„Eine andere Wirtschaft ist möglich“

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In Steyr steht ein Denkmal zu Ehren der Industrielegende Josef Werndl mit der Inschrift „Arbeit ehrt!“. Einen Steinwurf von der Inschrift entfernt sprach der Philosoph Frithjof Bergmann bei der Attac-Sommerakademie über seinen Begriff der Arbeit – und zwar der Neuen Arbeit.

Die Furche: Herr Professor Bergmann, in diesem Kulturkreis wird unter Arbeit einzig die Lohnarbeit verstanden. Mehr noch, diese Art von Arbeit gilt als unumstößlich. Sie gehen aber davon aus, dass diese Art von Arbeit zu einem Ende kommen wird …

Bergmann: Ich gehe nicht so sehr davon aus, dass die Lohnarbeit zu einem Ende kommen wird, als dass ich der Überzeugung bin, dass die Lohnarbeit nicht mehr das Monopol haben wird. Die Identifikation von Arbeit mit Lohnarbeit ist am Ende. Es werden andere Arten von Arbeit hinzukommen.

Die Furche: Immer mehr Menschen werden also das tun können, was sie wirklich, wirklich wollen …

Bergmann: Dieser Ausdruck wurde zu einem geflügelten Wort, was zum einen ein Segen, aber zum anderen auch ein Fluch ist, denn die Grundidee wurde von Anfang an – also bereits in den 1980er Jahren – missverstanden. Es geht nicht darum, dass man immerzu nur das tut, was man wirklich will. Das wäre ja entsetzlich. Die Idee ist die, dass es auf der Basis einer anderen Wirtschaft möglich werden wird, dass man zum Teil das tun kann, was man wirklich will. Und erkennen, wozu man überhaupt auf der Welt ist. Darauf hat man ein Menschenrecht.

Die Furche: Bedeutet diese Neue Arbeit, von der Sie sprechen, also nur, dass die Lohnarbeit weniger wird?

Bergmann: Nicht nur das. Nur in einer neuen Wirtschaft wird es möglich sein, die Neue Arbeit umzusetzen. Der technologische Fortschritt wird dazu führen, dass die Konsumgüter nur mehr eine untergeordnete Rollen spielen werden. Und deren Produktion wird nur wenige Arbeitsstunden pro Woche in Anspruch nehmen. Neben dieser Lohnarbeit wird es noch die „befreiende Arbeit“ geben, die die Grundlage schafft, auf der man dann das machen kann, was man wirklich will. Das ist gar nicht so viel anders als bei einem Maler oder einem Dichter. Ein Beispiel ist auch Kafka, der für eine Versicherung arbeitete, um „Das Schloss“ schreiben zu können. Und dass es hierzu einer neuen Wirtschaft bedarf, wird oft vergessen oder ganz einfach nicht erwähnt.

Die Furche: Aber wie soll diese neue Art von Wirtschaft entstehen?

Bergmann: Es geht um eine Weiterentwicklung in eine neue Richtung: Es geht nicht darum, ein Jobsystem zu flicken, so wie man einen Schuh mit einem Stück Leder flickt. Es geht um etwas ganz Neues. Hierzulande glaubt man immer noch, dass man alle Kraft und Ressourcen darin stecken muss, um Konsumgüter zu produzieren – Stichwort Vollbeschäftigung. Dabei ist selbst in Österreich eine Wirtschaft möglich, in der das Materielle eine untergeordnete Rolle spielt. Auch wenn man sich hier – trunken vom Erfolg – noch nicht vorstellen kann, dass der Neoliberalismus nicht das Ziel ist. Wie bereits erwähnt, ist für eine Umgestaltung der Wirtschaft neue Technologie notwendig. Das kann eine ganz einfache sein, wie zum Beispiel die Idee der vertikalen Agrikultur. Hierbei wird Gemüse in Behältnissen übereinander angebaut. Dies spart sehr viel Wasser und bietet sich für wasserknappe Regionen an, wo die herkömmliche Anbaumethode (horizontal) nur dazu führt, dass beim Auftreffen auf die heiße Erde sehr viel Wasser verdunstet.

Die Furche: Das klingt ganz nach Entwicklungshilfe.

Bergmann: Ich würde es eher „Social Responsibility“ nennen. Wir haben die Firma „Lift Africa Technologies“ gegründet und bieten Investoren an, ihr Geld über uns in Afrika zu investieren. Somit werden nicht nur Projekte mit der vertikalen Agrikultur realisiert, sondern auch Wasserfilter installiert, was das Leben von vielen Menschen rettet, und es gibt Projekte mit Fabrikatoren. Dieses Unternehmen ist wettbewerbsfähig und führt Produkte ein, die die Armut bekämpfen können. Natürlich wird das eingebrachte Geld mit einer Rendite zurückbezahlt.

Die Furche: Können Fabrikatoren auch komplizierte Produkte erzeugen?

Bergmann: Heute gibt es bereits Fabrikatoren, die 50 verschiedene Substanzen zu einem Produkt zusammenfügen können. Man kann sich das am besten wie einen 3D-Drucker vorstellen.

Die Furche: Klingt nach Star Trek …

Bergmann: Und das ist es überhaupt nicht mehr. Andreas Gebhard von der Aachener TU hat ein Unternehmen mit Fabrikatoren aufgebaut und stellt damit Autoteile für BMW und VW her.

Die Furche: Um auf das Wollen zurückzukommen. Haben Sie immer das getan, was Sie wirklich wollten?

Bergmann: Selbstverständlich nicht! Ich habe auch Teller gewaschen und habe mir mein Leben als Preisboxer verdient. Das ist zwar nichts, auf das ich mächtig stolz bin, aber ich habe es 43-mal gemacht, und ich habe gut dabei verdient. Und natürlich habe ich auch blöde Aufsätze korrigiert. Ich habe alles andere als ausschließlich das getan, was ich wollte. Aber es stimmt, dass ich drei bis vier Mal in meinem Leben eine Entscheidung getroffen habe, die meine Umgebung nicht verstanden hat. Nach einem Jahr als junger Professor in Princeton habe ich zum Entsetzen meiner Freunde gekündigt und bin in den Wald gezogen. Weil das dem näher kam, was ich wirklich wollte. Verwöhnten Fratzen von reichen amerikanischen Familien über Dostojewski und Camus zu erzählen, ist nun nicht etwas, was man wirklich will. Ich kam mir damals so sinnlos vor wie kaum seither in meinem Leben.

Die Furche: Bricht man heute aus dem System der Lohnarbeit aus, um das zu tun, wofür man sich berufen fühlt, so kommt oft der Vorwurf, man sei faul oder egoistisch.

Bergmann: Wenn ich Menschen frage, was sie wirklich tun wollen, dann antworten sie mir meist, dass sie etwas Sinnvolles mit ihrem Leben machen möchten, dass sie etwas verändern möchten, dass sie etwas tun möchten, was mit anderen Menschen zu tun hat. Und das ist alles andere als egoistisch. Ich kenne viele Menschen um die 75, die noch nie in ihrem Leben etwas getan haben, was sie wirklich wollten. Und da kann man nur sagen, es wird Zeit! In Zentraleuropa muss Arbeit hart und schwer sein, und sie muss weh tun. Dabei ist belegbar, dass jene Betriebe, die materiell erfolgreich sind, gerade jene sind, deren Mitarbeiter die Möglichkeit haben, ihre Talente ins Spiel zu bringen. Und ich meine hier Firmen wie Google oder Apple. Wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit hat damit zu tun, dass die Mitarbeiter ihre Arbeit als etwas erleben, das ihnen Freude bereitet.

Die Furche: Neben dem Begriff der Neuen Arbeit haben Sie auch den Begriff der Neuen Kultur geprägt.

Bergmann: Und auch der wurde oft missverstanden: dass die Neue Arbeit nämlich nur ein Teil der Neuen Kultur ist. Es gehört zur Entwicklung hin zum Menschen dazu, dass man sich fragt ob die Arbeit, der man nachgeht, auch wirklich das ist, was man tun will. Und das ist eine schwierige Entwicklung. Dazu braucht es auch eine neue Art der Bildung. Die Bildung soll den Menschen helfen herauszufinden, welche Tätigkeit ihrem Leben Sinn gibt. Viel von der Arbeit war früher langweilig: Zur Schule zu gehen war auch langweilig. Dadurch erfüllten die Schulen eine wichtige Funktion, sie haben den Menschen an lange Strecken von Langeweile gewöhnt, und somit waren die Schüler für die Arbeitswelt vorbereitet. Die Arbeit hat sich aber verändert, und deshalb brauchen wir jetzt von Grund auf andere Schulen: Nicht Schulen, die die Schüler einschläfern, sondern Schulen, die sie aufwecken!

Das Gespräch führte Thomas Meickl.

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