Einsamkeit: "Betroffene schreien ihre Gefühle nicht heraus"
Soziale Isolation führt zu Stress. Und der macht krank. Dennoch plädiert der Psychiater Thomas Wochele-Thoma im FURCHE-Interview dafür, Einsamkeit zu entpathologisieren.
Soziale Isolation führt zu Stress. Und der macht krank. Dennoch plädiert der Psychiater Thomas Wochele-Thoma im FURCHE-Interview dafür, Einsamkeit zu entpathologisieren.
Scham oder Stigmatisierung gehen mit dem Gefühl von Einsamkeit einher. Gerade deshalb gilt es, mit dem Thema Einsamkeit sensibel umzugehen. In der FURCHE erklärt der Psychiater Thomas Wochele-Thoma, ärztlicher Leiter der Wiener Caritas, welche niederschwelligen Angebote es braucht, damit sich Betroffene Hilfe holen können – und warum ein systemübergreifendes Modell aus Großbritannien auch eine Option für Österreich wäre.
DIE FURCHE: Was ist der konkrete Unterschied zwischen dem Alleinsein und Einsamkeit? Und warum macht das eine krank und das andere nicht?
Thomas Wochele-Thoma: Alleinsein ist eine bewusst gewählte Zeit zum Innehalten. Lapidar gesagt, erlaubt es den Menschen, Abstand vom Alltagsgewusel zu gewinnen. Alleinsein ist also keineswegs krankheitswertig. Ganz anders verhält es sich mit der Einsamkeit. Auch wenn dieses subjektive Gefühl zunächst eine gesunde und angemessene Reaktion auf ein Nicht-Teilhaben-Dürfen ist. Entscheidend, ob Einsamkeit letztlich krank macht oder nicht, ist, wie ein Mensch mit ihr umgeht. Aber auch, wie lange sie andauert und ob sie als Eustress, also positiver Stress, oder Distress, das bedeutet negativer Stress, erlebt wird.
DIE FURCHE: Was genau meinen Sie damit?
Wochele-Thoma: Bestenfalls löst Einsamkeit Eustress aus, aus dem ein Suchen nach Kontakten wird. Derzeit ist das coronabedingt natürlich nicht leicht. Dem entgegengesetzt kann Einsamkeit in unserem Körper aber auch Distress auslösen. Die Folge: Blutdruck sowie Adrenalin- und Cortisolspiegel steigen an. Besteht dieses Stressniveau über längere Zeit, kann das zu chronischen Krankheiten führen. Noch problematischer wird es, wenn mit dysfunktionalen Bewältigungsstrategien auf diesen Zustand reagiert wird.
DIE FURCHE: Was wären Beispiele für solch problematische Strategien?
Wochele-Thoma: Es gibt Menschen, die sich verschließen, wenn sie sich einsam fühlen. Sie flüchten sich etwa in einen extremen Medienkonsum, um sich über den Tag zu retten. Ihre Einsamkeit wird dadurch noch größer, weil sie vorhandene soziale Kontakte vernachlässigen. Eine Negativspirale beginnt. Auch Suchtproblematiken sind häufig zu beobachten. Viele versuchen auch, das innerliche Unwohlsein, das vom Gefühl der Einsamkeit ausgelöst wird, durch Alkohol zu kompensieren .