Was kann ein bedingungsloses Grundeinkommen? Darüber streiten Ronald Blaschke, Sprecher des deutschen Netzwerks Grundeinkommen, und Barbara Kolm, Präsidentin des neoliberalen Hayek-Instituts.
Ein existenzsichernder Betrag, den man ohne Bedürftigkeitsnachweis oder Arbeitszwang jeden Monat überwiesen bekommt - das ist die Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen. Ist das ein naiver Traum von bezahlter Faulheit, oder eine ernsthafte Perspektive für emanzipative Politik des 21. Jahrhunderts? Der FURCHE-Schlagabtausch zeigt: Bei der Antwort auf diese Frage gerät man schnell in Grundsätzliches wie das Menschenbild. Barbara Kolm, Präsidentin des Hayek- Instituts diskutiert mit Ronald Blaschke, Sprecher der Initiative Grundeinkommen.
Die Furche: Das bedingungslose Grundeinkommen beginnt mit einer "Was wäre, wenn“-Frage. Was würde sich bei Ihnen ändern, wenn Sie jeden Monat fix 1500 Euro zur Verfügung hätten?
Ronald Blaschke: Ich würde meinen Job partiell aufgeben, ein halbes Jahr Sabbatjahr machen, vielleicht ein Buch schreiben.
Barbara Kolm: Für mich würde sich nichts ändern. Was ich tue, mache ich mit Leidenschaft und aus Überzeugung. Ich frage mich nur: Wenn alle sich zurückziehen, wie können wir weiter zur Produktivität beitragen?
Die Furche: Würden sich alle zurückziehen?
Kolm: Mit 1500 Euro kommt man ganz gut durch…
Blaschke: Die Antworten, die ich auf diese Frage höre, sind ganz unterschiedlich. Manche sagen, sie würden nie wieder arbeiten, andere würden eine Auszeit nehmen, wieder andere würden weitermachen wie bisher. Manche würden sich weiterbilden.
Kolm: Wer zahlt die ganzen Abgaben? Wer die Krankenversicherung? Man muss schon ehrlich sein und sagen, was das kostet.
Blaschke: Natürlich gibt’s nichts umsonst. In Deutschland wurden zwölf Modelle entwickelt, die zeigen, dass das Grundeinkommen finanzierbar wäre.
Die Furche: Welche Auswirkungen hätte es gesamtgesellschaftlich?
Kolm: Die Anreizstruktur würde sich massiv ändern. Die Anreize Leistung zu erbringen, Wohlstand zu erarbeiten und Selbstverantwortung zu übernehmen…
Blaschke: Ich behaupte das Gegenteil. Der Anreiz, das zu tun, worauf man wirklich Bock hat, würde sich erhöhen. Auch das Verantwortungsbewusstsein wird gestärkt. Ich müsste dann keine Arbeiten annehmen, für die ich keine Verantwortung übernehmen wollte, weil ich existenziell abgesichert wäre. Wenn jemand trotzdem noch in der Rüstungsindustrie arbeitet, nicht weil er muss, sondern weil er will, kann er dann auch zur Rechenschaft gezogen werden.
Kolm: Ich befürworte die Wahlfreiheit, aber es gibt Aufgaben, auf die niemand "Bock“ hat und die erledigt werden müssen. Hier helfen nur Anreize.
Blaschke: Untersuchungen bei Vollzeitbeschäftigten zeigen, dass bis zu 60 Prozent die Arbeitszeit verkürzen würden, wenn sie einen finanziellen Ausgleich dafür bekämen. Das legt nahe, dass viele kürzer treten, aber nicht aussteigen würden. In der bestehenden marktwirtschaftlichen Gesellschaft könnten wir mit dem Grundeinkommen und intelligenten Modellen wie Job-Rotation so etwas wie Vollbeschäftigung herstellen.
Kolm: Wenn man am europäischen Arbeitsmarkt an der Flexibilitätsschraube dreht, andere Arbeitszeiten oder Möglichkeit zur Heimarbeit bietet, könnten die Unternehmer produktiver sein und mehr Menschen einstellen. Auch ohne Grundeinkommen.
Die Furche: Mit dem Grundeinkommen wäre die Regierung ihrer Pflicht zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit enthoben. Sie müsste keine Jobs schaffen, weil niemand einen bräuchte, um zu überleben. Ist das Grundeinkommen der Todesstoß für den Staat?
Blaschke: Der Staat hat auch nicht die Aufgabe Jobs zu schaffen. Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger. Wir leben im Überfluss, in einem finanzkapitalistischen System, das sich ständig bemüht, den Menschen Bedürfnisse einzureden. Vor dem Hintergrund der schwindenden Ressourcen müssen wir die Jobs deshalb radikal reduzieren.
Kolm: Ich kenne keinen Staat, der jemals nachhaltig Jobs geschaffen hat.
Die Furche: Ist Arbeitsmarktpolitik obsolet?
Kolm: In der Form, wie wir sie jetzt haben, auf jeden Fall. Es ist ja nur ein Placebo. Die Wirtschaft und die kreativen Individuen schaffen es selber, neue Jobs und Dinge zu entwickeln. Alleine, was durch die neue Technologie entstanden ist …Blaschke: Gehetzte Menschen?
Kolm: Man kann das auch anders sehen. Es gibt viele, die davon profitieren und erfolgreich ihren Beruf ausüben.
Blaschke: Die meisten großen Erfindungen sind jenseits der Erwerbsarbeit entstanden.
Die Furche: Gäbe es mehr Kreativität, wenn die Menschen ihr Potenzial bündeln, weil sie keinem Brotjob nachgehen müssten?
Kolm: Es gibt schon jetzt Denkwerkstätten. Große Unternehmen leisten sich die, um mehr Kreativität zu entwickeln. Schlussendlich geht Wissensgenerierung von Individuen aus. Dann geht es um die Frage, was die Menschen glücklich macht.
Die Furche: Eine Existenzsicherung?
Kolm: Es gibt keine Existenzsicherung für alle. Diese Aufgabe, sollten wir freiwillig erfüllen, nicht zwangsweise über den Staat.
Blaschke: Alle Wissenschaftler sagen, Menschen können ihre Potenziale am besten entwickeln, wenn sie nicht existenziell unter Druck gesetzt werden. Was Sie als kreativ beschreiben, heißt, neue Produkte für den Markt zu entwickeln. Ich habe eine ganz andere Vorstellung: Kreativität ist heute, dass wir erdenken, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen. Und wie zu einer menschlicheren, gleicheren Gesellschaft kommen.
Die Furche: Einer Gesellschaft, in der sich der Wachstumsbegriff überholt hat?
Blaschke: Ich kritisiere ein Wachstum, das Ressourcen verbraucht, die begrenzt sind. Wachsen muss die Gesellschaft in der Tat: an Kreativität, Liebe, Entschleunigung…
Kolm: Man kann aber auch von Rückbesinnung auf Werte und Verantwortungsübernahme sowohl für sich selbst als auch für die Umwelt reden. Das wird auch zu einem Leisertreten führen. Trotzdem ist wirtschaftliches Wachstum eine wichtige Voraussetzung, um Wohlstand für alle zu erhalten.
Blaschke: Das stimmt geschichtlich nicht. In allen reichen Ländern haben sich die sozialen Ungleichheiten trotz Wachstum verschärft. Wenn ich das Wachstum gleichmäßig verteilen würde, dann würde ich Wohlstand verteilen. Aber das ist ja nicht gewollt.
Kolm: Das stimmt nicht. Die Menschheit hat in den letzten Jahrzehnten vor allem wegen der Globalisierung an Wohlstand gewonnen.
Blaschke: Die Armut ist gestiegen.
Kolm: Weil die Definition von Armut anders ist: Heute wird die Grenze bei 60 Prozent vom Medianeinkommen angenommen. Daher ist die Zahl derer, die darunter liegen, gestiegen.
Die Furche: Für Sie, Herr Blaschke, ist das Grundeinkommen ein Schlüssel zur Bewältigung der Krise. Warum?
Blaschke: Es ist einer, neben vielen anderen. Weil es bestimmten Investitionskapitalmassen die Macht entzieht, die dafür zuständig sind, dass immer mehr Unsinn produziert wird. Durch den Freiraum der existenziellen Absicherung kann die Gesellschaft darüber nachdenken, was sie wirklich zum Leben braucht.
Die Furche: Ist das die Lösung, Frau Kolm?
Kolm: Sicher nicht. Wir müssen die Banken, die mitverantwortlich sind, in den Konkurs schicken und Sorge tragen, dass die Lobbyisten in Europa nicht mehr so zu Wort kommen. Und wir müssen die Staatsaufgaben kritisch hinterfragen, die Ausgaben zurückfahren, die Schulden abbauen und einen schlanken Staat kreieren, der mehr individuelle Freiheit zulässt. Die EZB-Gelddruckmaschine, die jetzt angeworfen wurde, ist keine Lösung. Damit kaufen wir uns langfristig Inflation ein, und das ist nichts anderes als Enteignung.
Die Furche: Zum Abschluss: Ist der Mensch ein Faulpelz oder ein Sinnsucher?
Kolm: Ich unterstelle grundsätzlich das Positive, das jeder nach einem Ziel strebt, und Sinn sucht.
Die Furche: Auch mit 1500 Euro im Monat?
Kolm: Das kann ich nur hoffen...
Die Furche: Sucht der Mensch nur dann Sinn, wenn er Geld dafür bekommt?
Kolm: Nein. Aber beim Grundeinkommen stellt sich mir schlicht die Frage, ob wir uns das leisten können und wollen.
Blaschke: Der Mensch will Anerkennung und er will etwas Sinnvolles tun, egal ob er dafür Geld bekommt oder nicht. Aber er kann es nur, wenn er finanziell abgesichert ist. Wir müssen die Balance zwischen Aktivität und Faulheit wieder lernen.
Die Furche: Und mit dem Grundeinkommen könnten wir’s uns leisten, faul zu sein?
Blaschke: Ruhiger, entschleunigter, ja.