen? Welche Verantwortung tragen wir selbst? Wir sollten uns davor hüten, immer auf andere Berufsgruppen wie Politiker oder Journalisten zu zeigen. Lesen Sie die Postings der Leser im Internet, auch von Qualitätszeitungen: Wie verachtend da über Andersdenkende hergezogen wird! Jeder sollte in seinem Umfeld unmoralisches Verhalten ansprechen, auch wenn es mühsam ist.
Die Furche: Zum Thema Politik und Geld: Frank Stronach hat zirka 23 Millionen Euro investiert, Hans-Peter Haselsteiner hat jede Parteispende an die Neos verdoppelt. Die Grünen haben jetzt eine Spenden-Obergrenze von 500.000 Euro gefordert. Sind reiche Private eine demokratiepolitische Gefahr - wer das Geld hat, macht die Regeln? Echerer: Man sollte über Wahlkampfkosten generell nachdenken. Wieso geben die Parteien soviel Geld für den Wahlkampf aus? Natürlich kann eine Parteispende wahnsinnig hilfreich sein für jemanden, der noch unbekannt ist. Aber natürlich liegt da auch eine demokratiepolitische Gefahr.
Die Furche: Der Psychologe Karl Kriechbaum schreibt in seinem Buch "Der korrupte Mensch“, dass Korruption vor allem ein männliches Phänomen sei. Nun ist nur ein Drittel der Abgeordneten im Parlament weiblich. Würden mehr Frauen in der Politik die moralischen Ansprüche heben?
Jankowitsch: Ich weiß es nicht. Ich kenne auch Frauen, die nicht besonders anständig sind. Die Art, Politik zu machen, wäre aber sicher anders. Untersuchungen zeigen, dass Frauen in der Politik sachorientierter sind.
Die Furche: Wie könnte man das Niveau in der Politik heben?
Echerer: Da kommen wir nicht um die Bildungspolitik herum - die in Österreich auf eine sehr unanständige Art gehandhabt wird und seit 100 Jahren nicht aus den ideologischen Zugriffen der beiden Großparteien herauskommt. Vor der politischen Bildung sperren sich beide Großparteien, weil sie Angst haben vor einer Parteinahme in den Schulen - solange sie ihre Bildungspolitik nicht ändern, haben sie zu Recht Angst vor sich selbst.
Schelkshorn: Ein wesentlicher Bereich ist auch die Sozialpolitik. Wenn die Unterschiede zwischen Arm und Reich zu groß sind, haben wir laut Platon zwei Staaten, die Identifikation mit dem Gemeinwesen zerfällt. Und die Konzentration der Medienkonzerne kann die Demokratie auch karikieren.
Die Furche: Nochmal zur Bildungspolitik: Welche Rolle spielt der Ethikunterricht?
Echerer: Ich möchte zwei Sprüche zitieren: "Wir sind gelernte Österreicher.“ Und aus der jüdischen Kultur den Spruch: "Du hast ein Leben lang Zeit, Mensch zu werden.“ Ich glaube, nach dem Ethik-Unterricht gibt es eine große Sehnsucht. "Nach oben buckeln, nach unten treten“ - das haben wir Österreicher noch immer ein bisschen drin. Wir dürfen keine Fehler machen, Kritik hat einen schlechten Geruch, etc. Das kommt aus einer Kultur, die längst vorbei ist. Solange das Fremde uns aber Angst macht, werden wir uns dem nicht stellen können. Deswegen sollte der Ethik-Unterricht auch zusätzlich zum Religionsunterricht verpflichtend sein.
Schelkshorn: Wir entwickeln an der katholisch-theologischen Fakultät gerade ein Modell, wo sowohl der Ethikunterricht als auch ein interreligiöser Religionsunterricht verpflichtend sind. In einer Demokratie müssen wir lernen, mit allen sprechen zu können, mit religiösen und säkularen Bürgern. Für einen Austausch muss es auf allen Seiten ein Mindestmaß an Informationen geben.
Tretet zurück!
Das Ende der Aussitzer und Sesselkleber
Von Regina Jankowitsch, ueberreuter 2013.
112 Seiten, broschiert, e 9,95
Die Diskutanten
Mercedes Echerer
Die Schauspielerin und Kabarettistin war auch politisch tätig: Zwischen 1999 und 2004 war Echerer Abgeordnete im Europa-Parlament für die Grünen - ohne Parteimitglied zu sein. Heute setzt sie sich in Projekten für politische Bildung an Schulen ein.
Hans Schelkshorn
Der außerordentliche Professor am Institut für christliche Philosophie der Uni Wien ist unter anderem spezialisiert auf Ethik und politische Philosophie. Weiters ist Schelkshorn Redaktionsleiter von Polylog - Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren.
Regina Jankowitsch
Die Autorin hat kürzlich "Tretet zurück! Das Ende der Aussitzer und Sesselkleber“ veröffentlicht. Jankowitsch hat Politik und Geschichte sowie "political leadership“ studiert und coacht seit 14 Jahren Führungskräfte aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.
Entgrenzungen.
Ein europäischer Beitrag zum Diskurs der Moderne,
Von Hans Schelkshorn, Velbrück 2009.
680 Seiten, gebunden,
* 44,90