Ein lehrreicher Wahnsinn
Kaum hatte sich die Nachricht vom inländischen BSE-Fall als Fehlalarm entpuppt, stand uns ein "Schweine-Skandal" ins Haus. Die Krise der Landwirtschaft wird unübersehbar.
Kaum hatte sich die Nachricht vom inländischen BSE-Fall als Fehlalarm entpuppt, stand uns ein "Schweine-Skandal" ins Haus. Die Krise der Landwirtschaft wird unübersehbar.
Seit Jahren seien tonnenweise illegal Hormone, Antibiotika und Impfstoffe an Bauern verkauft worden. Die Mittel beschleunigen zwar das Wachstum der Tiere und beugen Epidemien in überbelegten Ställen vor, wirken sich aber auf den Verbraucher nachteilig aus: "Die Gefahr, in einem Krankenhaus wegen Antibiotika-Resistenzen nicht mehr wirkungsvoll behandelt werden zu können und deshalb zu sterben, ist mit Sicherheit größer als jene, sich die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zu holen", stellt der Chef-Tierarzt der Bayer-Werke Austria, Holger Uhlig, im "Spiegel" fest.
Die "Zentralstelle zur Bekämpfung der Umweltkriminalität" ist eingeschaltet. Man wird die "schwarzen Schafe" zur Rechenschaft ziehen. Kehrt dann wieder der Alltag ein? Nein, denn "BSE & Co" sind nicht einfach nur Pannen in einem gut funktionierenden System. Europas Landwirtschaft ist seit Jahren ein Sorgenkind.
Da ist der enorme Druck, durch Preissenkung die Überschussproduktion einzudämmen. Zwar hatte die EG-Kommission 1991 noch in einem Grundsatzpapier festgehalten, es gehe darum, "eine ausreichend große Zahl von Landwirten zum Bleiben zu bewegen". Denn "es gibt keinen anderen Weg, um die Umwelt, eine in Jahrtausenden geschaffene Landschaft und das Modell einer durch den bäuerlichen Familienbetrieb geprägten Landwirtschaft zu erhalten."
Tatsächlich aber geht das Bauernsterben weiter. Pro Tag geben 500 EU-Bauern auf. Und in Österreich ist zwischen 1995 und 1999 die Zahl der Betriebe um fast zehn Prozent gesunken. Im ganzen Land gibt es nur mehr rund 80.000 Vollerwerbsbetriebe. Effizientere Produktion in größeren Einheiten ist gefragt, um am Markt bestehen zu können. Nur geht das vielfach auf Kosten der Produktqualität.
"Produzieren die Bauern nach gesellschaftlich akzeptierten Methoden, haben sie auf dem Markt schlechte Karten; produzieren sie aber so, dass sie am Markt bestehen können, schwindet die gesellschaftliche Akzeptanz", so kennzeichnet "Die Zeit" das Dilemma der Landwirtschaft. In diese Zwickmühle muss die Landwirtschaft geraten, weil sie an der Schnittstelle zwischen Naturgesetzmäßigkeiten und wirtschaftlicher Logik agiert.
Unter dem Zwang einer auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaft heißt es auch für die Landwirtschaft: Je mehr Ertrag pro Hektar, je rascher die Sau auf ihrem Gewicht, umso besser. Agro-industrielle Produktionsweisen werden vielfach forciert: Vom Umfeld möglichst unabhängige Verfahren, hoher Energieeinsatz, massive Eingriffe in die Umwelt, die viele Nebenwirkungen haben. So versucht die Landwirtschaft, die "Leistung" von Pflanzen und Tieren zu optimieren.
Allerdings lassen sich Lebewesen nicht grenzenlos manipulieren. Sie reagieren mit Krankheiten und unvorhergesehenen Veränderungen, die auch technisch nicht nach Belieben beherrschbar sind, ja die Wissenschaft immer wieder vor neue Rätsel stellen. BSE - von dem wissenschaftlich nach wie vor nicht wirklich geklärt ist, wie es entstanden ist und welche Gefahr für den Menschen von ihm ausgeht - ist ein typisches Beispiel dafür. Und es ist ein weiteres Signal dafür, dass eine Neuausrichtung der Agrarpolitik überfällig ist.
"Doch ist die Agrarwende schwerer, als populistische Parolen glauben machen", warnt "Die Zeit". Stimmt. Aber wer kommt auf die Idee, dass eine so grundsätzliche Wende, wie sie ein nachhaltiges Wirtschaften gegenüber dem derzeitigen Raubbau darstellt, leicht über die Bühne gehen könnte?
Dennoch sollte man jetzt unter dem Eindruck der BSE-Krise die Weichen neu stellen. "Es geht darum, mit der vielzitierten Nachhaltigkeit Ernst zu machen", erklärte EU-Agrarkommissar Franz Fischler vorige Woche anlässlich der Eröffnung der "Grünen Woche". Nichts wirklich Neues, wenn man bedenkt, dass der Brundtland-Report 1987 erstmals Nachhaltigkeit, also ein Wirtschaften, das die Substanz erhält, einmahnte.
Für die Agrarpolitik heißt das Forcierung des Biolandbaus, eine Weichenstellung, die es ansatzweise in Europa mit der Agenda 2000 schon gibt. Nur haben die meisten EU-Länder - Österreich ist da eine rühmliche Ausnahme - so gut wie nichts in diese Richtung unternommen. Jetzt gilt es: * Mindeststandards für ein umwelt- und artgerechtes Wirtschaften festzulegen, * die Bodenfruchtbarkeit und die Grundwasserqualität zu erhalten oder wiederherzustellen, * den Einsatz von Unkraut- und Insektenvertilgungsmitteln sowie von Kunstdüngung zu reduzieren, * das Vieh artgerecht zu halten, * dafür zu sorgen, dass der Konsument erkennen kann, woher Lebensmittel kommen und wie sie erzeugt wurden.
Gefordert ist damit eine Art des Wirtschaftens, die den natürlichen, lokalen Gegebenheiten Rechnung trägt. Sie kann selbstverständlich nicht mit maximalen Erträgen rechnen. Diese sind jedoch in einer Zeit der Überschussproduktion auch keineswegs gefragt. Weniger Ertrag pro Fläche und weniger rasch "hochgepushte" Säue und Kälber, dafür aber ein besserer Preis für die qualitativ höherwertige Ware, ist der eigentlich logische Ausweg aus der jetzigen Krise. Und man sage nicht, der Konsument könne sich das nicht leisten, gibt er doch derzeit nur rund 13 Prozent seines Einkommens für Nahrungsmittel aus.
Und noch eines sollte bedacht werden: Die sich in der Landwirtschaft aufdrängende Notwendigkeit einer Neuorientierung sollte Vorbildcharakter für unser gesamtes Wirtschaften haben. Den natürlichen Gegebenheiten muss man Rechnung tragen, Stoffströme massiv reduzieren und im Kreislauf führen, sich auf die Nutzung solarer Energie ausrichten, sich den örtlichen Gegebenheiten anpassen, auf die Einführung riskanter Technologien im großen Stil verzichten.
An Alarmsignalen, die eine solche Wende nahe legen, mangelt es nicht. Erst Montag warnte ein neuer UN-Bericht vor einer schnelleren und "potenziell katastrophalen globalen Erwärmung" bis zu 5,6 Grad im nächs-ten Jahrhundert. "Wir sollten kühn mit sauberen Energietechnologien voranschreiten," forderte Klaus Töpfer, Direktor des Umweltprogramms. Jetzt muss dieser Appell bei der nächs-ten Klimakonferenz nur noch auf fruchtbaren Boden fallen.
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