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Eine Antwort auf die Euthanasie

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Wien, 17. Bezirk, Krankenhaus „Zum göttlichen Heiland”, zweiter Stock rechts. Keine Station wie jede andere. Eine weit offene Tür lenkt von der in Augenhöhe angebrachten Aufschrift ab: „Hospiz” steht hier in großen Lettern.

„Wir sind keine Pflege- und Sterbestation”, grenzt sich Michael Preit-schopf, ärztlicher Leiter des Hospizes sowie Oberarzt in der Internen Abteilung, von der nicht selten vorkommenden falschen Interpretation, wonach hier schwerkranke Menschen bis zu ihrem Tod gepflegt werden, ab. „Es ist unser Ziel, die Iebensqualität von Schwerkranken und Sterbenden zu optimieren”. Hierzu werden drei Kriterien beachtet. Schmerzfrei, angstfrei, geborgen so sollen die Menschen hier leben können.

In der Regel finden im Hospiz Krebs-Patienten Aufnahme, denen aufgrund der medizinischen Befunde keine Aussicht mehr auf I Ieilung gegeben wird, bei denen jede Therapie versagt und die deswegen häufig aus den Spitälern als „unheilbar” entlassen werden. Genau an diesem Punkt setzt die Palliativmedizin (das lateinische Wort „palliare”, heißt „bedecken, verbergen”) an. „Wir versuchen nicht, die Krankheit des Patienten zu heilen, sondern die Symptome zu behandeln”, erklärt Preitschopf. In einem ersten Schritt werden die körperlichen Schmerzen bekämpft. „Jeder Patient bekommt eine maßgeschneiderte Schmerztherapie.” Die Therapie mit Morphium als Basis hat eine hohe Erfolgsquote - sprich: Schmerzlosigkeit - von 80 bis 90 Prozent.

Die zweite Komponente der Betreuung dient dazu, daß der Patient sich geborgen und nicht alleine gelassen fühlt. Dabei arbeitet das Hospizteam, wenn möglich, zusammen mit den Angehörigen. Das Team, das sich aus drei Ärzten, 15 Schwestern, einer Sozialarbeiterin und einer Reihe von ehrenamtlichen Mitarbeitern zusammensetzt, sorgt für eine individuelle und persönliche Betreuung. So ist eine Schwester für nicht mehr als zwei Patienten zuständig. Auch die übliche tägliche Visite im Krankenzimmer, die von vielen Patienten als bedrohlich und als die Intimsphäre verletzend empfunden wird, ist in einen anderen Raum verlegt, wo das Team dreimal täglich das jeweilige Befinden der Patienten klärt.

Schließlich ist die Hilfe der Angehörigen unerläßlich. Sie haben rund um die Uhr die Möglichkeit, Patienten zu besuchen und können auch im Hospiz übernachten. Sie sollen in die Pflege soweit miteingebunden werden, daß sie sich um den Patienten kümmern können, ohne Angst, etwas falsch zu machen, erklärt Preit-schöpf. „Viele Menschen äußern den Wunsch, zu Hause zu sterben.” Jeder fünfte Patient des Hospizes kann in häusliche Pflege entlassen werden.

Schließlich spielt die geistliche Betreuung eine wichtige Rolle, denn gerade in der Endphase des Lebens stellen sich die - häufig verdrängten -Fragen nach Sinn und Ziel unseres Daseins mit großer Vehemenz. In „St. Raphael” - das Hospiz im „Göttlichen Heiland” ist nach dem Patron der Ärzte und Reisenden benannt -gibt es einen römisch-katholischen Geistlichen. Auf Wunsch kommen aber auch Priester anderer Religionen ins Haus. Die wiederholt gemachte Erfahrung des Arztes ist jene, „daß der Gläubige und Versöhnte leich-■ ter stirbt.” Werden Schwerkranke derart ganzheitlich betreut, kommt es manchmal zu einer erstaunlichen Verbesserung der Lage. „Bei so manchem kommt die Krankheit zum Stillstand”, weiß Preitschopf aus der Praxis.

Ein anderer Aspekt, der neues Licht auf die Euthanasiedebatte werfen könnte, ist jener, daß bei Patienten, die solchermaßen ganzheitlich behandelt werden, „die Frage nach der Euthanasie nicht mehr kommt”. Diese Erkenntnis des Mediziners aus der Praxis findet sich auch in der medizinischen Fachliteratur bestätigt. Insofern stellt die Palliativmedizin „eine Antwort auf die Euthanasie” dar.

Die positiven Erfahrungen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Hospizgedanke bei uns im Vergleich zum angelsächsischen Raum noch in den Kinderschuhen steckt. „St. Raphael” wurde erst vor vier Jahren als erstes stationäres Hospiz in Österreich eröffnet und weist eine Kapazität von neun Betten auf.

Daneben existieren in Österreich nur noch zwei Hospize, die ebenfalls in Wien sind: in Lainz gibt es eine Hospiz-Station mit 23 Betten, bei den Schwestern der „Caritas Socialis” stehen etwa zehn Plätze für Schwerkranke zur Verfügung. Das ergibt eine recht magere Ausbeute an Plätzen für Österreich. „Der deutschsprachige Raum ist noch nicht reif dafür”, klagt der Palliativmediziner über das Desinteresse und Mißtrauen, das noch immer in der Gesellschaft vorherrscht. Er appelliert sowohl an Mediziner als auch an Politiker, Sterben und Tod nicht länger zu tabuisieren, sondern sich zu bemühen, menschenwürdig damit umzugehen. „Es ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, wie wir mit den Sterbenden umgehen.” Es gehe nicht an, so Preitschopf, „daß wir um die wichtigste Phase unseres Lebens betrogen werden.”

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