Bereits 2002 hat das MIT Kursmaterial frei zugänglich gemacht. Andere Unis folgen nun nach.
Die Aktion schlug ein wie eine Bombe. Im September 2002 stellte das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) fünfzig Kurse online und machte damit sein elitäres Wissen erstmals öffentlich. Das Geschenk kam überraschend und war dennoch geschickt geplant. Eine interne Strategiegruppe hatte sich mehr als ein Jahr lang mit der Frage beschäftigt, wie sich die universitäre Ausbildung durch das Medium Internet verändern würde. Viele hatten erwartet, dass das MIT dem Hype um Distance-Learning-Kurse folgen werde. Die Idee eines virtuellen Elitestudiums ließ sich jedoch nicht zu einem Erfolg versprechenden Geschäftsmodell konkretisieren.
Kalkuliertes Risiko
"Natürlich war es damals ein Risiko", meint Steve Carson, MIT-Sprecher zum Thema Open Courseware, "aber der Gedanke war: Wir machen das Lehrmaterial zugänglich und betonen damit gleichzeitig, worin die eigentliche Stärke der MIT-Ausbildung besteht - nämlich dem Studium vor Ort." Heute müsste man der Strategiegruppe für ihren Weitblick gratulieren. Die Gold Rush Mentalität in Sachen Distance Learning ist verschwunden; die Konzepte zahlreicher Kursanbieter sind nicht aufgegangen. Zwar hat das gratis Onlinematerial dem MIT ebenfalls keine monetären Gewinne beschert, das Prestige der Elite-Uni ist aber noch weiter gewachsen. Dies hat sich unter anderem in steigenden Bewerberzahlen niedergeschlagen. Und welche Uni könnte sich mehr wünschen, als zwischen den besten Köpfen auswählen zu können?
Die Popularität der MIT-Webseite ist ungebrochen. Pro Monat werden mehr als eine Million Zugriffe registriert, wobei derzeit rund 1600 Kurse zur Verfügung stehen. Zugegeben, die Qualität der Kurse ist unterschiedlich. Zumindest gibt es eine exakte Literaturliste mit Zeitplan, Hausübungen und Testaufgaben. Im besten Fall erhält man ein fein säuberlich ausgearbeitetes Skriptum oder spannende Video-Vorlesungen. Auch wurden in Kooperationsarbeit rund 600 Kurse übersetzt - ins Spanische, Chinesische, etc. Die übersetzten Kurse ziehen eine weitere halbe Million Lernbegierige pro Monat an.
Dass das MIT sein Wissen frei verfügbar macht, passt zu den Idealen der Elite-Uni, so Carson: "Unser Mission Statement ist es, der Nation und der Welt möglichst dienlich zu sein." Der Beitrag solle aber nicht überbewertet werden. Denn: "In Sachen Ausbildung steht die Welt vor enormen Herausforderungen. Insbesondere mangelt es an vielen Orten an Erziehern."
Universitäten aus aller Welt sind mittlerweile dem Vorbild MIT gefolgt und haben sich in einer Arbeitsgemeinschaft, dem Consortium Open Courseware, zusammengefunden. Als sehr ambitioniertes Mitglied erweist sich die Open University in England, eine Fernuniversität mit 150.000 Studenten und 30.000 Postgraduates. Im Oktober letzten Jahres startete die Fernuni ihre Open Learn Plattform, auf der viele Kurse frei einsehbar sind. Anders als am MIT wurde das Kursmaterial speziell für Fernstudenten didaktisch aufbereitet. So zeichnen sich die Lernunterlagen durch eine sehr gute Verständlichkeit aus. Die Skripten dürfen auch weiterverbreitet, verbessert und als Lehrmaterial verwendet werden. Eine kommerzielle Nutzung hingegen ist untersagt - so etwa der Verkauf der Texte in Buchform.
Interaktives Lernen
Auch geht die Open University einen Schritt weiter als das MIT, indem sie nicht nur Lerninhalte bietet, sondern das Community Building fördern will. Durch Instant Messaging Tools, interaktive Foren und live Video-Konferenzen sollen die Wissbegierigen im Web zusammengeführt werden. Laura Dewis, Communications Manager der Open University, sagt dazu: "Es ist ein Experiment. Und je mehr wir experimentieren, desto besser. Auf diese Weise wollen wir auch herausfinden, wie neue Businessideen für die Open University des 21. Jahrhunderts aussehen können."
Als einzige österreichische Bildungseinrichtung gehört die Uni Klagenfurt dem Consortium an. Der junge Hochschulforscher Thomas Pfeffer hat das Projekt initiiert. Nach einem Jahr Laufzeit stehen nun eine Handvoll Kurse im Web, was Pfeffer so bilanziert: "Wir haben gelernt, dass die Arbeitsabläufe des MIT und der Open University sich nicht auf die hiesigen Hochschulen übertragen lassen." Am MIT existiert nämlich eine eigene Redaktion, die die Kursunterlagen der Professoren in Web-taugliches Material verwandelt. Und an der Open University gibt es kleine Autorenteams, die virtuelles Studienmaterial gemeinsam erarbeiten.
Obwohl der Aufwand zur Produktion des Kursmaterials höher war als erwartet, hält Pfeffer an der Vision von Open Courseware fest. "Die Produktionsprozesse müssen sich ändern. Eigentlich bräuchte man gar kein Redaktionsteam, wenn es so leicht wie bloggen wäre." Und laut Pfeffer könnten einige technische Neuerungen die Sache schon bald so einfach machen.
Frei zugängliches Kursmaterial hält er für wünschenswert, selbst wenn sich mit großer Sicherheit kein Geld verdienen lässt. Die aktive Mitgestaltung des Internets betrachtet er zudem als eine Pflicht. Auch betont er: "Onlinematerial schafft mehr Transparenz und kann etwa zu einer besseren Koordination von Studiengängen genutzt werden." Nicht zuletzt sieht er aber in der Materialbereitstellung eine "Grundfunktion" der Universität: Professoren haben nicht nur einen Forschungs-, sondern auch einen Lehrauftrag.
Studenten, keine Sekretäre
Emanuel Huber, Student an der Universität Salzburg, stimmt dem zu. Er fordert: "Mitdenken statt mitschreiben." Professoren sollen ihre Skripten zu Beginn der Vorlesung zugänglich machen. "Manche Lehrenden lesen ihre Texte einfach runter. Mit Onlineskripten aber könnten die Studenten sich gezielt auf die Vorlesung vorbereiten und dann mehr mitdiskutieren." Man wird sehen, wann dieser Wunsch Wirklichkeit wird. Der nächstmögliche Termin wäre Ende Mai, weil dann tritt Huber als Vertreter einer kleinen Partei, der Fraktion Piraten, bei den Wahlen der österreichischen Hochschülerschaft an - mit einem klaren Ziel: Mehr Open Access.
www.ocw.mit.edu
www.ocwconsortium.org
www.openlearn.open.ac.uk
http://www.uni-klu.ac.at/ocw